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kreuzer_07_2014

Welzers Rätsel: Harald Welzer stellt sein Buch vor

012 Kreuzfahrt 0714 Film 036 Musik 042 Theater 050 Spiel 055 Literatur 056 Kunst 060 Termine 072 Harald Welzer betritt den Raum nicht erst, er ist schon unter den Zuschauern, die sich langsam im Plenarsaal des UFZ sammeln. Lässig lehnt er inmitten eines Publikums, das irgendwo zwischen Wissenschaft und politischem Akti- vismus anzusiedeln sein könnte, gibt sich unauf- geregt. Ältere und jüngere Menschen stolpern leicht verschwitzt in den Saal und finden ihre Plätze nebeneinander. Der Einzige, der auf den ersten Blick heraussticht, ist Welzer. Ledermokas- sins, Solariumbräune, Poloshirt – vielleicht ist das sein erstes kulturwissenschaftliches Rätsel an ein Publikum, das mit solchen Symbolen vermutlich nicht viel anzufangen weiß. Warum trägt der so was? Dreimal wird das Mikro er- griffen, bis Welzer die Bühne betreten und sich leger bedanken wird. Der Verein Oikos Leipzig hat den Vortrag organisiert. Mit einer Reihe von Veranstaltungen soll auch diese auf die De- growth-Konferenz hinleiten, die im September in Leipzig stattfindet und sich mit Nachhaltig- keit und sozialer Gerechtigkeit beschäftigen wird. Auch Welzer wird dann wieder vor Ort sein. Welzer, das mediale Schwergewicht unter den Postwachstumsforschern, wenn man ihn denn so bezeichnen kann. Zumindest hat er ein wich- tiges Buch geschrieben. »Das wichtigste Buch des Jahrhunderts, laut taz«, so heißt es in seiner Ankündigung. Später verbessert Welzer, immer noch lässig, es sei selbst laut der taz nur das wichtigste Buch des Jahres. »Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand« heißt es. Ein Thema, das Anklang findet, sonst wären an diesem heißen Dienstagabend vermutlich nicht um die 200 Menschen bis nach Schönefeld gefahren. Vielleicht ist dies das zweite Rätsel, das Welzer aufgibt. Was ist an dem so interessant? Dass er Sozialpsychologe und Soziologe ist und scheinbar zu allem etwas zu sagen hat? Nationalsozialis- mus, Klimawandel, Wirtschaftskrise – Themen, die bewegen, eben. Welzers drittes Rätsel folgt sogleich: Was dachte sich der Bewohner der Oster- insel, der den letzten Baum fällte und somit die Lebensgrundlage der Gemeinschaft endgül- tig zerstörte? Die Osterinsulaner, bekannt für ihre monumentalen Steinfiguren, holzten nach und nach alle Bäume der Insel ab, um ihre Statuen transportieren zu können, und leiteten somit den Niedergang ihrer Kultur ein. Welzer nutzt die Osterinselgeschichte als eine Art Gleich- nis und deutet wenig subtil den Untergang der westlichen Kultur an, der es sowohl an sozialer Intelligenz (Stadtgeländewagen-Fahrer) als auch an realer Kommunikation (Smartphones) fehle. Aber mentale Infrastrukturen, die wie Gewohnheiten fest in unsere Köpfe gebrannt sind, verhindern laut Welzer oft rationales Handeln. Nach dem Motto: Die Kultur macht die verrück- testen Sachen mit uns – und wir machen mit. Welzer beschäftigt sich mit dem Scheitern von Kulturen – es ist komisch, dazusitzen und sich vorzustellen, wie geradlinig man auf den Abgrund zusteuert. Denn noch sind auf jedem zweiten Wahlplakat die parareligiösen Gebote der Wachstumsideologen zu lesen. Wenn »die Weltwirtschaft wieder an Fahrt gewinnt«, »anzieht«, »schwächelt« oder angekurbelt wird, dann erhebt Welzer seinen Zeigefinger. Hier sei das Scheitern einer Kultur schon an ihren Aus- drücken abzulesen. Denn selbst die Ikone des Wirtschaftswachstums, Ludwig Erhard, schrieb einst, dass Wachstum nur für einen bestimm- ten Zeitraum nötig sei. Behände schlängelt sich Welzer durch Epochen und Parabeln, so dass am Ende zwar viele Fragen offen bleiben, aber keine gut genug zu sein scheint, ihn festzuna- geln. Technische und politische Lösungen sind an diesem Abend von ihm nicht zu erwarten. Einige Zuschauer ärgern sich, doch Welzer scheint vor allem auf eins hinauszuwollen: Selbstre- flexion. Dass die materiellen Lebensverhältnisse sich ändern müssen und wir nicht weiter zu- gunsten von symbolischer Statuserhöhung unsere materiellen Ressourcen zerstören können, zumindest das wird vollkommen klar. Schwer ist es, sich von alten Mustern zu lösen. Aber nicht unmöglich. So gönnt Welzer der Subkultur ein gewisses Potenzial, das er zum Beispiel in der schnellen Verbreitung des Urban Gardenings sieht. Beim Publikumsgespräch meldet sich eine Frau. Der wichtigste Satz in Welzers Buch sei für sie gewesen, dass man jeden Tag Widerstand gegen die eigenen Widerstände leisten müsse. Welzer nickt. Wie Beckett sagte: Scheitern, wieder versuchen, wieder scheitern, besser scheitern. Welzer selbst ist Autoliebhaber und bekennt, sich nur schwer von seiner Karosse trennen zu kön- nen. Ein historischer Sohn Erhards eben. Aber er denkt sich was dabei. Anders als der letzte Oster- insulaner. Denn was der sich dachte, als der letzte Baum fiel, kann Welzer sicher sagen: nichts. PIA RAUSCHENBERGER Welzers Rätsel Was ist an dem so interessant? Autor, Soziologe, Lackaffe: Harald Welzer thomaslangreder Harald Welzer stellt sein Buch »Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand« vor – und erzeugt Widersprüche ANZEIGE Bewirb Dich Jetzt! zum Sächsischen Staatspreis für Design 2014 Alle Infos unter: www.design-in-sachsen.de Bewirb Dich Jetzt! Statement: Prof. Rayan Abdullah HGB Leipzig

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