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Medienhype oder Gentrifizierungsdebatte? Einundleipzig erkundet die Stadt – ein Gastbeitrag; Schnecke des Monats: Der schönste Spruch der Welt

01 Politik1014 Termine 084 Kunst 072 Literatur 068 Theater 058 Musik 046 Spiel 044 Film 038 Zuerst kam die überschwängliche Medienbe- richterstattung über das »neue Berlin« und mit ihr der sogenannte Hype um Leipzig. Die Berichte übertrafen sich an Superlativen, mit denen die neue Boom-Stadt im Osten Deutsch- lands glorifiziert wurde. Seit einigen Monaten aber passiert das, was in der Stadt schon lange Tenor war, auch in den Medien: Die Diskussion dreht sich. Gentrifizierung, Aufwertung und Verdrängung sind die Begriffe, die nun in einem Atemzug mit Leipzig genannt werden. Handelt es sich hier – ähnlich wie beim Hype- zig-Phänomen – auch nur um eine Blase, eine künstlich übersteigerte Debatte? Oder ist Gen- trifizierung wirklich ein akutes Problem in Leipzig? Und was tut sich eigentlich sonst so in der Leipziger Stadtentwicklung? Diesen Fragen geht einundleipzig nach. In wenigen Tagen will das Studenten-Trio hinter dem Projekt seine Ergebnisse auf einer multimedialen Website prä- sentieren. Vorab eine der wichtigsten Erkennt- nisse: Eine pauschale Antwort lässt sich auf die Fragen nicht geben. Leipzig hat sich gewandelt in den vergangenen Jahren. Aus der schrumpfenden Stadt ist eine wachsende geworden, rund 10.000 Bewohner mehr zählt Leipzig jährlich. Die Zahl der leer stehenden Wohnungen ist von 60.000 auf schät- zungsweise 30.000 gesunken. Verfallene Stadt- viertel werden aufgewertet und wiederbelebt. Eigentlich doch eine gute Entwicklung, oder? Mit erhöhter Nachfrage und Sanierungen gehen auch Mietpreissteigerungen einher – in manchen Vierteln kaum spürbar, in beliebten Quartieren umso stärker. Wie dramatisch ist also diese Entwicklung für Leipzig? Es sind nicht nur Immobilienakteure und Mietpreisgeplagte aus westdeutschen Groß- städten, die über die Situation am Leipziger Wohnungsmarkt lachen. Auch in Leipzig selbst gibt es Stimmen, die von einer überzogenen oder gar überflüssigen Diskussion sprechen. René Hobusch von der FDP zum Beispiel sagt: »Ich bin der festen Überzeugung, dass es Verdrän- gungsprobleme oder eine Gentrifizierung in Leipzig nicht gibt, und ich halte die Debatte für ein Luxusproblem.« Während einige Akteure also von einer längst überfälligen Angleichung an gesamtdeutsche Verhältnisse sprechen, sieht Roman Grabolle vom Netzwerk Stadt vor allem ein Problem bei den durchschnittlich niedrigen Löhnen in Leipzig, die zudem nicht einmal parallel zur Inflation ansteigen. Die Mietbelastung für einzelne Haus- halte wird damit immer größer. »Gerade aus gefragten Stadtteilen wie Schleußig oder Plagwitz bekommen wir verstärkt Mitteilungen von Leuten, die wegen Mietsteigerung oder Sanie- rung ausziehen müssen und in ihrer Nachbar- schaft nichts Vergleichbares mehr finden«, sagt Grabolle. Im Leipziger Osten nimmt man das Wort Gen- trifizierung bisher nicht in den Mund. Obwohl hier der Immobilienmarkt an Dynamik gewon- nen hat, scheint es noch viel Raum für güns- tiges und alternatives Wohnen zu geben. Im Bülowviertel zum Beispiel haben sich Eigentümer zusammengeschlossen, um die Nachbarschaft gemeinschaftlich und nachhaltig aufzuwerten. Hier existieren konventionelle Eigentümer- Mieter-Verhältnisse neben alternativen Ausbau- oder Selbstnutzerhäusern. Der Leipziger Süden war vor zwei bis drei Jahren eine umkämpfte Zone, als Teerbomben gegen frisch sanierte Hauswände