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Logbuch_2016

Stephan Scholz: Vertriebenendenkmäler; Armin Zweite: Franz Roh

KUNST | www.kreuzer-leipzig.de 53 Stephan Scholz untersucht mit Vertriebenendenkmä­ lern einen sehr speziellen As­ pekt deutscher Erinnerungskul­ tur. Er schildert zu Beginn seiner Studie einen bezeichnen­ den Vorfall: In Oldenburg for­ derte 2005 der örtliche Vertre­ ter des Bundes der Vertriebenen (BDV), dass endlich ein Denkmal zur Erinnerung an Flucht und Vertreibung von Deut­ schen errichtet werde. Da man keine Interessengruppe, noch dazu eine so laute, ausschließen wollte, diskutierte man drei Jahre lang, letzten Endes ohne Ergebnis. Denn seit 1957 existierte schon ein Denkmal im Stadtzentrum; es war allen bekannt und wurde genutzt. Es war dem BDV jedoch nicht monumental genug und kam ohne die mittlerweile traditionellen Symbole – Mutter mit Kind – aus. Mit der Behauptung, dass die Erinnerung an Flucht und Vertreibung in der Bundesrepublik tabuisiert sei, suggerieren einige Verbände, Autoren und Historiker, dass es nur wenige Gedenkorte gäbe. Tatsächlich wur­ den kontinuierlich seit 1945 über 1.500 Vertriebenen­ denkmäler in Deutschland im öffentlichen Raum er­ richtet. In den ostdeutschen Bundesländern gibt es durch die DDR­Politik weniger, aber nach 1990 wurde vor allem in Thüringen versucht, das nachzuholen. Scholz analysiert Standorte, Konjunkturen, Formen, Motive und Inschriften nach der Prämisse, dass Erinne­ rungen Konstruktionen sind, die häufig weniger etwas über das erinnerte Ereignis aussagen als vielmehr über die Interessen derjenigen, die Vergangenheit instru­ mentalisieren wollen. Die meisten Denkmäler entspre­ chen konservativen Standards und Gesinnungen, etli­ che sind gar offen revanchistisch. Stereotype von Flucht und Vertreibung schmücken Findlinge, Kreuze, Wappen, Plätze, Straßen, Burgen und Türme. Mit Müt­ tern und Kindern rücken Opferattribute und Gefühle nach vorn. Männer fehlen dagegen immer häufiger. Die waren ja tatsächlich woanders – in der Wehrmacht, der SS, in Einsatzkommandos. Scholz stellt unter anderem fest, dass Erinnerungen über das Medium Denkmal nicht nur ermöglicht, son­ dern auch verhindert wurden: Vertriebenendenkmäler waren oft als Trauerorte dem Gedenken an die Toten gewidmet. An die frühere reale Heimat wurde indes seltener erinnert, weil dies bedeutet hätte, territoriale Ansprüche aufzugeben. Scholz interpretiert diese Leugnung des Heimatverlustes als absichtsvolles Of­ fenhalten der Wunde. Klagen die Vertriebenenver­ bände also über ein angebliches Trauerverbot, ist dies pure Heuchelei. HEIDI STECKER ▶ Stephan Scholz: Vertriebenendenkmäler. Topographie einer deutschen Erinnerungslandschaft. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh .  S., , € Franz Roh – 1890 in Apolda geboren und 1965 in Mün­ chen verstorben – stellt der kleine, feine Band aus dem Münchner Klinkhardt & Biermann Verlag vor. Anlässlich seines 125. Geburtstages und 50. Todestages erinnert er nicht nur an den Kunsthistoriker und Publizisten, sondern auch an einen Mann, der sich seit den frühen zwanziger Jahren der Fotocollage widmete. Roh studierte in München, Leipzig, Jena, Basel und Ber­ lin. Nach der Promotion erhielt er einen Lehrauftrag für Neuere Malerei an der Münchner Universität. 1925 erschien – damals noch beim in der Leipziger Liebig­ straße angesiedelten Klinkhardt & Biermann Verlag – sein Werk »Nach­Expressionismus. Magischer Realis­ mus. Probleme der neuesten europäischen Malerei«. Darin erklärt er die Malerei von 1920 bis 1925 und führt den Begriff des Magischen Realismus ein. Außerdem widmet er sich dem Verhältnis von Kunst und Fotogra­ fie im Abschnitt »Eigenausdruck der Natur«. Vor allem Montagen spielen in seinen Überlegungen eine neue Rolle: »Diese bloßen Fotoklebebilder haben einen eige­ nen Sinn. Nichts kann so deutlich die völlige Durch­ dringung der beiden großen Wesenheiten neuester Kunst zeigen: äußerste Phantastik bei äußerster Nüchtern­ heit, freiestes Komponieren bei Wirklichkeitsabklatsch, kubistische Schachtelung bei barem Abbild.« Das von Jan Tschichold gestaltete Buch »foto­auge. 76 Fotos der Zeit« aus dem Jahr 1929 erlangte noch mehr Aufmerksamkeit, wurde nach 1933 verboten und Roh gelangte für mehrere Monate in Schutzhaft. Bis zum Ende des Krieges publizierte er nicht, sondern arbeitete am Buch »Der verkannte Künstler«, das 1948 erschien. Im Band nun stellt der langjährige Direktor der Städ­ tischen Galerie im Münchner Lenbachhaus, Armin Zweite, Rohs Collagen vor. Er beginnt mit der ersten Ar­ beit aus dem Jahr 1923, die den wunderbaren Titel trägt »Beflissener starrt ins Weltall«, und dringt bis zu den späten Arbeiten der sechziger Jahre vor. Eine ausführ­ liche Biografie komplettiert das gut gestaltete Buch. Nur die etwas zu klein geratenen Abbildungen der ein­ zelnen Collagen lassen die Details manchmal bloß erah­ nen. BRITT SCHLEHAHN ▶ Armin Zweite: Franz Roh. Magischer Realist. Hrsg. von Richard Hampe. München: Klinkhardt & Biermann Verlag .  S., , € Verlorene Heimat im Denkmal »Vertriebenendenkmäler«: Stephan Scholz’ Studie zur Erinnerungspolitik »Äußerste Phantastik bei äußerster Nüchternheit« In »Franz Roh« stellt Armin Zweite Collagen des magischen Realisten vor Das schwarze Buch. Roman ISBN 978-3-87877-770-0 Buchmesse Leipzig Halle 5 G 308 Fordern Sie das Gesamtverzeichnis an! # D-60322 Frankfurt am Main, Holzhausenstraße 4 info@stroemfeld.de www.stroemfeld.com Bis er kommt. Romanfragment ISBN 978-3-86600-090-2 Vor den Abendnachrichten ISBN 978-3-86600-247-0 ANZEIGE

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