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Logbuch_2016 - Antiquariate

Der Leipziger Antiquariatsrundgang 2016

Man darf es als gute Nachricht werten, dass es 2016 genauso viele Leipziger Antiquariate gibt wie 2015. Denn das ist keineswegs eine Selbst­ verständlichkeit. Überall ist das Buch auf dem Rückzug, zahlreiche deutsche Antiquare geben auf oder finden keinen Nachfolger. Und auch die Leipziger Antiquariatsmesse 2016 hat nicht mehr wie einst über 70 Teilnehmer, sondern nur noch knapp über 50. Veranstalter Detlef Thursch spricht von den »Helden des Rückzugs«. Nun ist der kreuzer nicht der Ort für Kulturpessimismus, aber das gedruckte Buch erlebt schon turbulente ­Zeiten. Denn digital kommt der Text auch zum Leser. Die Wege sind gar nicht verschlungen, nur braucht es dazu eben kaum einen Buchhandel im tradi­ tionellen Sinne. Und ob es Verlage braucht, bezwei­ felt zumindest die Firma Amazon, der große Mo­ nopolist, der eigentlich nur sich selbst noch notwendig findet. Das Erstaunliche ist, dass er damit so weit kommen konnte. Niemand scheint bereit und in der Lage, dieses Monopol ernsthaft in Frage zu stellen. Dabei gehört diese Firma min­ destens zerschlagen, besser gleich ganz enteig­ net, am besten zugunsten der nationalen Bran­ chenverbände. Denn Amazon bedeutet Verödung, Verblödung und ewige Langeweile. Aber das ­Kartellamt findet es nicht so schlimm, und in Zei­ ten der neoliberalen Verherrlichung des Kapita­ lismus bleibt ein Eingreifen wohl unwahrschein­ lich. Obwohl man in unserem Falle eigentlich von Digitalfaschismus sprechen muss, denn es gibt keine Wahl, geschweige denn Wettbewerb. Leider landete auch die große deutsche Antiquariats­ plattform ZVAB vor Jahren schon bei Amazon. Natur­gemäß bezahlten sie gut. Das ist umso ein­ facher, da Amazon ja kaum Steuern zahlt – und wenn überhaupt, dann am liebsten in Luxemburg, wo es sehr, sehr wenig sein darf. Aber alles legal, na klar. Auch als Arbeitgeber, das weiß man in Leipzig, ist diese Firma eine Katastrophe. Nach diesem etwas zu lang geratenen Prolog bli­ cken wir kurz in den Katalog der Antiquariats­ messe, die doch immer einen Höhepunkt darstellt – neben der Auktion des Sächsischen Auktions­ hauses Wend, die aber in diesem Jahr ausnahms­ weise später im Jahr stattfindet, was allein an ­einer komplizierten Erkrankung des Auktionators liegt. Aber Christian Wend ist auf dem Weg der Gesundung. Auch von hier gute Besserung! Im Ka­ talog der diesjährigen Antiquariatsmesse finden sich wie immer feine Schmankerl, zum Beispiel die ersten Hefe des Mosaik (Nummer eins im Topzustand, 8.900 Euro, Nummer fünf immerhin noch 1.800, KaraJahn aus Berlin). Sehr hübsch auch das Standardwerk zum Bergbau von Georg Agricola, gedruckt in Basel 1621, zu 7.800 Euro ­bei Gruber aus Heilbronn. Aber fahren Sie besser selbst hinaus und gehen Sie auf Pirsch. Es wird wie immer sein: Man sucht nichts, aber findet etwas. Wir starten wie immer in der Ritterstraße, dem Zentrum des Leipziger Antiquariatswesens. Zu­ nächst erreichen wir, vom Hauptbahnhof kom­ mend, das geräumige Leipziger Antiquariat von Henry Rietdorf mit einem reichhaltigen Angebot aller Gebiete. Die Auswahl an Büchern aus DDR- Produktion ist die größte Leipzigs. Fünfzig Meter Ritterstraße aufwärts begrüßt uns der Insel-Spe­ zialist Jens Förster in seinem Ladengeschäft in der Nummer 12. Am 1. März feiert er sein ­25. Fir­ menjubiläum (siehe Text auf der rechten Seite). ­In der Bücherinsel sind die Regale bis an die Decke mit der Insel-Bücherei gefüllt. Der Inhaber kann jede Frage zur