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Logbuch_2016

"Er nervt noch, das ist angenehm": Verbrecher-Verleger Jörg Sundermeier im Gespräch

www.kreuzer-leipzig.de | MAGAZIN 32 :logbuch: Muss ein Verleger heute ein ­Ver­brecher sein? JÖRG SUNDERMEIER: Ganz knapp: Nein. Auch wenn die Politik momentan mit mehr oder ­weniger großem Erfolg versucht, einen Konflikt zwischen den sogenannten Verwertern und den Urhebern herbeizureden. :logbuch: Der Verlagsname rührt daher, dass Sie ursprünglich als Literaturstudenten an unveröf­ fentlichte Manuskripte rankommen wollten, sagt der Mythos … SUNDERMEIER: Das stimmt. Wir wussten von ei- nigen Autorinnen und Autoren, die uns lieb und wichtig waren, dass sie Manuskripte fertig ge- stellt haben, die aber in einer damals absehbaren Zeit nicht verlegt werden würden. Teilweise sind sie es bis heute nicht. Wir wollten uns diese un- glaublich gern angucken, wir waren also gierig. Da dachten wir, warum sich nicht als Verlag ­ausgeben? Das fanden wir aber etwas unredlich, weshalb wir uns den Namen Verbrecher gaben. Salopp gesagt: Wer dann etwas schickt, ist selbst schuld. :logbuch: Trotz Warnung im Namen sind Sie an Manuskripte herangekommen? SUNDERMEIER: Ja. Eins davon war »Cordula killt Dich! oder Wir sind doch nicht Nemesis von ­jedem Pfeifenheini. Roman der Auferstehung« von Dietmar Dath. Der schickte uns einen Aus- zug, den wir so toll fanden, dass wir den Rest ­lesen wollten. Dann haben wir uns auf der Buch- messe getroffen, sind extra wegen ihm hinge- fahren, während er dachte, als Verleger seien wir sowieso dort. Er legte einen Stapel Papier auf den Tisch und sagte: Ich habs heute Nacht fertig geschrieben. Jetzt kommen wir aus der Nummer nicht mehr so einfach raus, dachten wir da. Und haben ihn verlegt. :logbuch: Sie wurden aus der Not heraus ­Verleger? SUNDERMEIER: Ich würde sagen: ohne Not. Aber wir sind da reingewachsen. Mit dem Gedanken hatten wir schon vorher mal ein bisschen gespielt. Aber konkret wurde es in der Situation mit Dath, wo wir jetzt legalisieren wollten. Wir hatten die ersten vier Jahre nur diesen einen ­Titel lieferbar, machten andere Sachen und lernten nebenbei Dinge wie Buchhaltung. Dann haben wir uns noch einmal auf den Verlag besonnen. Ist die ­Geburt aus der Liebe zur Literatur heraus entstan­den, so hält diese bis heute an. :logbuch: Das Risiko, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zu agieren, scheuten Sie nicht? SUNDERMEIER: Der auch in Leipzig nicht unbe- kannte Kurt Wolff machte einmal den schönen Witz: »Wie macht man ein kleines Vermögen?« – »Man nimmt ein großes Vermögen und gründet einen Verlag.« Das stimmt schon ein bisschen. Im gesamten Kollegenkreis verdienen die Verleger und Mitarbeiter mal mehr, mal weniger, aber nie richtig viel. Und es steht in keinem Verhältnis zum Zeitaufwand. Es gibt wenige Bereiche, in denen Leute mit so viel Liebe an ihren – profan gesagt – Produkten hängen. Das ist bei uns genauso. Wenn ein Buch keinen großen Erfolg hat, vielleicht in der Presse verrissen wird, dann nehme ich ­das persön­ lich übel. Das ist weniger monetär gemeint, son- dern ich möchte, dass das Buch die Anerkennung erfährt, die es verdient hat. :logbuch: Gibt es so etwas wie den idealen Ver­ brecher-Leser? SUNDERMEIER: Ich habe zwei Antworten. ­A: Ich hoffe nicht. B: Das bin vermutlich ich selbst. Es gibt natürlich Verlagsfans, was mich freut. Dass man aber alles so mag, die gleichen Interessen hat wie ich, kann ich mir nicht vorstellen. Das ist mir eher verdächtig. Das sind meine Babys, und ich bin ein guter Papa, habe alle gleich lieb. Unser Ziel ist es, gute Sachbücher und Belletristik, Co- mics und Kunstbände zugänglich zu machen. Da- nach möchte ich es gar nicht mehr beeinflussen. Wenn jemand sagt: Das ist nicht mein Geschmack, ist das völlig in Ordnung. Aber wenn ein Kritiker schreibt, hier ist die Autorin zu sentimental, dann muss er das begründen. Da werden oft reine Ge- schmacksurteile als Kritik geäußert … :logbuch: Ein Grundproblem der aktuellen ­Kunstkritik? SUNDERMEIER: Ja, diese apodiktischen Urteile ärgern mich. Zumal man bei einigen Leuten be- obachten kann, dass sie bei dem einen geil finden, was sie dem anderen vorwerfen. Hier wie beim Publikum gibt es eine Tendenz zur Sucht nach dem neuen Buch, um sich jünger zu fühlen. »Lena war 28. Sie war gerade erst nach Berlin ge- zogen. Ihr erster Abend im Berghain war ein Fi- asko. Niemand sah sie an.« Ich möchte das nicht zu Ende lesen. Das sind Bücher, die wahrschein- lich nur an alte Säcke gehen, die sich Jugendlich- keit erkaufen wollen. Aber das funktioniert nicht, wie wir schon von Schneewittchen wissen. »Wer etwas schickt, ist selbst schuld« »Er nervt noch, das ist angenehm« Verbrecher-Verleger Jörg Sundermeier über die Liebe zum Lesen, das Elend der Kultur­ kritik und die Kunst der klugen Verlagsnamensgebung Hält die Menschheit für rettbar: Verbrecher-Verleger Jörg Sundermeier STEFFENNEUMEISTER

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