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kreuzer_09_2015 - Literatur

"Grauen kann eine Erleichterung sein": Katharina Hartwell über ihren neuen Roman "Der Dieb in der Nacht"

064 Literatur 0915 Film 036 Spiel 042 Musik 044 Theater 054 Kunst 068 Termine 088 Verkopfte Germanistenromane sind Katha- rina Hartwells Sache nicht. In ihrem ersten Roman »Das fremde Meer« experimentierte sie mit Märchen und Fantasy, ihr zweites Buch ist ein veritabler Gruselroman. In »Der Dieb in der Nacht« verschwindet Pauls bester Freund. Ob Felix tot ist oder sich einfach aus dem Staub gemacht hat, ist nicht sicher. Paul ist seitdem auf der Suche nach ihm – und meint, ihn in dem geheimnisvollen Künstler Ira Blixen gefun- den zu haben. kreuzer: Wie Blixen sich in Pauls Leben einnistet, das hat etwas von einem Schauerroman. Lesen Sie selbst gern solche Bücher? KATHARINA HARTWELL: Ja, Schauerromane sind wichtig für mich, genau wie Horrorfilme. Ich finde, das Gefühl des Grauens ist ein durchdrin- gendes, es überwältigt und nimmt mich ganz in Anspruch. Ich muss mich nicht anstrengen, um es hervorzubringen. Dieses Gefühl von Beunruhigung, Spannung, Grauen, das kann, wenn man es in hoher Konzentration erlebt, fast eine Erleichterung sein, weil es einen aus dem Alltag hebelt. kreuzer: Wenn man sich gruseln will, muss man doch eigentlich nur die Zeitung aufschlagen oder den Fernseher anmachen. HARTWELL: Die Furcht wird in diesen Büchern ja nicht verstärkt, sondern eher neu formuliert, verdeutlicht, irgendwie sogar erklärt. Ich emp- finde im Alltag oft unverhältnismäßige Angst, aber wenn ich sage: Vor einem Arztbesuch zittern meine Hände, das bringt ja niemandem mei- nen Innenzustand näher. Im Schauerroman kann ich Situationen bauen, die das Gefühl der Beun- ruhigung sehr viel besser zum Ausdruck brin- gen. Und das ist für mich erst mal eher eine Erleichterung. kreuzer: Neben Paul und Blixen ist auch Felix eine starke Figur, der verschwundene Freund. Sowohl Paul als auch Blixen schlüpfen in die Leerstelle, die er durch sein Verschwinden hinterlässt. Wie wichtig ist Ihnen Felix als Figur? HARTWELL: Die Leerstelle war mir wichtiger als die Figur, sonst hätte ich den Roman anders konzipiert. Ich wollte vor allem über die Leerstelle schreiben und darüber, was sie im Leben der anderen bedeutet. Aber als Autor muss man eben ziemlich genau wissen, was sich in einer Leer- stelle befindet, auch wenn man den Lesern nur kleine Ausschnitte präsentiert. Ohne dieses Füll- material, das eben unsichtbar für alle anderen ist, kracht einem der ganze Roman zusammen. kreuzer: Und – ist Ihnen der Roman zusammen- gekracht? HARTWELL: Wie der Roman zuvor – und vermut- lich der Roman danach – ist mir auch dieser im letzten Drittel zusammengekracht. Das kommt wahrscheinlich daher, dass ich ziemlich lange blind arbeite. Dann irgendwann kommt der Moment, da ich den Roman so weit freigeschau- felt habe, dass ich ihn sehe. Und dann erschre- cke ich, weil ich feststelle, dass ein Teil unnötig und ein anderer noch nicht geschrieben ist, dass ich das Wichtigste noch gar nicht weiß und mich in etwa drei entscheidenden Punkten geirrt habe. Krise, Ärger, Weitermachen. So arbeite ich anscheinend. kreuzer: In Ihrem ersten Roman haben Sie ver- schiedene Genres durchgespielt, Horror war auch dabei. Fühlen Sie sich darin literarisch angekom- men? HARTWELL: Ich glaube, ich bin schon im »Frem- den Meer« angekommen in diesem Spiel mit den Genres. Da habe ich mir einen Raum gebaut, aus dem zehn Türen führen. In dem will ich nun bleiben und mal die eine Tür aufmachen und mal die andere. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, mich von den Genres ganz abzuwen- den. Einen Wenderoman kann man jetzt eher nicht von mir erwarten. Einen Wenderoman mit Außerirdischen vielleicht, das schon. kreuzer: Stimmt eigentlich das Gerücht, dass der zweite Roman der schwerste ist? HARTWELL: Wie die meisten Vereinfachungen ist das natürlich falsch. Jeder Roman bringt sein eigenes Set an Problemen und Hürden mit sich und unterscheidet sich von allen anderen Romanen, ob nun vom ersten oder vom zehnten. Der erste Roman allerdings ist der einzige, bei dem man noch nicht weiß, ob man es schafft, eine so lange Strecke durchzuhalten. Falls also irgendein Roman besonders schwer ist, ist es meiner Ansicht nach der erste. kreuzer: Hat Ihnen damals Ihr Studium am Litera- turinstitut geholfen? HARTWELL: Vielleicht war es insofern hilfreich, als ich gelernt habe, an Dingen festzuhalten, die einen Text angreifbar machen. Ein guter Schuss Pathos zum Beispiel ist mir wichtig. Ich schlit- tere lieber knapp am Kitsch vorbei, als mich in so einer kühlen, glatten Gleichgültigkeit zu bewegen. Und das ist mir auch beim zweiten Roman geblieben, dass ich bei bestimmten Pas- sagen dachte: Ich weiß schon, wem das aufsto- ßen wird. Und dann habe ich mich ein bisschen gefreut, weil ich wusste, ich muss das nicht nächste Woche vier Stunden lang verteidigen. INTERVIEW: KATHARINA BENDIXEN ▶ Katharina Hartwell: Der Dieb in der Nacht. Berlin: Berlin Verlag 2015. 320 S., 20 € Katharina Hartwell über ihren neuen Roman »Der Dieb in der Nacht« »Ein guter Schuss Pathos ist mir wichtig« »Grauen kann eine Erleichterung sein« Einen Wenderoman können wir von ihr nicht erwarten – höchstens mit Außerirdischen: Katharina Hartwell tobiasbohm

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