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kreuzer_02_2015 - Politik

"Verschwörungstheoretisches Milieu": Demokratieforscher Michael Lühmann im Gespräch

014 Politik 0215 Film 032 Musik 038 Theater 048 Literatur 056 Spiel 059 Kunst 060 Termine 072 Die Pegida-Bewegung ist nicht zufällig in Dresden so stark, erklärt Politologe Michael Lühmann. Die Elbstadt habe sich zum Mekka eines rechtsgerichteten Milieus entwickelt, so der gebürtige Leipziger, der in Göttingen forscht. Das habe im Freistaat eine breite Basis, die von Erzkonservativen über religiöse Fundamenta- listen bis hin zur Neonaziszene reicht. kreuzer: Warum haben sich im einst roten Sach- sen rechte Einstellungen so stark verbreitet? MICHAEL LÜHMANN: Das ist ein komplexes Phä- nomen mit einer langen Geschichte. In Sachsen wurde die Konfrontation zwischen Rechten und Linken immer in sehr scharfer Form ausgetra- gen. Während der Weimarer Zeit wurde das Land von der SPD beherrscht. Doch gegen Ende liefen in einigen Regionen besonders viele Menschen zu den Nationalsozialisten über, etwa in der Gegend um Zwickau und im Vogtland. So verwan- delte sich das rote Kernland in ein braunes. Während der DDR war in Sachsen die Renitenz gegen das Regime sehr ausgeprägt. Bis heute ist linkes Denken deshalb teilweise komplett diskreditiert. kreuzer: Hat sich der Hass auf die DDR zum Motor für rechte Einstellungen entwickelt? LÜHMANN: Auf jeden Fall befördert er die Pola- risierung. Viele Menschen geben dem Sozialis- mus die Schuld daran, dass es 40 Jahre lang schlecht lief, und nun verhandeln sie Politik in seltsamen Freund-Feind-Schemata. Alles, was nicht links ist, muss gut sein. Bei Nazi-Aufmär- schen hat man eher weggesehen. Aber sobald Linke auf der Straße randalierten, schrillten alle Alarmglocken. Hinzu kommen die sozialen Milieus im Süden und Osten von Sachsen. kreuzer: Was passiert dort? LÜHMANN: In Südsachsen etwa gibt es zahlreiche evangelikale Gemeinden (s. kreuzer 02/2014). Die sind modernitätskritisch und lehnen auf- grund ihrer besonders strengen Bibelauslegung etwa Homosexualität rundheraus ab. Wegen ihres eigenen missionarischen Eifers müssen sie auch den Islam bekämpfen. Diese Gemeinden sind sehr einflussreich und ihre Positionen schla- gen auf den politischen Alltag durch. In Ostsach- sen wiederum haben radikal rechte Parteien einen starken Stand. Bei der vergangenen Land- tagswahl haben AfD, NPD und Pro Deutschland im Wahlkreis Bautzen zusammen beinahe 30 Prozent der Stimmen erreicht. kreuzer: Sehen Sie Parallelen zu anderen ost- europäischen Gesellschaften? Auch in Polen gibt es christliche Fundamentalisten. In Ungarn wie- derum regieren stramme Nationalisten. LÜHMANN: Eine meiner Kolleginnen kommt aus Polen. Sie forscht zur politischen Kultur in Osteuropa und findet diese auch bei Pegida wieder. Viele Beobachter übersehen, dass Ost- deutschland noch immer eine Gesellschaft in Transformation ist. Viele Menschen sind sozial abgestiegen, Lebensläufe wurden entwertet. Der Frust darüber entlädt sich in Ressentiments, weil es dann jemanden gibt, der noch unter einem steht. Forscher waren lange Zeit verwun- dert, dass der Systemwechsel in den neuen Ländern im Gegensatz zu anderen Ostblock- staaten relativ gesittet zuging. Zwar erzielten DVU und NPD hohe Wahlergebnisse, gab es viele rechtsradikale Aufmärsche. Aber die Mehr- heitsgesellschaft schien schnell in der Demo- kratie anzukommen. Pegida zeigt, dass die poli- tische Orientierung auf Konsensfindung, wie sie in Westdeutschland seit den siebziger Jahren herrscht, in Sachsen noch