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kreuzer_05_2015

Wie bei Schwerverbrechern: Die Beschlagnahmung von Handys bei Demonstrationen droht normal zu werden; Schnecke des Monats: Schlecht gelaunte Ältere

021 Politik0515 Termine 078 Kunst 066 Literatur 062 Theater 054 Musik 044 Spiel 042 Film 036 Schnecken sind gemächlich krie- chende Tiere. Wenn sie sich nicht einfach wie im Garten absam- meln oder mit einer Bierfalle zur Strecke bringen lassen, dann muss man manchmal einfach geduldig sein, bis sie auf ihrer Schleim- spur eines Tages langsam davongeglitten sind. Die jüngste Bürgerumfrage Leipzigs gibt Anlass zur Hoffnung, dass es sich mit der Angst vor Ausländern so verhält. Wie jedes Jahr hat das Amt für Statistik und Wahlen im vergangenen Herbst Fragebögen verschickt, in denen die befragten Leipziger unter anderem Angaben machen konnten zu ihrem Befinden, ihrem Einkommen und der Frage, wo sie die größten Probleme in der Stadt sehen. Ein deutliches Ergebnis: Je jünger die Befragten waren, desto zufriedener waren sie mit ihrem Leben in Leipzig. Je älter, desto mehr rückten Pro- bleme wie etwa Kriminalität in den Fokus. Wäh- rend 73 Prozent der befragten Bürger über 55 Jahre die Sicherheit in der Stadt als größtes Übel bezeichneten, waren es bei den 18- bis 25-Jährigen nur 39 Prozent. Während Jüngere sich vor allem um Kitaplätze, Straßen und Schulen sorgten, empfanden die Älteren Straßen, Sauberkeit und Leipzigs Schulden als größere Probleme. Vor allem aber das Zusammenleben mit Aus- ländern beurteilten nur 17 Prozent der jungen Erwachsenen, aber 26 Prozent der Alten als schwierig. Die Statistik sagt leider nichts über die Gründe aus, ob es die veränderte Erfahrungswelt ist, die die Jüngeren mehr Zutrauen in das Zusammen- leben mit Menschen aus anderen Ländern haben lässt – oder ob sie mit steigendem Alter selbst ängstlicher werden. Im guten Fall wächst sich Xenophobie langsam aus. ENSHA Schnecke des Monats Schlecht gelaunte Ältere Man muss nicht lange darüber reden, dass die Randale eine schädliche Aktion war. Am 15. Januar, vier Tage nachdem in Dresden der Asylbewerber Khaled I. ermordet aufgefunden wurde, versammelten sich in Leipzig bis zu 1.500 Personen zu einer Spontandemonstration, die von der Unibibliothek Albertina durch Innen- und Südvorstadt zog. Dabei warfen einige Teilnehmer Fensterscheiben ein, hinterließen Graffiti. Abgesehen davon, dass Khaled I. offen- bar nicht von Rassisten umgebracht wurde, stellt sich mindestens die Frage, wie rund 70.000 Euro Sachschaden den Opfern rassistischer Gewalt helfen sollen. Eher tragen sie dazu bei, linkes Engagement gegen Fremdenhass zu kriminalisieren. Und genau das ist passiert. Die Polizei, die erst spät auf den Demozug rea- gierte, stoppte rund 200 Teilnehmer in der Nähe des Südplatzes und hielt sie bei kaltem Winter- wetter in der Braustraße stundenlang fest. Die Beamten konfiszierten 150 Handys, drei Com- puter sowie 13 Vermummungsgegenstände, darunter für den Winter nicht unübliche Schals. Vorgeblicher Zweck: Bilder und Videos sollten Hinweise geben, wer für die Zerstörungen ver- antwortlich ist. Gegen 194 Personen wurden Ermittlungen wegen schweren Landfriedens- bruchs eingeleitet, zwei Personen vorläufig festgenommen. Die massenhafte Beschlagnahmung der Handys von Demonstranten stelle einen in Deutsch- land bisher einmaligen Vorgang dar, sagt Sönke Hilbrans. Der Rechtsanwalt ist Vorstand im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte- verein (RAV), der soziale Bewegungen unter- stützt. »Schon beim Vergleich der Zahl der sichergestellten Mobiltelefone – 150 – mit der Zahl der sichergestellten möglichen Vermum- mungsgegenstände – 13 – lässt sich erkennen, dass die Masse der Betroffenen mit Straftaten wohl nichts zu tun hat.