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Logbuch_2016 - Politik und Geschichte

"Sie hatten damit Erfolg": Interview mit Christian Jakob, Autor von "Die Bleibenden"; Julia Gerlach: Der verpasste Frühling

www.kreuzer-leipzig.de | POLITIK UND GESCHICHTE 46 Taz­Redakteur Christian Jakob beschreibt in seinem Buch »Die Bleibenden« eine Reihe von Schicksalen politisch aktiver Migranten, die mit ihrem Engagement und ihrem Protest Deutschlands Haltung zu Einwanderung mo­ dernisiert haben. :logbuch: Menschen, die neu in ein fremdes Land kommen, neigen oftmals dazu, sich zu verstecken, sich anzupassen und dafür beinahe alle Demüti- gungen hinzunehmen. Was ist bei den Menschen, die Sie für die Geschichten Ihres Buches getrof- fen haben, anders gelaufen? CHRISTIAN JAKOB: In den letzten Jahren war es ganz anders, davon handelt ja das Buch. Flücht­ linge und Migranten haben, mit allem Nachdruck und Selbstbewusstsein, Rechte eingefordert. In der Zeit ab 2012 hat die Öffentlichkeit das viel stär­ ker wahrgenommen, aber solche Kämpfe gab es auch schon lange vorher. Natürlich sind die Pro­ testierenden unter den Migranten eine Minder­ heit, genauso, wie sich auch in der Mehrheitsge­ sellschaft nur ein kleiner Teil politisch engagiert. Das kann sehr individuelle Gründe haben, etwa eine politische Vergangenheit im Herkunftsland. Es kann aber auch einer gesellschaftlichen Dyna­ mik geschuldet sein, wie der Protestzyklus ab 2012, der viele Menschen mitgerissen hat, die sonst vielleicht duldsam auf ihre Abschiebung gewar­ tet hätten. :logbuch: Wie viel Einfluss haben die Aktionen der migrantischen Aktivisten Ihrer Ansicht nach auf die aktuelle Flüchtlingspolitik? Welche Verbesse- rungen ihrer Bedingungen konnten sie erreichen? JAKOB: Zu den migrantischen Aktivisten würde ich nicht nur Flüchtlinge zählen, sondern auch das sogenannte postmigrantische Milieu, Kinder aus der zweiten Gastarbeitergeneration, die den Bildungsrückstand aufgeholt haben und seit etwa zehn, fünfzehn Jahren in die Institutionen – Medien, Wissenschaft, Politik – einziehen. Sie ha­ ben, genau wie die Flüchtlinge, letztlich eine po­ litische Agenda verfolgt: dass Deutschland sich vom Dogma verabschiedet, kein Einwanderungs­ land zu sein, dass es die Realität der Migration und die Migranten als vollwertige Mitglieder der Ge­ sellschaft akzeptiert. Und sie hatten damit Erfolg. :logbuch: Welche Geschichte hat Sie selbst am meisten beeindruckt? JAKOB: Alle. Die Flüchtlinge sind durch die Asyl­ gesetze der neunziger Jahre an den äußersten Rand der Gesellschaft gedrängt worden. Ihre Anti­ Integration war das erklärte Ziel der Politik. Die Menschen, deren Biografien ich beschreibe, haben alle eines gemeinsam: dass sie diesen sozialen Ausschluss nicht akzeptiert, sondern ihr Recht er­ kämpft haben, hier ein besseres Leben zu suchen. INTERVIEW: CLEMENS HAUG ▶ Christian Jakob: Die Bleibenden. Wie Flüchtlinge Deutschland seit Jahren verändern. Berlin: Ch. Links Verlag .  S.,  € Ein paar Monate lang schien die neue Ge­ sellschaft zum Greifen nahe: Tausende junger Ägypter aller Klassen und Konfessionen ver­ sammelten sich fried­ lich auf dem Tahrir­Platz in Kairo, um gegen die korrupte Regierung von Hosni Mubarak zu de­ monstrieren. Die Besetzung des zentralen Ortes in der Metropole am Nil wurde zur Inspirations­ quelle für Schriftsteller, Liedermacher und Intel­ lektuelle. Nach bleiernen Jahren eroberten neue Kunst und Musik öffentliche Räume. Die Bilder der Street­Art, in denen sich der politische Pro­ test gegen Diktatur und Polizeigewalt ausdrückte, gingen um die Welt. Es