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kreuzer 09/14 - Politik

Der Zwang zum Pendeln: Die Schulplanung in Leipzig geht an der Realität vorbei, der Ausbau kommt nicht voran

018 Politik 0914 Film 036 Spiel 044 Musik 046 Theater 056 Literatur 064 Kunst 068 Termine 086 In Leipzig ist eine heftige Debatte um die Schul- entwicklung entbrannt. Denn dort, wo die Schülerzahlen explodieren, kommt der Schul- neu- und -ausbau nicht voran. Und dort, wo es nicht einmal ein Dutzend Anmeldungen für ein Gymnasium gibt, wird für knapp 17 Millionen Euro eine alte Schule reaktiviert. Die Auswirkungen sind fatal. »Mein Sohn muss ab September von Lindenau nach Schönefeld gondeln«, sagt ein Vater, der nicht mit Namen zitiert werden möchte, dem kreuzer. »Das trifft uns alle hart.« Sein Nachwuchs ist einer von 120 Schülern, die ab dem jetzt beginnenden Schul- jahr aus Stadtteilen wie Lindenau, Schleußig oder Plagwitz ein weit entferntes Gymnasium besu- chen müssen. »Die Schulen sind nicht da, wo die Menschen wohnen«, fasst der Sprecher der Sächsischen Bildungsagentur in Leipzig die Situ- ation zusammen (s. Interview nächste Seite). Seine Behörde hat deswegen aktuell mehr als 75 Widersprüche und Klagen von Eltern zu bear- beiten, die sich gegen die Schulplanung wehren – doppelt so viele wie sonst. Tatsächlich gab es neben den seit Jahren stei- genden Geburtenzahlen viele Hinweise darauf, dass die Schul-Kapazitäten in einigen Vierteln nicht mehr ausreichen werden. Nun sind sie in ganz Leipzig erschöpft. Doch erst im Dezember 2013 wurde ein Schulbau beschlossen. In der Schönefelder Gorkistraße soll das Gebäude für knapp 17 Millionen Euro hergerichtet werden. Das Absurde daran: Mit 900 Kindern können zukünftig in der neuen Einrichtung etwa hun- dert mal mehr Kinder lernen, als aktuell Anmel- dungen aus dem Viertel vorliegen. Da ist Unmut vorprogrammiert. »Völliger Schwachsinn«, sagt der Vorsitzende des Stadtelternrates Andreas Geisler. Es gebe schon jetzt große Probleme, das nahe Brockhaus- Gymnasium und das Gustav-Hertz-Gymna- sium im Norden zu füllen. »Wenn der Ausschuss, der sich in erster Linie mit der Gestaltung eines Schulnetzplans befasst, im Stadtrat überstimmt wird, wird der Fachverstand mal kurz ausge- setzt«, sagt Geisler. Dann gehe es um Stadtteil- klüngelei. Tatsächlich ging es in der Debatte im Stadtrat weder um die Schüler noch um den Bedarf. Vielmehr wurden im Kampf um vermeintliche Prestigeobjekte Gräben zwischen den Vierteln aufgerissen. So bekomme das Bildungsbürger- tum im Süden die Gymnasien, hieß es da, und die Stadtteile mit weniger betuchten Menschen müssten mit Förderschulen vorliebnehmen. Und: Für Gymnasien wie die BIP Kreativitäts- schule würden Schüler auch durch die ganze Stadt fahren. Doch die Realität sieht anders aus. Nach Angaben des Elternrates favorisieren 90 Prozent der Eltern eine Schule nahe dem Wohn- ort. Einige Eltern haben bereits ihrem Unmut über den Standort Schönefeld in einem offenen Brief Luft gemacht. Dabei warnen sie ebenso wie der Bildungsexperte Nils Berkenmeyer von der Universität Jena vor einer Standortentschei- dung auf Kosten der Schulkarrieren der Kinder. Berkenmeyer spricht einem Gymnasium im Interview mit dem Deutschlandfunk zwar eine Sogwirkung auf Grundschulen zu. Für eine Stadt wie Leipzig und einen Stadtteil wie Schöne- feld sei aber eine Gesamtschule besser. Im kommenden Jahr allerdings werden noch mehr Kinder pendeln müssen. Und womöglich bekommt das Problem ab 2015 eine noch größere Dimension – denn dann sind auch die Grund- schulen rappelvoll. Der Stadtelternrat jedenfalls sieht bereits jetzt schwarz. ANJA NEUBERT Kommentar: Gleich verteilte Bildungschancen Leipzig wächst. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres stieg die Einwohnerzahl um rund 2.000 auf mehr als 540.000. Es gibt mehr Zu- als Wegzüge. Außerdem übersteigt die Zahl der Geburten die der Sterbefälle. Das sind gute Nach- richten. Jedoch: Nachdem durch die Geburten- explosion erst die Kita-Plätze nicht ausreichten, sind nun auch die Schulen überfüllt. Wichtiger denn je ist es deshalb, das vorhandene Geld prä- zise dorthin zu lenken, wo es gebraucht wird. Geld für Grundschulen muss in die Viertel, in denen nur jeder dritte Schüler eine Bildungs- empfehlung bekommt. Dann können in wenigen Jahren die Gymnasien dort mit Schülern aus der Nachbarschaft gefüllt werden. Gut wäre auch das Geld in Gesamtschulen angelegt. Sie bieten niedrigschwellige Übergänge zur höheren Bil- dung sowie Spätentwicklern und lebenslangen Freundschaften eine Chance. Und das Geld für Schulneubauten, Wiederinbetriebnahmen und Containerschulen sollte dorthin, wo diese jetzt benötigt werden. Denn es braucht keine Stadt- teilgräben, sondern ausreichend Schulen an rich- tiger Stelle. Nur so können Schüler ihre Kraft in ihre Bildung stecken und müssen sie nicht auf langen Zwangsschulwegen vertrödeln. ANJA NEUBERT Die Schulplanung in Leipzig geht an der Realität vorbei und der Ausbau kommt nicht voran »Die Schulen sind nicht da, wo die Menschen wohnen« sandraneuhaus Zwang: In diese Schule in Schönefeld müssen ab September etwa 120 Schüler gehen Der Zwang zum Pendeln

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