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kreuzer_07_2014 - Film

Migration zurück: Film über türkisch-deutsche Beziehungen

Film 0714 Musik 042 Theater 050 Spiel 055 Literatur 056 Kunst 060 Termine 072036 Während Politiker noch debattieren, ist Inte- gration längst gelebte Realität. Seit fünfzig Jahren wandern Menschen von der Türkei nach Deutschland ein. Die ersten Gastarbeiterfami- lien leben mittlerweile in zweiter oder dritter Generation in diesem Land, längst gibt es auch Familien, die beide Kulturkreise vereinen. Hier im Osten des Landes sind türkisch-deut- sche Familien eher die Ausnahme. Gut, es gibt »Klein-Istanbul« in Berlin, aber die Hauptstadt hat historisch bedingt schon lange eine Sonder- stellung inne. »Wenn man im Osten lebt, hat man mit der türkischen Kultur allenfalls in einem Fladenbrot zu tun«, stellt Matthias Ditscherlein fest. Der 25-Jährige ist im Vogtland aufgewachsen und studierte Fernsehproduktion an der Fern- sehakademie Leipzig. Seitdem ist er als freiberuf- licher Filmemacher tätig. Was hat ihn dann dazu bewogen, gemeinsam mit Anne Denkinger einen Dokumentarfilm über die deutsch-tür- kische Migration zu drehen? »Ich war ein Jahr lang zum europäischen Freiwilligendienst in Izmir. Dort ist uns aufgefallen, wie viele Men- schen in der Nachbarschaft wohnten, die frü- her in Deutschland gelebt haben. Wir sind an einem Laden vorbeigegangen, der hieß Backland und hat deutsche Backwaren verkauft. Freunde und Bekannte sprachen uns an: ›Geht doch mal um die Ecke, da ist ne Frau, die kocht immer Filterkaffe, die hat in Baden-Baden gelebt.‹« Diese umgekehrte Einwanderung hat sie überrascht. »So wurde die Idee geboren, daraus einen Film zu machen.« Anne Denkinger, die Internationale Migration und interkulturelle Beziehungen studierte, kam bereits 2007 zum Freiwilligendienst nach Istanbul und war gleich fasziniert von dem Land. Mit ihrer Begeisterung steckte sie Matthias an. Im letzten Jahr ging Anne dann zu einem Erasmusstudium nach Izmir und die beiden nah- men die Kamera mit ins Gepäck. Sarah Klare, die Matthias von der Fernsehakademie kennt, flog extra aus Indien ein und half bei Kamera und Ton. »Wir sind dahin gereist ohne Unterstützung, ohne eine Durchfinanzierung des Projekts. Wir haben uns gedacht, jetzt sind wir ein Jahr sowieso dort, also lasst uns die Gelegenheit nutzen. Im Sommer letzten Jahres haben wir dann drei Wochen gedreht«, erzählt Matthias. Was aber treibt die Menschen zurück in die Hei- mat? »Es gibt keine einfache Antwort. Das lässt sich nicht so einfach auf vier, fünf Gründe redu- zieren«, stellte Matthias fest. »Sie alle sind in unterschiedlichen Lebensphasen ausgewandert. Einige von ihnen wollen weder dauerhaft in der Türkei noch in Deutschland leben. Die befinden sich irgendwo dazwischen. Die Motivationen sind vielgestaltiger, als man sich das vorstellt.« Da ist Münevver, die sich für Karl Marx begeis- tert. Der Maschinenschlosser Ruhan ist in Ingolstadt groß geworden und betreibt heute eine deutsche Bäckerei in Izmir. Emine lebte mehr als 40 Jahre in Baden-Baden. Als Rentnerin folgte sie dem Ruf der Heimat. Die 33-Jährige in Berlin geborene Derya besitzt die doppelte Staats- bürgerschaft und entschied sich, nach Izmir zu ziehen. Necip wurde in Düsseldorf geboren. Als er 13 war, beschloss der türkische Vater die Rückkehr in die Türkei. Die beiden Filmemacher verstehen ihren Film nicht als offensichtlichen Kommentar zur Debatte über doppelte Staatsbürgerschaft und Integration. »Wir haben die Leute einfach ihre Geschichten erzählen lassen und hoffen, so einen Beitrag zu aktuellen Diskussionen zu liefern«, erklärt Anne Denkinger. »Uns interessiert die menschliche Seite.« So ergaben sich die aktu- ellen Themen in den Erzählungen. Bäckermeister Ruhan etwa hat sich auf die türkische Staatsbür- gerschaft festgelegt. »Er kann jetzt nicht ohne Weiteres nach Deutschland zurück, obwohl er dort auch Kinder hat«, erzählt Anne und fügt hinzu: »Es gibt einige Leute, mit denen wir gesprochen haben, denen der doppelte Pass auch eine gewisse Sicherheit gibt, zu wissen, dass sie wieder zurück nach Deutschland können, wenn sich die politische Situation verschlimmert.« Kritik an der Politik Erdogans wird nicht offen ausgesprochen, wird aber deutlich durch die erfüllten oder nicht erfüllten Erwartungen der Protagonisten. Bis Dezember letzten Jahres haben die Filme- macher vor Ort gedreht. 60 Stunden Material sind zusammengekommen. »Ich hab die Kamera gemacht und Anne den Ton. So sind wir sehr nah an die Leute herangekommen«, erzählt Matthias und Anne ergänzt: »Bis November soll der Film fertiggestellt werden. Premiere wird dann voraussichtlich in Izmir sein, wo zum ersten Mal alle Protagonisten aufeinandertreffen. Aber auch eine Premiere in Leipzig ist geplant.« Mittlerweile haben die beiden Unterstützung von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Goethe- Institut erfahren. Ihre Crowdfunding-Aktion, mit der eine Kinotour finanziert werden soll, war erfolgreich. Die beiden Leipziger blicken opti- mistisch in die Zukunft: »Uns sind so viele glück- liche Begegnungen und Zufälle passiert, dass wir positiv gestimmt sind, dass das Thema Anklang findet und wir damit viele Menschen erreichen können. Das ist unser Ziel.« LARS TUNÇAY ▶ www.hadi-tschuess.de kippelsteinerfilme Migration zurück Matthias Ditscherlein und Anne Denkinger drehten einen Film über türkisch-deutsche Beziehungen »Uns interessiert die menschliche Seite« Die Leipziger Filmemacher mit der Münchner Band Unterbiberger, die türkische und bayrische Musik mischt und das musikalische Thema für »Hadi Tschüss« liefert

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