Insel-Bücherei beantworten. Die Hauptausrichtung des Antiquariates, das Förs­ ter mit seiner Frau Caro führt, liegt neben dem In­ sel-Verlag auf der Literatur des 20. Jahrhunderts. Ein paar Meter weiter führt Nicoline Thieme ihr Fachbuchantiquariat. Bei ihr gibt es in den Na­ turwissenschaften, für Technik und Medizin, aber auch in geisteswissenschaftlichen Richtungen Sachbücher fast jeder Disziplin. Neben gut gemach­ ten Fachpublikationen findet hier der bibliophile Sammler ebenso ältere Spezialliteratur. Ein paar Meter weiter hinauf erreichen wir das Antiqua­ riat an der Nikolaikirche von André Brauer. Das Angebot an Erstausgaben, Klassikern und Kin­ derbüchern ist enorm im für unser Gebiet schöns­ ten Ladengeschäft Leipzigs: gedämpftes Licht, schöne alte Holzregale, ein gemütliches Sofa. Von hier begeben wir uns an den Markt, wo sich die Spitze des Antiquariatswesens in Leipzig befindet: zum Sächsischen Auktionshaus und Antiquariat unter den Rathausarkaden. Der richtige Ort für das bibliophile Trüffelschwein. Ein gehobenes Ange­ bot erwartet uns hier. Jetzt stehen wir auf dem Marktplatz und vor der Entscheidung, wohin nun. Ins Tunnelloch zur Messe? Oder nach Westen? Oder in den Bus 89? Wir entscheiden uns für den Bus, um ins Musik­ viertel zu fahren. An der Mozartstraße wird aus­ gestiegen, um die Ecke in der Nummer 8, einem für diese Gegend typischen großbürgerlich-grün­ derzeitlichen Bau, klingeln wir bei Bührnheims Antiquariat & Literatursalon. In seinen großzügi­ gen privaten Gemächern betreibt hier Dieter Bührnheim ein ziemlich besonderes Antiquariat: Fast ausschließlich signierte Bücher bietet er an. Um den wirklichen Leipziger Überblick zu ge­ winnen, muss der Buchfreund nun in den Wes­ ten unserer Stadt, der sich ganz prächtig entwi­ ckelt. Die junge intellektuelle Szene hat sich zunehmend nach Plagwitz und Lindenau verlagert, während sich die Südvorstadt und Schleußig zu bürgerlichen Bezirken mit steigenden Mieten ent­ wickelt haben, was zu ernsthaften Gentrifizie­ rungsdebatten führte. Hier im Westen ist Peter Dombrowski in der Zschocherschen Straße 13 ge­ genüber der Georg-Maurer-Bibliothek die erste Ad­ resse. Die Schwerpunkte liegen auf Lyrik und Geisteswissenschaften. Einzigartig in Leipzig ist hier zudem, dass man auf eine große Auswahl im Westen erschienener Bücher stößt, denn in der Re­ gel liegt der Schwerpunkt in den Ex-DDR-Provin­ zen wenig überraschend bei Ausgaben aus der DDR. Wir wenden uns am Felsenkeller nach rechts auf die Karl-Heine-Straße, inzwischen ein pul­ sierender Boulevard, zum sogenannten Westwerk. Das Bücherlager, geführt von Familie Ahrens, ist zwar kein Antiquariat im eigentlichen Sinne, aber eine riesige Fundgrube, jedes Buch für einen Euro. Es gibt eine leidliche Ordnung, aber auch die Anarchie hat ja ihren Reiz. Ein funktionierender Umschlagplatz, auf dem schon so mancher An­ tiquar sein Lager auffüllte. Ein finaler Schlenker führt nach Nordwest, auf die Georg-Schwarz-Straße, die davon träumt, eine neue Karl-Heine-Straße zu werden. Sie ist auf einem guten Weg dahin. Als Hauptstraße des Stadtteils Leutzsch befindet auch sie sich auf dem Weg der Gesundung. Einen kleinen Beitrag dazu liefert oben genannter Henry Rietdorf, der das Leipziger Antiquariat W33 in der Nummer 12 er­ öffnet hat. Auch hier soll es eher um die geistige Grundversorgung gehen. EGBERT PIETSCH www.kreuzer-leipzig.de | ANTIQUARIATE 62 Der Leipziger Antiquariatsrundgang 2016 FRANZISKABARTH Das Jugendkollektiv des Antiquariates W33

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