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kreuzer_05_2015

Komplexe Ostmoderne: Das Stadtarchiv zeigt Pläne und Zeichnungen für ein modernes Leipzig; Kriegsspielplatz: Laut, lärmend, nachdenklich: Kinder erobern den Lindenauer Markt

014 Kreuzfahrt 0515 Film 036 Spiel 042 Musik 044 Theater 054 Literatur 062 Kunst 066 Termine 078 In der dritten Etage des Stadtarchivs breitet sich bis Anfang Juli ein kleines und feines Univer- sum aus. Es beginnt mit Landwirtschaftsbauten, dem Modell »Das schöne sozialistische Dorf« und reicht bis zur Planung der Neuen Messe. All das und noch viel mehr umfasst das Leben von Hans-Dietrich Wellner, dessen Nachlass das Archiv verwaltet. Nach Maurerlehre und Architekturstudium begann er als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Landwirtschaftliches Bauwesen an der Karl-Marx-Universität. 1968 folgte die Anstel- lung im Büro des Leipziger Chefarchitekten. Dort war Wellner zuerst für das Stadtzentrum, bis 1990 in der Abteilung Komplexer Wohnungs- neubau und später im Stadtplanungsamt für Grünau tätig. So steht seine Erwerbsbiografie beispielhaft für die Generation, die nach dem konservativen nationalen Baustil unmittelbar nach Kriegsende nun eine Moderne für eine lebenswerte Stadt formen wollte. Nach 1989 musste sie miterleben, wie die DDR-Moderne, ausrangiert und verteufelt, oft einer öden Inves- torenarchitektur weichen musste. Oder wie mit den Mitteln des Stadtumbaus dem komple- xen Aufbau ein simpler Abbruch folgte. Die Ausstellung bietet Zeichnungen und Modelle, die Blicke auf die Innenstadt werfen, wie sie sich heute nicht mehr zeigt. Artikel erzählen von der damaligen Atmosphäre und den hochfliegenden Plänen von Hochhäusern rund um den Promenadenring oder dem Kosmo- drom im Clara-Zetkin-Park. Wellner zeichnete neben dem neuen Leipzig auch Exkursionspläne und Postkarten. Wenn all dies schon interes- sante Einblicke ermöglicht, dann sorgen die ge­­ planten Vorhaben in Grünau für eine wahre Wiederentdeckung. Nicht nur ein Rathaus sollte entstehen, sondern in jedem Wohnkomplex Kaufhallen, Gaststätten und Schwimmhallen, wohl in Form und Proportion. Das war dann doch etwas zu viel für die Realwirtschaft, so dass dort 1999 mit der Grünauer Welle die erste und bisher einzige Schwimmhalle eröffnete. In dem Jahr ging Hans-Dietrich Wellner in den Ruhe- stand. BRITT SCHLEHAHN ▶ »Hans-Dietrich Wellner (1934–2013) – Stadtplanung für Leipzig«, bis 9.7., Stadtarchiv, Torgauer Str. 74, ab Herbst im Stadtteilladen Grünau, Stuttgarter Allee 19 Das Kanonenrohr zielt direkt aufs Theater der Jungen Welt (TdJW). Bedrohlich ragt der stählerne Zylinder aus einem Gebilde heraus, das sich mitten auf dem Lindenauer Markt festge- setzt hat. Es hat etwas Panzerhaftes – würden zwischen dem militärischen Flecktarn nicht auch Blümchenmuster auftauchen. Kinder tol- len auf den Flächen herum, klettern Stangen hoch, fläzen darunter wie unter Sonnensegeln. Willkommen auf dem Kriegsspielplatz! Für zwei Tage laden das TdJW und das Kinder- büro zu dieser außergewöhnlichen Inbesitz- nahme des öffentlichen Raumes ein, zu dem für alle offenen Kinderfest und dem an Schüler gerichteten Aktionstag für Kinderrechte. »Wir geben den Kindern Freiraum«, erklärt die TdJW- Pädagogin Yvonne Weindel. »Wir laden sie ein, zu sagen: ›Der Markt ist unser!‹ Und dann schauen wir halt, was passiert.« Eingebettet ist die Aktion in die Inszenierung »König der Kinder: Macius!« (Premiere: 30. April). Das Auftragswerk nach Motiven von Janusz Korczak – der polnische Arzt und Pädagoge setzte sich bis zu seinem Tod 1942 im KZ für Kinder- rechte ein – bringt die Idee eines Kinderparla- ments auf die Bühne. Der Kriegsspielplatz ist ein weiterer Dreh, um Kinder als Mitglieder der Gesellschaft ins Bewusstsein zu rücken. »Der Spielplatz ist auch ein Ort der Aggression und des Konflikts, daher wollten wir diese gestalterische Mischung«, so Weindel. Als ausführender Bauer konnte Hans-Georg Kellner gewonnen werden, der aus seiner Werkstatt im Thüringer Wald heraus die ganze Welt mit individuellen Spiel- platzkonstruktionen beglückt. Um die 500 hat er mittlerweile jeweils ortsspezifisch entworfen, in Berlin zuletzt ein fliegendes Klassenzimmer realisiert. Vom TdJW-Vorhaben zeigte er sich begeistert, sagt Theaterpädagogin Weindel: »Ihm gefiel die Wertfreiheit – dass der Spielplatz eben nicht sofort ausdrückt: Krieg ist böse. Die Kinder sollen ja selbst ein Haltung entwickeln.« Wie der Platz zu füllen ist, hat ein Kinderkomitee selbst entschieden. Also wird es eine Schokola- denmanufaktur, eine Fahrradwerkstatt und einen Tauschbasar geben. Von den Buchkindern bis zum Connewitzer Nachbarschaftsgarten sind Initiativen dabei, um ein breites Mitmachpro- gramm anzubieten, aus dem die Kinder picken können. Immerhin ist kein Stadtteilfest West geplant, sondern eine für alle Leipziger Kinder offenstehende Feier. Sogar 3-D-Spielzeug sollen sie selbst ausdrucken können. Und wenn sie sich dann um dieses streiten? »Dann ist das so«, sagt Weindel, die betont, dass der belehrende Zeigefinger für zwei Tage mal ruhen darf. »Wenn sie Krieg spielen wollen, dann spielen sie eben Krieg!« TOBIAS PRÜWER ▶ Kinderfest: 31.5., 13–18 Uhr, Lindenauer Markt ▶ Aktionstag für Kinderrechte, speziell für Schüler: 1.6., 10–14 Uhr, Lindenauer Markt STADTARCHIVLEIPZIG,NACHLASSHANS-DIETERWELLNERTOMSCHULZE Das Stadtarchiv zeigt Pläne und Zeichnungen für ein modernes Leipzig Laut, lärmend, nachdenklich: Kinder erobern den Lindenauer Markt Komplexe Ostmoderne Kriegsspielplatz Gewünschte Realität in Grünau Noch Modell, bald aber entsteht dieses Teil in Groß auf dem Lindenauer Markt

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