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kreuzer_03_2016

Raucherpause: Die Theaterkolumne; Kein Kairos: Die Personalpolitik im Westflügel lässt die Szene-Gemüter aufwallen

055 Theater 0316 Termine 086 Kunst 068 Literatur 064 Musik 042 Spiel 040 Film 034 WESTFLÜGEL ANZEIGE Age sells Raucherpause Mit Alter ist gut Kasse machen. Nicht nur Leipzig hat das Abfeiern von Jubiläen als obersten kulturpolitischen Auftrag entdeckt. In diesem Jahr könnten wir die Erfindung der Sodaherstellung (225. Jahrestag) oder die erste Bierurkunde (1250.) feiern. Fürs Theater fände sich im März etwas: der Todestag Erwin Piscators (50.) und die Begriffsmünzung vom Eisernen Vorhang auf die Block- staatenabschottung (70.). Es wird extrem eng, wenn das Jahr auf 365 Tage beschränkt bleibt, sich die Jubeltage aber summieren. Nach dem Geden- ken ist vorm Gedenken. »Seinsvergessenheit« hatte Martin Heidegger dem Menschen attestiert. So hochgestochen muss man es nicht formulieren, aber etwas stimmt nicht, wenn sich die Gesellschaft nur historisch orientiert. Das ist ähnlich weitsichtig wie Autofahren mit stetem Rückspiegelblick. Es ist, als ob man im Urlaub nur frühere Reisen im Kopf hat, auf Berg oder im Tal an die Kletterpartie von damals denkt, Papa beim Plantschen nur von Hiddensee in den achtziger Jahren schwärmt und Mama vom Camping in der Champagne. »Weißt du noch, letztes Jahr der strahlende Himmel?« Und dann gehen sie sich gemeinsam eine nachgestellte Schlacht ansehen. Jetzt schwenkt sogar das heißgeliebte Mosaik in die Luther- dekade ein, lässt die Abrafaxe durch Wittenberg toben. Aber ein Jubiläum könnte zu denken geben und es ist sogar ein Leipziger. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) holt zum Dop- pelschlag aus. Vom hier geborenen Universalgelehrten kann man einiges lernen. So machte er die Theatermetapher zum Wissenschaftsparadigma seiner Zeit. In der Schau der Welt, dem Theater der Natur und Kunst, sollte Erkenntnis gedeihen und Wissen vermittelt werden. Letzteres stellte sich Leibniz zeigend und darstellend vor, er war auf Performance und The- atralität bedacht. Wissen und Wissenschaft werden in unter- haltsamen Vorführungen zum theatralen Ereignis. Was für eine Vorstellung! Gut, mit der Lehre, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben, mag Leibniz geirrt haben. Aber er hat das immer- hin als Potenzial gedacht, das sich irgendwann noch entfal- ten könnte. Weit sind wir in 300 Jahren nicht gekommen. Und schaut man sich das Niveau öffentlicher Diskussionen an, wäre ein bisschen mehr Logik à la Leibniz nicht verkehrt. Eine letzte Lehre: Weil er in Leipzig nicht promovieren konnte, ver- ließ er eben die Stadt hin zu günstigeren Gestaden. Will heißen: Leipzig ist nicht der Nabel der Welt – Jubiläen hin oder her. TOBIAS PRÜWER Gibt es einen günstigen Zeitpunkt für »personelle Verände- rungen«, wie Kündigungen gern genannt werden? Wohl kaum. Besonders ungünstig war der Abbruch des Arbeitsver- hältnisses bei Maria Koch und Josephin Heller im Westflügel terminiert. Die beiden haben dem Theaterhaus – zumindest in der Wirkung nach außen hin – im vergangenen Jahr frischen Auftrieb verschafft (s. kreuzer 09/2015). Drei Tage vor Weihnach- ten wurde bekannt, dass der Westflügel mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet wird – und aus dem Haus war nichts zu vernehmen. Im Januar wurde der Grund klar: Geschäfts- führerin Koch und Pressesprecherin Heller hatten von der Beendigung ihrer Arbeitsverträge erfahren; die eine zwei Tage vorher, die andere am Tag der Bekanntgabe. Das machte in der lokalen Theaterszene schnell die Runde. Gerüchten zufolge geschah der Rauswurf genau aus den Grün- den, für die der Preis verliehen wurde: Öffnung des Hauses, internationales Profil, Streitstätte um und fürs Figurentheater. Andere meinten zu wissen, beide hätten selbst gekündigt. Und es wurde gar getuschelt, der kreuzer würde nicht berich- ten, weil ihn der Westflügel mit einer Anzeige gekauft hätte. Tatsächlich liefen mitten in der Produktionszeit fürs Februar- heft noch die Gespräche der beiden mit dem Vorstand des Vereins Westflügel. Wie bei den Störchen und den Kindern bedeutet auch hier Korrelation nicht Kausalität. Sind nüchtern betrachtet Kündigungen in der Arbeitswelt Normalität, so ist die Emotionalität in der Situation gewiss verständlich. Zumal wir hier von einem Bereich sprechen, in dem Herzblut, Überstunden, Selbstausbeutung bei aller ver- traglich festgesetzten Professionalität stets am Werk sind, oft genug eingefordert werden. »Die zeitliche Nähe von Kündigung und Bekanntgabe des Preises war doppelt bitter«, sagt Josephin Heller. Maria Koch ergänzt: »Das kam aus dem Nichts, natürlich war ich geschockt, als man mir sagte, dass ich gehen soll.« Sie kam im Herbst 2012 als Projektmanagerin ans Haus, ab Januar 2013 agierte sie als Geschäftsführerin. Heller fing im Frühjahr 2015 als Pressesprecherin an. Beiden gefielen am Haus die flache Hie- rarchie, die Haltung, das Miteinander – bis sie genau das am Ende nicht mehr vorfanden. Beides waren halbe Stellen, die, so baten die Frauen den Vorstand, Ende Februar durch eine Kündigung von seiner Seite aus enden sollten. An eine längere Auslauffrist war offensichtlich nicht mehr zu denken. Ein Interim hat übernommen. »Das zeitliche Zusammentreffen suggeriert einen Zusam- menhang, den es nicht gibt«, sagt Westflügel-Vorstandsmit- glied Olaf Schilling. »Natürlich hängt der Preis intensiv mit der Arbeit der beiden zusammen.« Die Entscheidung, das Arbeitsverhältnis »mittelfristig zum Beispiel bis Ende der Spielzeit und ohne Diktation von Modalitäten beenden zu wollen, bestand schon länger.« »Wir haben gemerkt, dass sich die Geschäftsführerposition zur Omnipräsenz entwickelt hatte.« Und diese Entwicklung – ein systemisches Problem, wie Schilling betont – wollte man im Sinn des Theaters korrigie- ren. Die Verantwortlichkeiten werden künftig breiter verteilt, erklärt Charlotte Wilde, ebenfalls Vorstandsmitglied. Die Programmgestaltung soll kollektiviert werden. Befürchtungen um die Qualität teilt sie nicht: »Dass sich das Programm ändert, weil die Mitarbeiter gehen, ist absurd. Eher, wenn die Künstler gingen. Es ist ja als Haus von Künstlern für Künstler gegründet worden, also wollen wir auch, dass sie sich hier profilieren.« TOBIAS PRÜWER Die Personalpolitik im Westflügel lässt die Szene-Gemüter aufwallen Kein Kairos: Kündigung Phase W: Ohne Menschen gehts manchmal gemütlicher zu

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