lange kein Alltag ist. kreuzer: Die sächsischen CDU-Landesregierungen haben viele rechte Forderungen umgesetzt. Wa- rum erscheint nun eine Bewegung auf der Straße, die sich enttäuscht gibt? LÜHMANN: Einige Kommentatoren meinen, die CDU unter Angela Merkel habe rechte Positi- onen freigegeben, in die nun AfD und Pegida nachrücken. Die Sachsen-CDU hat aber nichts freigegeben, sich nicht nach links bewegt. Sie hat stattdessen die Diskurse darüber, was man sagen darf, weit geöffnet. Der frühere Justizmi- nister Steffen Heitmann etwa war der Meinung, die deutsche Sonderrolle nach dem National- sozialismus sollte zu Ende sein, oder man müsse auch bei Themen wie Ausländern und Frauen endlich Tabus aufbrechen. Die CDU hat den Men- schen so das Gefühl vermittelt, dieses Denken und Handeln sei in Ordnung. Nun argumentie- ren viele Leute, der »gesunde Menschenver- stand« zeige, dass es Probleme gebe, etwa mit dem Islam. AfD und Pegida radikalisieren diese Entwicklung weiter. Es ist ein rechtes, verschwö- rungstheoretisches Milieu entstanden, das sich gegenseitig bestärkt und für demokratische Positionen nicht mehr erreichbar ist. kreuzer: Gibt es auch eine Kontinuität vom auto- ritären Charakter der DDR hin zu Pegida? LÜHMANN: Ja. Für Ostdeutschland war es nach 1989 eine völlig neue Erfahrung, dass es so etwas wie Regieren durch gesellschaftlichen Konsens gibt. Während der massiven Umwäl- zungen entwickelten viele Menschen aber schnell eine Sehnsucht nach einer starken, ordnenden Hand. Die Führung selbst kann dabei vollkom- men irre sein. Die Pegida-Frontfigur Bachmann etwa ist ja eine ausgesprochen schillernde Per- son. Seine Biografie kann aber offenbar hinter seinem massiven Auftritt verschwinden. kreuzer: Erklärt sich die Pro-Russlandhaltung Pegidas als Sympathie für einen starken Putin? LÜHMANN: Das ist schwer zu verstehen. Es mag an der Führungsfigur liegen, aber auch am in verschwörungstheoretischen Kreisen grassie- renden Antiamerikanismus. Deren Fantasien gehen bis zum Bild eines »Weltjuden«, der von den USA aus alles steuert. Und Putin war 1989 in Dresden stationiert. Dass die sowjetischen Truppen in den Kasernen blieben, hatte zwar mit der Aufhebung der Breschnew-Doktrin durch Gorbatschow zu tun. Das bedeutete, die Sowjet- union würde sich nicht mehr in innere Angele- genheiten der Blockstaaten einmischen. Aber es kann auch vermutet werden, dass man bei Pegida diesen KGB-Mann für einen Aufrechten hält, weil es friedlich blieb. Es ist wie so oft ver- mutlich eine Mischung aus allem. kreuzer: Was müsste geschehen, um die menschen- feindlichen Einstellungen abzubauen? LÜHMANN: Eine sich christlich gebende Volks- partei wie die CDU muss sich deutlich und klar zur Demokratie und zur Anerkennung gesell- schaftlicher Veränderungen bekennen. Sie muss sich öffnen und modernisieren und darf nicht darauf beharren, den rechten Rand abzu- decken. Das tut sie offensichtlich sowieso nicht mehr. Es muss klar werden, welches Denken gefährlich ist. Man muss möglicherweise einge- stehen, dass manche Menschen für die Demo- kratie verloren sind, und sollte eher um diejeni- gen kämpfen, die Leuten wie Pegida oder der AfD auf den Leim gehen könnten. INTERVIEW: CLEMENS HAUG »Verschwörungstheoretisches Milieu« Pegida lässt sich mit dem Blick auf die sächsische Geschichte erklären, sagt Demokratieforscher Michael Lühmann Manchmal muss man das Offensichtliche auf die Straßen tragen: Anti-Legida-Protest am 12.1.2015 NickPutzmann Für demokratische Positionen nicht mehr erreichbar

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