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Logbuch_2016

Greg Gandin: Kissingers langer Schatten; Ulrich Raulff: Das letzte Jahrhundert der Pferde

POLITIK UND GESCHICHTE | Am Schluss, als das »lange Jahrhundert« endlich vorbei war, so gegen Mitte des Zwanzigsten, war es passiert: »Sechshundert Jahre Schießpulver hatten dem Pferd nicht seinen angestammten Platz als wichtigste Kriegswaffe des Menschen streitig gemacht – einhundert Jahre Mechanisierung des Krieges genügten, es obsolet zu machen. Das Pferd war einer der Besiegten der jüngsten Geschichte.« So der Historiker Ulrich Raulff, und weiter bilan­ ziert er: »So einfach und glatt, wie man sich die Trennung von Mensch und Pferd, von mechani­ scher und animalischer Kraft vorstellt, ist sie in­ dessen nicht verlaufen.« Zum Glück, möchte man ausrufen, denn sonst wäre man nicht in den Ge­ nuss der Lektüre dieses herausragenden kultur­ wissenschaftlichen Buches gekommen. Der »kentaurische Pakt«, wie Raulff die an die sechstausend Jahre währende intensive Beziehung zwischen Mensch und Pferd nennt, ist Geschichte, in der Tat. Das Pferd ist aus dem öffentlichen Raum verschwunden, man sieht es noch bei Umzügen, oft als Brauereipferd, das noch mal den Wagen ziehen darf, und es »wechselte … als Sport­ und Therapiegerät, Prestigesymbol und Assistenzfi­ gur der weiblichen Pubertät in den historischen Ruhestand«. Der Historiker Reinhard Koselleck hat 2003 drei große Weltepochen ausgemacht, ein Vor­Pferde­ zeitalter, ein Pferdezeitalter und ein Nach­Pferde­ zeitalter. Raulff beschränkt sich in seiner großen Studie auf das relativ schmale Zeitfenster zur dritten Epoche. Diese Studie muss eine Fülle von »Realien und Beobachtungen aus den unterschied­ lichsten Wirklichkeitsbereichen« in einer »his­ toire totale« vereinen, so der Anspruch des Autors. Das Pferd spielt in vielem eine Hauptrolle, in »Tech­ nikgeschichten, Verkehrsgeschichten, Agrar­, Kriegs­ und Stadtgeschichten, Energiegeschich­ ten«. Ein Fass ohne Boden, das nach einer schlüs­ sigen Ordnung und Struktur in der Darstellung verlangt. Vier große Kapitel sollen den Stoff glie­ dern. Erstens »Realgeschichten«, dann »Wissens­ geschichten«, weiter »Metaphern­ und Bilderge­ schichten« sowie »Historien« von Pferden und Menschen. Und Raulff verbindet sein enzyklopä­ disches Wissen mit autobiografischem Erleben, denn er ist in einer agrarisch geprägten Welt aufge­ wachsen, hat noch die letzten Ausläufer des Pfer­ dezeitalters persönlich erlebt. So ist seine große Studie auch von Empathie mitgetragen, denn das Pferd hat auf dem Acker, im städtischen Verkehr und vor allem in den Kriegen unendlich gelitten. Die zwei Jahrzehnte, die Raulff sein Steckenpferd von der ersten Idee bis zum Abschluss des Buches ritt, haben reiche Ernte eingefahren. Und frische, oft überraschende Blicke in die jüngere Vergangen­ heit aufgetan. 2010 erhielt Raulff, Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach, für sein Buch »Kreis ohne Meister« über Stefan Georges Nach­ leben den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie »Sachbuch und Essayistik«. 2016 ist er mit »Das letzte Jahrhundert der Pferde« erneut nominiert. JÜRGEN LENTES ▶ Ulrich Raulff: Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung. München: C. H. Beck Verlag .  S., , € Henry Kissinger polarisiert: Für die einen ist der frühere US­Außenpolitiker der Bomber von Kambodscha, ein Kriegsverbrecher, der Mitschuld an den Genoziden in Bangladesch und Osttimor trägt. Für die anderen ist er bis heute eine feste Instanz auf der weltpolitischen Bühne. Hillary Clinton nannte ihn »einen Freund«, und auch in Deutschland ist der gebürtige Franke, der vor den Nazis flüchten musste, eine geachtete Autorität. Nach dem Interventionismus der Bush­Ära und dem oft unentschlossenen Pragmatismus Oba­ mas ist Kissingers nüchterne, auf Stabilität gerich­ tete Realpolitik wieder gefragt. »Weltordnung« hieß sein letztes Buch, und nach einer solchen seh­ nen sich gerade viele. Aber stimmt dieses Bild des kühlen Strategen überhaupt? Greg Grandin widerspricht in seiner neuen Kissinger­Biografie vehement: Der Kis­ singerismus sei keineswegs eine Alternative zur neokonservativen Außenpolitik. Selbst Kissingers diplomatische Initiativen gegenüber China und der Sowjetunion, die in den Siebzigern zur Ent­ spannung der Blöcke beitrugen, hatten die Kehr­ seite eines militärischen Aktivismus in der Drit­ ten Welt. Ausgerechnet von Oswald Spengler, der den Untergang des Abendlandes voraussagte, bezog Kissinger nämlich die Überzeugung, dass jede Macht, die sich und der Welt nicht regel­ mäßig ihre Entschlossenheit zum Handeln be­ weise, schnell zum »Papiertiger« werde. Ob in Vietnam oder Angola – immer ging es ihm auch darum, in »kleinen Kriegen« Härte zu demons­ trieren, denn ohne glaubhafte Stärke sei keine Außenpolitik zu betreiben. Während der Ölkrise etwa fragte er im Kabinett, ob man denn nicht einen der Scheichs stürzen könne, »nur um zu zei­ gen, dass wir es können«. So wird Kissinger in Grandins Darstellung zum Wegbereiter des späteren Interventionismus und der Politik der demonstrativen Härte, die auch innerhalb der USA den Populismus stärkte. Anstatt aller­ dings schlicht die hin­ länglich bekannte An­ klage gegen Kissinger neu aufzurollen, be­ müht Grandin sich um eine grundlegendere Deutung der »Kissin­ ger­Doktrin«. Auch wenn er deren langfristigen Einfluss wohl über­ schätzt, bietet er damit wichtige Denkanstöße zur aktuellen Krise der US­Außenpolitik. CLEMENS HAUG ▶ Greg Grandin: Kissingers langer Schatten. Amerikas umstrittenster Staatsmann und sein Erbe. München: C. H. Beck Verlag .  S., , € Garant für Unsicherheit In »Kissingers langer Schatten« analysiert Greg Grandin, wie Henry Kissingers Interventionismus die internationale Politik nachhaltig erschüttert hat Achtung, Kurzschluss Vorträge und Autorengespräche Leipziger Buchmesse, Halle 2, Forum Kinder-Jugend-Bildung, Infomationen: www.slpb.de Eine Droge auf dem Vormarsch in Sachsen? 17.3.16, 16:00 Uhr Religion und Politik 17.3.16, 11:30 Uhr Geschichte. Fakten. Lebens- welten. 18.3.16, 12:30 Uhr Demokratiekompetenz fördern 19.3.16, 11:00 + 14:30 Uhr PEGIDA Eine Empörungs- bewegung 20.3.16, 15:00 Uhr Muslime in Sachsen Crystal Meth Moral ist lehrbar ANZEIGE Der kentaurische Pakt Herausragend: Ulrich Raulffs »Das letzte Jahrhundert der Pferde«

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