war Januar 2011. Nach Tu­ nesien nahm der sogenannte Arabische Frühling auch in Ägypten, dem bevölkerungsreichsten Land der Region, seinen Lauf. Die Folgen dieser Er­ eignisse spürt Europa inzwischen stärker denn je. Heute, fünf Jahre später, hat das Militär die Kon­ trolle zurückgewonnen. In den Wirren sind Tau­ sende durch Polizeigewalt, bezahlte Schläger und Terroranschläge gestorben. Die dramatischen Ereignisse verdecken in den westlichen Medien oftmals die wenigen positiven Entwicklungen, die Ägyptens Gesellschaft seit dem Umbruch ge­ nommen hat. »Von Europa aus betrachtet, wirkt die Lage oft viel bedrohlicher als vor Ort. Das liegt auch daran, dass nur von Ereignissen berichtet wird, nicht von dort, wo es ruhig geblieben ist«, sagt Julia Gerlach. Als Korrespondentin für das ZDF und verschie­ dene deutsche Tageszeitungen hat Gerlach die »Arabellion« von Beginn an begleitet. Immer wie­ der hat sie sich mit ihren Gesprächspartnern ge­ troffen und kann durch diese Interviewreihen den Wandel in ihren Akteuren sichtbar werden lassen. Da ist die TV­Moderatorin, die sich erst vom alten Regime lossagt, dann aber die Islamis­ ten so zu fürchten beginnt, dass sie am Ende zu­ nächst freudig den erneuten Militärputsch be­ grüßt. Da ist der junge, anfänglich wenig radikale Muslimbruder, der die Vielfalt der Gesellschaft schätzt und sich vor allem nach einer neuen Re­ gierung sehnt, die mit der alten Vetternwirtschaft aufräumt. Doch nach der Wahl des Muslimbru­ ders Mursi zum Präsidenten verteidigt der junge Sprecher dessen autoritäre Bestrebungen. Der gescheiterte Neubeginn hinterlässt einen tiefen Riss zwischen religiösen und säkularen Revolu­ tionären. Der genaue Blick, den Gerlach auf den Verlauf des Umsturzes erlaubt, lohnt sich gerade für westliche Leser. Sie lernen eine Gesellschaft ken­ nen, die sich in ihren Diskussionen und Ansich­ ten nicht so sehr von der westlichen unterschei­ det, wie gemeinhin angenommen wird. Weite Teile der Ägypter nehmen Islamisten etwa als fa­ schistische Bedrohung wahr und haben mit ver­ breiteten patriarchalen Männlichkeitsbildern kein geringeres Problem als Europäer. Im Zuge von Demonstrationen wurden auch in Ägypten mas­ senhaft Frauen sexuell angegriffen. Aber die öf­ fentliche Debatte dort reagierte anders. »Die Ägyp­ ter haben das Problem als eines der eigenen Gesellschaft erkannt«, sagt Gerlach. »Es war klar: Das waren unsere Jungen. Also wurden Losungen ausgegeben, wie: Brüder, passt auf, dass euren Schwestern nichts passiert. Oder: Mütter, passt auf eure Söhne auf.« Deutschland glaube der­ zeit dagegen vor allem, dass der Missbrauch von Fremden ausgehe, beobachtet die Journalistin. Sie lernen eine Regierung kennen, die teilt, herrscht und falsche Informationen ausstreut. Und sie sehen einen Hoffnungsschimmer am Horizont. »Fünf Jahre sind kein Alter für eine Re­ volution«, sei die Ansicht der übrig gebliebenen Aktivisten, zu denen die deutsche Journalistin Gerlach noch Kontakt hat. »Man braucht einen längeren Atem. Die ersten Auseinandersetzun­ gen haben die alten Regime gewonnen, aber jetzt geht es weiter.« CLEMENS HAUG ▶ Julia Gerlach: Der verpasste Frühling. Woran die Arabellion gescheitert ist. Berlin: Ch. Links Verlag .  S.,  € »Sie hatten damit Erfolg« »Die Bleibenden« zeigt, wie politisch aktive Migranten Deutschlands Haltung zu Einwanderern verändern »Fünf Jahre sind kein Alter für eine Revolution« »Der verpasste Frühling«: Julia Gerlach berichtet von Sturz und Rückkehr der Diktatur in Ägypten CH. LINKS VERLAG Christian Jakob

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