« Tatsächlich wussten viele Teilnehmer vorher nicht, dass andere randalieren wollten. Die Stu- dentinnen Marie* und Lotta* arbeiteten gerade in der Unibibliothek, als sie durch Flyer von der Kundgebung erfuhren. Spontan schlossen sie sich an. Sie ahnten nichts von Gewalt und auch nicht, dass die Polizei am Ende des Abends ihre Telefone einkassieren und über einen Monat behalten würde. Polizei und Ermittler gehen aber offenbar davon aus, dass sich die Demonstranten gezielt verab- redet hatten. Auf eine Landtagsanfrage teilte Innenminister Markus Ulbig (CDU) mit, es habe sich nicht um eine Spontanversammlung gehandelt, weil im Internet zur Teilnahme auf- gerufen worden war. Ein Leipziger Amtsrichter schrieb Anwalt Jürgen Kasek, ein Bekenner- schreiben im Internet belege: Linksorientierte Gewalttäter hätten die Demo zum Zweck der Sachbeschädigung initiiert. Spätestens nach der ersten gebrochenen Scheibe hätten das alle Teilnehmer wissen müssen. Wer dennoch geblie- ben sei, habe sich einverstanden erklärt. Der Aufzug wird also wie organisierte Kriminalität behandelt. Dazu passt das eingesetzte Mittel. »Die Beschlagnahme und Auswertung von Tele- kommunikationsgeräten ist inzwischen jahr- zehntelange Praxis beispielsweise bei der Auf- klärung von Strukturen und Verkaufsvorgängen im Drogenhandel«, sagt RAV-Anwalt Hilbrans und fügt hinzu: »Allerdings kommt es dabei sel- ten vor, dass die Geräte von Nichtverdächtigen beschlagnahmt werden.« Klar ist damit auch der Zweck: Wenn keine belastenden Fotos gefunden werden, lässt sich anhand von Anrufen und SMS vielleicht ermitteln, wer die zentralen Mobili- sierer waren. Sie könnten für das Nichtanmelden der Demo verfolgt werden. Handybeschlagnahmung droht zum gängigen Mittel bei allen möglichen Vergehen zu werden. Am 30. Januar wurde einem No Legida-Teilnehmer das Telefon abgenommen, weil er den Außen- spiegel eines geparkten Autos beschädigt haben soll. Seine Anwältin Rita Belter legte Beschwerde ein. Es sei nicht ersichtlich, »dass das Handy irgendetwas mit dem Tatvorwurf zu tun hat«. Derzeit befindet das Landgericht über den Widerspruch, nachdem ihn das Amtsgericht abgewiesen hat. Auch viele Teilnehmer der Spontandemo haben ihre Geräte inzwischen wieder. Nur bei 63 Tele- fonen kamen die Ermittler bislang nicht an die gewünschten Daten heran, weil die Besitzer ihr Gerät in den Werkzustand zurückversetzten oder den Akku herausnahmen und die Poli- zisten kein passendes Ladegerät hatten. Marie hatte zwar die Simkarte herausgenommen, stellte aber nach Rückgabe ihres Telefons merk- würdige Veränderungen fest. Der Akku, bei Beschlagnahmung eigentlich leer, war halb voll. Auf dem Telefon ihrer Freundin Lotta waren Apps wieder installiert, die sie eigentlich längst gelöscht hatte. »Es ist ein bedrückendes Gefühl, dass die Polizei Einblicke in unser Privatleben hatte«, sagt Marie. Einziger Lichtblick viel- leicht: Der sächsische Datenschutzbeauftragte hat sich inzwischen in das Verfahren einge- schaltet. Auf kreuzer-Anfrage teilt die Behörde mit, man achte darauf, dass für die Strafverfol- gung unwichtige Daten nicht erhoben bezie- hungsweise gelöscht würden. Nach Abschluss der Ermittlungen soll es einen offiziellen Bericht geben. Marie hat sich dennoch ein neues Telefon gekauft, weil sie Angst hat, das alte könnte nun abgehört werden. CLEMENS HAUG * Namen von der Red. geändert Die Beschlagnahmung von Handys bei Demonstrationen droht normal zu werden Wie bei Schwerverbrechern FRANZISKABARTH Wer hat wen zur Demo eingeladen, wollen die Ermittler wissen

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