Martin Courtney; Sex Jams; A Tribe Called Knarf; V.A.; Janet Jackson; Mr. Vast
048 Musik 1115 Film 034 Spiel 040 Theater 052 Literatur 062 Kunst 066 Termine 084 01 02 03 04 05 06 02 SEX JAMS CATCH THIS CHARMING MAN KKKKKKrachpop Als Klaus Kinski damals im Fernsehen als Zeichen gegen Unterdrückung mit einer Axt auf den Tisch einschlug, um den sich 01 MARTIN COURTNEY MANY MOONS DOMINO KKKKKMeditations-Indie Alles, was die Musiker von Real Estate derzeit anfassen, wird zu Gold. Nach- dem in diesem Sommer bereits Matthew Mondanile unter seinem Pseudonym Ducktails ein überra- gendes Album vorlegte, zieht jetzt Bandkumpan Martin Courtney mit seinem Solo-Debüt nach. Die Par- allelen zu Real Estate sind erfreu- licherweise unüberhörbar. Im Vergleich zur jüngsten Ducktails- Veröffentlichung »St. Catherine« fällt »Many Moons« zwar weniger psychedelisch aus, kommt aber ähnlich verträumt und schwelge- risch daher. Courtney orientiert sich auf entspannteste Weise an der heiteren Seite der sechziger Jahre und huldigt Bands wie den Beach Boys und The Lovin’ Spoon- ful. Während Kollege Mondanile regelmäßig den jazzigeren Umweg sucht, schätzt der Real Estate-Sän- ger den geradlinigen Pop-Zugang, was wir ihm definitiv nicht übel- nehmen. Die mit viel Sonne getränkten Midtempo-Hits von »Many Moons« gehen leicht ins Ohr und sind dennoch komplex. Mit seinem Erstling hat uns Court- ney ein atmosphärisch dichtes und obendrein wunderbar orchestrales Album beschert. Kaum eine Indie- Platte kann in diesem Jahr »Many Moons« in puncto Schlüssigkeit das Wasser reichen. Insbesondere Freunden von Stereolab und Essex Green wird dieses Meisterstück die dunklen Tage des Jahres erhel- len und versüßen. Courtney selbst meint dazu: »Es ist immer gut, wenn ausreichend Frischluft im Raum ist.« Plan übererfüllt. KAY ENGELHARDT Platte des Monats öffentlich-rechtlich rauchende und saufende Talkgäste versammelten, hielt der Tisch dem Ganzen stand. Bei Sex Jams sieht das anders aus. Wenn Sängerin Katharina Maria Trenk im Video zu »Sweet Advice« loshaut, geht alles kaputt. Und ihre vier Bandfreunde zerstören fröhlich mit. So ist auch die Musik der Noise- Pop-Band: kaputt, laut, unterdrü- ckungsfeindlich. Das dritte Album der Wiener klingt nicht so, als wäre es im Bilderbuch-Land entstanden, sonderneherimselbenabgefuckten Loch wie Hole damals. Vergleiche mit Kim Carnes hört man immer wieder in den Sätzen über Sex Jams. Dabei ist die »Bette Davis Eyes«-Sän- gerin viel zu melodiös. Bei Sex Jams schreit die Sängerin und die Gitar- risten schrammeln. Pop mit schie- fem Grinsen, Grunge mit Minirock, Punk mit Achtziger-Jahre-Fön-Fri- sur. Mitten auf der Platte dann kurz Nachrichten-Unterbrechung über beißende Hunde. Kinski kann die Axt stecken lassen. JULIANESTREICH ▶23.11., Ilses Erika 03 A TRIBE CALLED KNARF ES IST DIE WAHRHEIT OBWOHL ES NIE PASSIERTE STAATSAKT KKKKKKapitalistischer Realismus Man lernt ziemlich viel auf der neuen Platte von Knarf Rellöm. Zum Bei- spiel, dass das SS in Kiss wegen der von den Nazis getöteten Familie des Bassisten den Bandnamen ziert. Wir lassen das an dieser Stelle unge- prüft, denn darum gehts ja: um die Wahrheit und ob sie passierte oder auch nicht. Schaut man ins Netz, weiß ja auch kein Mensch mehr, was stimmt.»Wieichaufwachte,weilder Wecker klingelte, wie ich den Wecker auf Snooze stellte«, so realitätsnah beginnt das neue Album von dem, der sich früher mal Ladies Love Knarf Rellöm und anders nannte und nun so wie A Tribe Called Quest, als Verneigung vor der Experimen- tierfreude der Hiphop-Erneuerer. Denn auch der Hamburger expe- rimentiert hier viel mit DJ Patex und Viktor Marek. Das klingt dann nicht mehr nach der unterhaltsam erzählten »Autobiographie einer Heizung«, sondern nach dubbigen Seltsamkeiten wie »Aus meinem Arsch kommt Geld« oder »Mein Nachbar ist ein Alien«. Unter »Kapi- talistischer Realismus« soll man das Ganze einordnen. Wo auch sonst? Ein Album voller diffuser Anspie- lungen und Gedankenfetzen zum Nachdenken. Zum Beispiel über die Frage: Warum spielt das in der Pop- kultur eine so große Rolle, die Erret- tung durch die Liebe? JULIANESTREICH ▶ 18.11., Ilses Erika 04 V.A. TREVOR JACKSON PRESENTS SCIENCE FICTION DANCEHALL CLASSICS ON-U SOUND KKKKK80er-Dub-Avantgarde Als 1977 die Punky Reggae Party brodelte, war er schon dabei, als kurz darauf Post Punk mit Dub infiziert und der Sound der Zukunft probiert wurde, bereits an der vibrierenden Spitze der Bewegung: Adrian Sherwood. Seit 1980 dann mit On-U Sound, das derzeit in Kooperation mit Warp Records den Werkkatalog aufberei- tet und der Nachwelt in allen Forma- ten in die Arche legt. Trevor Jackson, zuletzt mit tollen Sammlungen an Eighties-»Metal Dance«-Material auf Strut aufgefallen, hat sich dafür tief ins Archiv gewühlt und eine Effekt- satte Achterbahn-Selection erstellt, die vom psychedelischen Dub Reg- gae über Elektro-Hiphop-Noises bis zu schrägen Dance-Derivaten ver- eint, was bei On-U Sound schon bei Release oftmals selbst- und sen- dungsbewusst zehn Jahre vordatiert wurde. Dass es aber auch ca. 30 Jahre später relevant und oft immer noch überraschend ist, stellt sich hier per- manent heraus. Mein Rewind des Jahres. ALEXANDERPEHLEMANN 05 JANET JACKSON UNBREAKABLE RHYTHM NATION / BMG KKKKKSoul / R&B Das elfte Album ist auch ein neues von Michael Jackson geworden, und Flyte Tyme – Janets Wieder-On-Producer – haben wohl absichtlich den Crossfader in Rich- tungdesKingofPopverschoben.Auf der LP thematisiert die 49-Jährige dessen Tod und eigene Niederlagen, wofürdertitelgebendeOpenersowie die charakterfeste Ballade »After you fall« stehen. Jam’n’Lewis haben eine Produktionslinie entworfen, welche die 1980er-Jackson-Kollektion mit »No sleep« im Blick hat, die neun- ziger Jahre ins Zentrum rückt und den E-Pop von heute zumindest im Screen Shot anreißt. Missy Elliott taucht aus ihrem Schwarzen Loch auf für den Party-Joint »Burnitup!«, den die Jackson mit freundlicher Erinnerung an »Escapade« den DJs reichen wird. »The great forever« mit grandioser Hook erinnert wie- der unweigerlich an Michael (und dessen»Thewayyoumakemefeel«). »Shoulda known better« erreicht trotz der »Human nature«-Spielerei einen oberen Wert auf der Belanglos- skala, die das Lied von Katy Perry bis Shania Twain singbar machen würde. Davon abgesehen schlägt vor allem auf der Flipside Vielseitig- keit die Beliebigkeit. Die unkaputt- bare Miss Jackson sieht sich weiter als schwarze Antwort auf Madonna, die – von Schicksalsschlägen gebeu- telt – nachdenklich geworden ist, die aber auch als Um-die-50-Jährige das Tanzen nicht verlernt hat. Und deren Optimismus schlussendlich siegt, wovon sie in »Broken hearts heal« erzählt.UnddergroßetoteBruderist immer an ihrer Seite. TORSTENFUCHS 06 MR. VAST TOUCH & GO CACK RECORDS KKKKKDada-Funk Plötzlich steht ein Typ im Büro, von dem keiner so rich- tig weiß, wie er reingekommen ist. Henry Sargeant heiße er, sagt er mit britischem Akzent. Vor einem hal- ben Jahr ist er aus Hamburg nach Leipzig gezogen, weil hier alles bes- ser ist (Sie haben davon gehört). In Hamburg könne man zum Bei- spiel nicht einfach in anderer Leute Büro gehen. Wir fühlen uns geehrt und erklären uns bereit, seine mit- gebrachte neue Platte zu hören. Googelt man den Mann, stößt man sehr schnell auf eine Seite namens weirdestbandintheworld.com und auf seine frühere Band Wevie Ston- ders, die als die Monthy Pythons 010203040506