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kreuzer_06_2015

Vermeintliche Gefahrenzone: Polizei und Innenministerium rechtfertigen den Polizeiposten Connewitz mit schöngerechneten Zahlen; Schnecke des Monats: Tausendjährige Stadt

016 0615 Film 030 Musik 036 Theater 044 Literatur 054 Kunst 058 Spiel 065 Termine 070 Politik Eigentlich war alles nur eine Spielerei im Poli- zeiposten am »Bermudadreieck«. Offensicht- lich gelangweilt schnippt ein Polizeibeamter eine Büroklammer in Richtung seines Kollegen. Sie landet im Auge des Beamten, der seit dem Vorfall im März 2014 sehbeinträchtigt ist. Der Verursacher steht nun wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Wäre der Vorfall nicht so tragisch, könnte man ihn komisch nen- nen. Denn der polizeilichen Außenstelle wird schon seit der unerwarteten Errichtung immer wieder vorgeworfen, unnütz zu sein. Aussagen wie die eines Connewitzer Bewohners: »Die sitzen da drin und hören Hörspiele« (kreuzer 05/2014) werfen die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Postens auf, der vor etwa einem Jahr in Reak- tion auf einen Anschlag auf das Bürgerbüro eröff- net wurde. Seitdem sitzen hier zwei bis vier Beamte und kontrollieren das Viertel. Oder suchen nach Beschäftigungen. Was das bringt? Nach einem reichlichen Jahr rühmt sich die Polizei in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei mit der Krimina- litätsstatistik. Seit die Beamten das Büro im Süden bezogen haben, sei die Kriminalität im Viertel um 29,7 Prozent zurückgegangen, im direkten Umfeld des Postens sogar um 37,6 Pro- zent, während Straftaten im gesamten Stadt- gebiet um 12,5 Prozent zunahmen. Die Zahlen ergeben sich aus dem Vergleich der ersten fünf Wochen des Jahres 2014 mit jenen nach Einrich- tung des Postens im Februar 2014. Die Land- tagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke), die in Connewitz lebt und arbeitet, bezweifelt diese Angaben: »Connewitz ist und war im stadtweiten Vergleich kein Kriminalitätsschwerpunkt.« Eine zweite Anfrage sollte den Ursprung und somit den Informationswert der Zahlen klären. Heraus kamen Informationen, die jeden Statisti- ker verzweifeln lassen. Der massive Kriminali- tätsrückgang stützt sich auf den Vergleich zweier völlig unterschiedlicher Datengrundlagen. Die Zahlen bis zum Jahre 2014 ergeben sich aus der PKS (Polizeiliche Kriminalitätsstatistik), einer Ausgangsstatistik, die bereits bearbeitete Fälle enthält. Die späteren Zahlen jedoch wurden der PASS-Datenbank (Polizeiliches Auskunftssystem Sachsen) entnommen. Das Problem dabei: PASS ist im Gegensatz zur PKS eine Eingangsdaten- bank, erfasst also alle aufgenommenen Fälle. Was in der PKS als ein Vorfall zusammengefasst wird, kann in der Datenbank PASS schnell zu siebzig einzeln aufgeführten Straftaten werden. Hier liegt der Ursprung der hohen Straftaten- rate Anfang 2014, verglichen mit der wesentlich geringeren, da bearbeiteten, Ausgangsstatistik. Die Aussagekraft des Vergleiches liegt damit bei null, die Zahlen zum angeblichen Krimina- litätsrückgang sind nicht zu gebrauchen. Doch warum hat die Polizei ein so großes Interesse daran, Connewitz neben permanenter Videoüberwachung am Kreuz auch durch perso- nelle Präsenz zu kontrollieren, und verzerrt zur Rechtfertigung sogar Statistiken? Bedenkt man die seit Jahrzehnten geltende Bewertung des Stadtteils als gefährlicher Ort, liegt die Ver- mutung nahe, dass die Einrichtung des Polizei- postens in Connewitz politisch motiviert ist. Die Einrichtung eines Kontrollbereiches ermächtigt die Polizei, für einen längeren Zeit- raum jede Person verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Die Soziologen Peter Ullrich und Marco Tullney halten diese »Gefahrengebiete« jedoch für problematisch. Die Orte seien nicht unbedingt objektiv gefährlich, sondern häufig Produkt der Konstruktion von Bedrohung. Ziel einer solchen polizeilichen Überwachung sei nicht vorrangig die Bekämpfung vermeintlicher Kriminalität, sondern vor allem Eindämmung politischer Dissidenz oder subkultureller Abwei- chung von den herrschenden Normen. Der Polizeiposten in Connewitz dient demnach vor allem der politischen Legitimation der Polizei und dem Innenministerium selbst. Ullrich und Tullney sehen einen »wesentlichen Eingriff in bestehende Rechte«, die »Gefahr« in Kontroll- bereichen wie Connewitz sei häufig nicht real. Im Stadtteil sind die meisten Straftaten Sach- beschädigungen, vor allem Graffiti. Gefährliche Kriminalität indes ist in diesem Viertel eher selten zu finden. Patrouillierende Polizisten stattdessen häufig. Ob der Polizeipo- sten notwendig und förderlich für das Zusam- menleben im Quartier ist, bleibt fraglich. Die Einrichtung des Reviers erscheint vielmehr als symbolpolitische Handlung. Positive Effekte können die vorgelegten Zahlen jedenfalls nicht belegen. SArAH ULrICH Vermeintliche Gefahrenzone Polizei und Innenministerium rechtfertigen den Polizeiposten Connewitz mit schöngerechneten Zahlen Langweiliger Job: Die Beamten im Polizeiposten Connewitz haben wenig zu tun sWenreichhold Nun kriecht wieder die Schnecke namens Großereignis durch die Stadt. Erst Völkerschlacht, dann Wendejubiläum und jetzt 1.000 Jahre. Der geneigte Beobachter wird den Eindruck nicht los, Leipzig findet noch jedes Jahr einen Anlass, sich selbst groß zu feiern. Das 800. Stadtjubi- läum ist zwar gerade einmal 50 Jahre her, aber egal. Zum Glück wurde die erste urkundliche Erwähnung gefunden, die das Warten auf den nächsten spektakulären Geburtstag um 150 Jahre verkürzt. Natürlich ist es die moderne Eventökonomie, die jede Stadt dazu zwingt, aus Gründen der Tourismusförderung und des Standortmarke- tings ständig neue Ereignisse zu erfinden. Es hätte auch eine Schlagerparade sein können. Nur, was kommt nach der tausendjährigen Ersterwähnung? Welches Ereignis der jüngeren Geschichte taugt noch, um den ewigen Groß- veranstaltungszirkusweiteramLaufenzuhalten? Man darf gespannt bleiben und auf die Archäo- logen hoffen. Vielleicht finden sie bald irgend- ein Artefakt, das den 2.000. Geburtstag der Stadt schon in naher Zukunft rechtfertigt. Die Schnecke Geschichtsverwertung ist in Leipzig ziemlich rasant unterwegs. enSHA Schnecke des Monats Tausendjährige Stadt

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