flogen. Mittlerweile gilt die Südvorstadt als durchsaniert und hoch- preisig. Und der Norden? Von dort kommt wenig Zündstoff für die Debatte um die Leipziger Stadt- entwicklung. Hier scheint sich wenig zu bewegen. Die mehr als 1.000 Wohnungen der Krochsied- lung in Gohlis wurden beispielsweise schon Anfang der neunziger Jahre saniert. Dann ist da noch Grünau, Großwohnsiedlung im Plattenbaustil. Nach der Wiedervereinigung hat der Stadtteil gut die Hälfte seiner 80.000 Bewohner verloren. Diejenigen, die dort geblie- ben sind, alterten gemeinsam mit der Platte. Zwar hat sich in den vergangenen Jahren schon viel getan in Grünau, der Stadtteil ist wieder attraktiver geworden, viele Bewohner fühlen sich wohl. Doch braucht es junge Menschen, die hier- herziehen und die Siedlung weiterhin beleben. Es wird klar, dass es in Leipzig nicht die eine Debatte um die Stadt und ihre Entwicklung gibt. Gentrifizierung ist momentan ein großes Thema. Doch je nach Begriffsverständnis, Per- spektive und Interessenlage wird die Situation von unterschiedlichen Akteuren ganz anders eingeschätzt. Weniger beliebte Stadtteile stehen wiederum ganz anderen Herausforderungen und Entwicklungen gegenüber, die nicht weniger spannend sind, aber vielleicht von den Medien nicht so sehr beachtet werden. All solche Diskussionen, Definitionsversuche und Geschichten will das Projekt einundleipzig aufzeigen. In Zukunft soll aus dem aktuellen Blog www.einundleipzig.de, auf dem bisher einige Appetitmacher zu lesen waren, eine multime- diale Website mit Videos, Infografiken, Karten und Reportagen zur Leipziger Stadtentwick- lung werden. cArolYn Wissing ▶ Die Autorin dieses Textes ist Mitinitiatorin des einundleipzig-Projektes. Im Juli 2012 ist im Engelsdorfer Verlag aus Leipzig ein Buch erschienen. Das ist im Grunde keine Sensa- tion. Das Großartige ist das Buch selbst. Es heißt »Leipzig: 600 Mal die Nr. 1 in Deutschland«. Autor Detlev Schröter hat auf 168 Seiten die Superlative der Stadt zusammenge- tragen. Der aufmerksame Leser erfährt bei der Lektüre etwa, dass der erste »Tatort« der Welt zum Teil in Leipzig spielt, dass sich die größte Tropenhalle Europas natürlich in Leipzig befindet oder dass Deutschlands größtes Friedhofsge- bäude in Leipzig gebaut wurde. Kurzum: Leipzig ist eine Stadt der Superlative. Der Platz hier reicht leider nicht aus, um alle großartigen Erfin- dungen Deutschlands, alle ersten Plätze Euro- pas und alle erstmaligen Ereignisse auf der Erde, die mit Leipzig zu tun haben, aufzuzählen. Der Leipziger, das ist nicht unbekannt, ist stolz auf seine beste, schönste und erfolgreichste Stadt. Und dieser Superhelden-Gedanke hat sich längst auf ganz Sachsen (das sächsischste Bundesland des Universums) ausgeweitet. Nicht anders ist der neue Slogan des Freistaates zu erklären, der jüngst vorgestellt wurde und nun kräftig für Sachsen werben soll. Er heißt »Großes braucht keine großen Worte. So geht sächsisch.« Wer meint, von Leipzig lernen heißt siegen lernen, sollte jedoch auch einen Blick auf alle Superla- tive der Stadt werfen. Die Leipziger haben das geringste Pro-Kopf-Einkommen in Sachsen – und das sächsische Durchschnittseinkommen liegt noch unter dem Bundesschnitt. Hochmut kommt vor dem Fall. Zumindest oft. bm Schnecke des Monats Gastbeitrag Der schönste Spruch der Welt Einundleipzig erkundet aktuelle Entwicklungen und Diskussionen in der Stadt Medienhype oder Gentrifizierungsdebatte? Gentrifizierung im Blick: Das Einundleipzig-Team ralFseeGers

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