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kreuzer_03_2016

Eisvergessen: Leipzigs Eishockeyteam spielt in einem Zelt in Taucha - und träumt vom Weg nach oben

028 Magazin 0316 Film 034 Spiel 040 Musik 042 Theater 054 Literatur 064 Kunst 068 Termine 086 Nummer 41 ist dieser verrückte Kanadier: Vollbart, lange Haare und dünne Beine. Du würdest nicht denken, dass der Bursche schon 37 Tore geschossen hat, wenn er die schwarze Scheibe kriegt und gemächlich Fahrt aufnimmt. Brad Snetsinger aus Ajax, Ontario, ist der beste Stürmer der Leipziger Icefighters, aber einer vom Typ schlampiges Genie. Jetzt ist sein Moment gekommen, die Fans glücklich zu machen. Die 39. Minute im Duell mit dem Erzrivalen aus Halle: Snetsinger steht frei, schießt hart und trifft nicht. Ein zweites Mal hat er die Chance, doch wieder versiebt. Kein Tor für Leipzig, später noch drei für Halle. Dieser Tag, es ist der 12. Februar, endet mit einem traurigen Abend für die Ice- fighters. 2.000 Leute mit blau-weiß-schwarzen Pudelmützen und Schals sind bedient. Es wird viel geschimpft beim Abmarsch aus der Eisarena von Taucha. Die Leipziger spielen in Taucha? So ist es. Mit der Linie 3 rutscht man ins Gewerbegebiet hinter der Stadtgrenze. Dort steht seit 2012 ein weißes Zelt mit Spitzdach, errichtet von zwei Malermeis- tern aus Taucha, die das Eishockey in Leipzig sogar nach drei Insolvenzen nicht verloren gaben. Im Zelt glitzert die holzwandig begrenzte Tief- kühlfläche, 57 mal 27 Meter groß – kürzer und schmaler als anderswo, da der Raum für die üblichen 60 mal 30 nicht reicht. Die Zuschauer kleben nah am Spielfeld, eng gedrängt, es gibt fast nur Stehplätze, richtig old-school. Die 170 Sitzplätze sind improvisiert: Edelfans sitzen an Tischen direkt am Eis, die volkstümliche »Loun- ge« ist über den Mannschaftsbänken. Jede Lücke wird genutzt. Kurz vor Spielbeginn hievt der Manager noch einen Stuhl in die Sponsoren-Ecke, die von den billigen Plätzen ausgepfiffen wird, weil sie bei der Begrüßung nicht mitmacht. Aber eigentlich ist alles Familie in der Hütte von Taucha: Eine Leidens- und Liebesgemeinschaft. Die Icefighters sind eigenwillig, urwüchsig, kreativ. Das fängt beim Namen an. Im Eishockey sind meistens Panther, Tiger, Falken, Bären oder Füchse unterwegs. Diesen Zoofimmel wollten die neuen Macher nach der Pleite des Vorgän- gerklubs »Blue Lions« nicht mehr. Sie kamen auf einen in der Hockeywelt fast exklusiven Kampf- namen, der die Unbeugsamkeit und Hingabe der Leipziger Eissportfreunde ausdrückt. Dazu prä- sentierten sie ein handgemaltes Vereinswappen, das den Uni-Riesen mit einem sausenden Puck, eine Flamme mit einem Gitterhelm kreuzt. Aufsehen erregten auch die Trikots in Himmel- blau-Schwarz – eine elegante Rarität in deut- schen Stadien. Die ganze Marke ist fünf Jahre später Kult. Es würde Ärger geben, sollte ein Grafiker die Absicht haben, die Eiskämpfer neu und nach Schema F zu stylen. So wie den innig ausgebuhten Nachbarn: Die Hallenser heißen Saale Bulls und Mitteldeutscher Eishockey- Club, tragen das Rot des Stadtwappens, die Sparkasse ist lukrativer Brustsponsor – gut auf- gestellt nennt man das im Marketing. Nach dem 1:5 gegen die Bullen heißt es für Leip- zig: hinten einreihen. Die Rolle des Underdogs muss das treue Publikum verkraften. Stolz sind sie auf den Titel »beste Fans der Liga«. Tatsäch- lich machen die singenden, hüpfenden, trom- melnden und klatschenden Anhänger ordentlich Bambule. Beim Einlaufen und beim traditio- nellen »Huddle«, dem Einschwören des Teams, zeigen die Recken noch ohne Helm ihre Haar- pracht. Das wissen einige kreischende Mädchen zu schätzen. Dann fällt der Puck aufs Eis, die Menge schreit: »I – F – L«. Ein Novize fragt: Was rufen die, Bielefeld? Der Lärmpegel ist so hoch, dass die Erklärung kaum ankommt: IFL, steht für Ice Fighters Leipzig. Deren Fankultur ist erfreu- lich: Es gibt einen mächtigen Einpeitscher in Ultramanier, aber auch einen stimmgewaltigen Block, der auf eigene Faust loslegt. Wenn es gut läuft, macht auch die Gegengerade mit. Beim einzigen Torjubel des Abends kreiseln hübsch die blauen Schals. Der DJ heizt mit coolen Riffs ein und bringt die gute alte Hammond-Orgel. Erst als die Icefighters untergehen, soll platte Party- musik den Frust verdrängen. Die Mädchen ­ singen trotzig mit. Weil in Leipzig, dieser eisvergessenen Sport- stadt, das Bau-auf-Prinzip immer noch die Tageslosung ist, haben die Icefighters einen ungewöhnlichen Bandenchef engagiert. Sven Gerike hat den nötigen Pioniergeist, Lust am Abenteuer und das gewisse Hyper-Engagement für besondere Missionen. Der 39-jährige Berli- ner bewies als Spielertrainer in Regensburg, dass er mit langem Atem planvoll Strukturen auf- bauen und nebenher sportlichen Erfolg bringen kann. Nach dem knorrigen Deutsch-Kanadier Mannix Wolf – als Ex-Nationalspieler und TV- Kommentator bekannt wie ein bunter Hund – vertrauen die Icefighters nun einem Newcomer, derdenJobebensoreflektiertwieselbstkritisch macht. Ein Pokerface und Schönredner ist Gerike CHARLOTTE SATTLER (3) Eisvergessen Leipzigs Eishockeyteam spielt in einem Zelt in Taucha – und träumt vom Weg nach oben 1 Versiebt: Brad Snetsinger (M.) im Spiel gegen die Saale-Bulls 2 und 3: Die Leipzig Icefighters haben ein selbstgemaltes Logo und »die besten Fans der Liga« Von Sven Crefeld 1 2 3

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