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kreuzer_04_2016 - Film

"Dogma war unsere Kommune": Thomas Vinterberg wirft in "Die Kommune" einen Blick zurück in seine Kindheit

Film 038 0416 Spiel 046 Musik 048 Theater 060 Literatur 070 Kunst 074 Termine 086 Kommunen werden hierzulande meist mit politischer Motivation und dem Drang nach sexueller Befreiung gleichgesetzt. Darum geht es den Protagonisten in Thomas Vinter- bergs bewegendem Drama »Die Kommune« aber keineswegs. Es ist vielmehr der Wunsch nach einem Miteinander, der Erik und Anna antreibt, die geräumige Villa, die sie gerade geerbt haben, gemeinsam mit Gleichgesinnten zu bewohnen. Doch dieser Traum wird zur Bewährungsprobe für ihre Beziehung und vor allem für Anna (überragend: Trine Dyrholm, Silberner Bär als beste Darstellerin) zu einem persönlichen Alb- traum. Vinterberg, der selbst in einer Kommune aufwuchs, wirft dennoch einen liebevollen Blick zurück. Sein Film ist eher Beziehungsstudie als eine Sezierung des alternativen Lebensstils. Auf der Berlinale sprach der Däne über seine Kindheit in der Kommune, Einsamkeit und das Dogma-Kollektiv. kreuzer: Ihr Film wirft einen nicht unbedingt posi- tiven Blick zurück. THOMAS VINTERBERG: Ich schrieb eine Liebes- erklärung an meine Kindheit in der Kommune. Offensichtlich ist es ein Drama geworden, Men- schen sterben und lassen sich scheiden und all das. Aber ich schrieb dies aus einer Sehnsucht heraus. Es gab eine Zeit, als Menschen teilten. Diese Zeit ist vorbei und ich vermisse sie. In mei- nen Augen handelt dieser Film hauptsächlich von der Unbeständigkeit der Dinge. Die Zeit ver- geht, die Liebe, das Leben – die Dinge sind plötz- lich vorbei und mir ist nie klar geworden, warum. Meine Frau (Helene Reingaard Neumann – d. Red.) ist Theologin und eine tolle Schauspielerin. Ich frage sie jeden Tag, warum das so ist, und habe keine Ahnung, wovon sie redet. (lacht) Also versuche ich Filme darüber zu drehen. kreuzer: Inwieweit war das Dogma-Kollektiv mit einer Kommune vergleichbar? VINTERBERG: Die Dogma-Bewegung war sehr ähnlich unserer Kommune. Als meine Eltern in dieses Haus zogen, zusammen mit einigen ande- ren verrückten Familien in dieser Zeit, machten sie etwas Unerhörtes. Sie wuchsen in den Fünf­ zigern auf, lebten in patriarchalischen Familien. Sie taten also fast etwas Illegales und sie fühl- ten sich gut dabei, sehr sexy. Sie sprangen von einer Klippe, ohne zu wissen, ob sich Wasser darunter befinden würde. Und in gewisser Weise war es das, was wir mit Dogma taten. Ich erin- nere mich an den Tag, nachdem wir die Erklärung veröffentlicht hatten. Es gab einige wirklich aggressive Reaktionen darauf. Die Leute meinten: »Das ist Selbstmord, das Ende eurer Karrieren. So kann man doch keine Filme machen.« Das gab uns das sensationelle Gefühl, gemeinsam auf dünnem Eis zu stehen. kreuzer: Was ist aus den damaligen Idealen ge- worden? VINTERBERG: Als man uns 1998 in Cannes einen tosenden Applaus gab, war das der Anfang vom Ende. Dogma sollte eine Revolte sein, eine Erneuerung und war verbunden mit einer Menge Risiken. Über Nacht wurde es enorm erfolgreich und zur Mode. In meinem Land kann man heute Dogma-Möbel kaufen. Es gibt einen Bringdienst, der einem Dogma-Einkäufe bringt. Das heißt, man bekommt eine Box, in der prak- tisch nichts drin ist. Darum ging es uns nicht. Wir haben relativ schnell bemerkt, dass das Risiko, die Revolte und all das ersetzt wurden durch Sexyness, Mode und Erfolg. Das war zum einen ein Erfolg und mag ja ganz natürlich sein. Es bedeutete aber gleichzeitig auch das Ende von Dogma. kreuzer: Die Kommune in Ihrem Film entspricht nicht dem Bild, das man weithin von der Bewe- gung der 68er hat. VINTERBERG: Wir versuchten die Klischees zu vermeiden, Lagerfeuer, Nacktheit – wobei wir da nicht ganz erfolgreich waren. Meine Schau- spieler wollten sich unbedingt ausziehen. (lacht) Es ging uns aber darum, zurückzukehren zur Wahrheit und Reinheit, in einer Kommune zu leben. Man gab uns als Kinder eine enorme Verantwortung und behandelte uns als Erwach- sene. Das war vielleicht zu viel, aber sie haben etwas Neues ausprobiert. Sie haben abseits der alltäglichen Falle gedacht. Natürlich gab es Opfer und natürlich funktionierte nicht alles für jeden. Aber es war eine mutige Mission, auf die sie sich begaben. kreuzer: Wie hat sich das Zusammenleben mit der Zeit verändert? VINTERBERG: Allein in der Straße, in der ich auf- wuchs, gab es sechs Kommunen. Keine glich der anderen, sie hatten alle ihre eigenen Wert- vorstellungen. Unsere Kommune war einfach eine erweiterte Familie. Eine Gruppe Akademi- ker – Lehrer, Ärzte, Journalisten und ein paar Kinder. Das war nichts Außergewöhnliches, es war einfach eine Art von Familienleben. Es gab dieses Gefühl von Großzügigkeit, etwa diese Regel, dass man die Miete gemessen am Einkom- men zahlte. 1985 waren noch drei Familien übrig, von denen keine ausziehen wollte, weil es einen Garten und eine Putzfrau gab. Die Zeiten hatten sich geändert. Gemeinschaft wurde durch Freiheit und Individualismus ersetzt, was auch fantastisch war. Es gab ein natürliches Ende und darum geht es auch in meinem Film. LARS TUNÇAY ▶ »Die Kommune«: ab 21.4., Passage Kinos Dogma war unsere Kommune Thomas Vinterberg wirft in »Die Kommune« einen Blick zurück in seine Kindheit Gemeinsam einsam: Erik, Anna und die anderen versuchen einen alternativen Lebensstil PROKINO FILMVERLEIH GMBH »Meine Eltern fühlten sich sehr sexy«

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