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kreuzer_02_2016

Gut zu tun: Der Ägypter Mohamed Okasha ist einer, der anpackt

011 Kreuzfahrt0216 Termine 072 Kunst 060 Literatur 056 Theater 046 Musik 036 Spiel 034 Film 028 www.vlw-eg.de Vereinigte Leipziger Wohnungsgenossen- schaft eG Hartzstr. 2, 04129 Leipzig Telefon: 0341 9184-299 Sprechzeiten (mit Termin): Mo. + Mi. 8–17 Uhr Di. + Do. 8–18 Uhr Fr. 8– 13 Uhr Sprechzeiten (ohne Termin): Di. 14–18 Uhr Do. 8–12 Uhr VLW eG seit 1922 eine Gute Adresse mit TraditionANZEIGE Nasskalt, nachmittags irgendwo in Mockau, eine Biertisch- garnitur verliert sich in einem geräumigen Innenhof halb im Laub. Wer sich mit Mohamed Okasha unterhalten will, muss flexibel sein und vor allem eines können: teilen. Denn es gibt viele, die ein Stückchen seiner Zeit und Aufmerksam- keit benötigen. Als Sozialbetreuer in einer Unterkunft für Geflüchtete versucht der Ägypter aktuell, 72 Menschen dabei zu helfen, die Chiffren deutscher Asyl-Administration zu entschlüsseln. Eben kehrt er mit einem seiner Schützlinge vom Termin beim Jobcenter zurück, lebhaft gestikulierend durchschreiten beide den Hof. Offensichtlich gibt es Redebedarf. Schon bekommt man einen vagen Eindruck davon, wie hier der Alltag aussehen mag. Wer schon den Gang zum Einwohnermeldeamt als stressig empfindet, sollte Mohamed vielleicht einmal einen Tag lang begleiten. Trotzdem scheint er weit entfernt davon, zu resignieren. Mit Ausdauer arbeitet sich Okasha durch immer neue Formulare und Anträge, die ihm von Männern und Frauen mit ratlosen Blicken vorgelegt werden. Die sauberen Mappen mit Behörden- logos können allerdings nur kurz über die Abgründe hinweg- täuschen, die sich in ihnen verbergen. Die Diskussionen werden mitunter heftiger. Kein Problem für Mohamed: »Die Geflüch- teten verstehen nicht, was die Behörden konkret von ihnen wollen. Manchmal machen sie in ihrer Frustration dann auch mich für ihre Schwierigkeiten verantwortlich.« Doch die Wut währt meist nicht lange. Schon wird wieder gelacht, die Hand auf die Schulter gelegt. Köpfe tauchen in den Fenstern der Unterkunft auf, Rufe schallen über den Hof. Wieder mal ein seltener Augenblick ungestörter Unterhal- tung. Eine gute Gelegenheit, mehr über diesen Menschen zu erfahren. Zum Beispiel, dass er auch den Deutschunterricht für mehrere Flüchtlingsunterkünfte in Leipzig organisiert. Als Master-Absolvent und angehender Promovend in »Deutsch als Fremdsprache« ist das für ihn sicher keine unlogische Wahl. Zusätzlich betreibt er noch einen Videoblog – »Tagebuch eines Flüchtlings in Deutschland«. Gemeinsam mit einem syrischen Regisseur nimmt Mohamed kurze Videos auf, in denen auf Arabisch pragmatische Tipps für Geflüchtete in Deutschland gegeben werden. Okasha: »Ich kann sowieso nicht alle überallhin begleiten. Also versuche ich vor allem, ihnen zu helfen, sich selbst um ihre Angelegenheiten zu kümmern.« Kaum ist der Satz ausgesprochen, folgt auch schon der Beleg. Ein Bewohner kommt an den Tisch, vielleicht Anfang fünfzig, tiefe Falten, ausgezehrtes Gesicht, aber umso wachere Augen, in der Hand eine Kaufland-Tüte. Wieder folgt ein gestenreiches Gespräch. Kauderwelsch für sprachunkundige Ohren, selten dringen vertraute Laute aus diesem Wust. Kaufland, Quittung. Aha, der Mann will etwas umtauschen. Man mag sich kaum vorstellen, welch entgeisterte Blicke ihn mit seinem Anliegen an der Kasse erwarten. Egal, geduldig wiederholt Mohamed immer wieder diese Worte: »umtauschen«, »Quittung«. Ermu- tigt zieht der Mann von dannen, entschlossen, sich ein wei- teres Stück Normalität zu erkämpfen, wenigstens scheinbare. Also wieder zu den Projekten: Deutschunterricht, Video- blog, Theaterstücke, Handreichungen für ehrenamtliche Leh- rer, alternative Stadtführungen, Vorträge, aufgezählt in schneller Reihenfolge, nur unterbrochen von kurzen Pausen, um sich selbst wieder einzuholen. Man merkt Okasha an, dass er nicht zum ersten Mal davon berichtet und es wohl auch gerne tut. Die Hände sind ständig in Bewegung, nicht fahrig, eher energetisch, dynamisch, selbstbewusst. Doch es gibt noch einen anderen Mohamed. Bei der Frage nach seinem Weg nach Deutschland wird der sonst so eloquente Ägypter auf einmal zögerlich, fast unsicher. Vor zwei Jahren kam er nach Leipzig, zum Zwecke eines schon länger geplanten Auslandssemesters, doch dann überschlu- gen sich die Ereignisse. General Sisi putschte sich an die Macht, und plötzlich war Mohamed im eigenen Land nicht mehr sicher. Warum? »Ich war aktiv bei der Revolution dabei, habe mit Freunden Demos auf dem Tahrir-Platz organisiert. Als Sisi an die Macht kam, wurden zunächst die Muslimbrüder verfolgt, später dann alle, die mit der Revolution zu tun gehabt hatten.« Also blieb er in Leipzig, fing ein neues Studium an. Politisches Asyl war keine Option, denn für die Bundes- regierung ist Ägypten ein sicheres Herkunftsland, sagt er mit bitterem Lächeln. Eine weitere Facette seiner Persönlichkeit tut sich auf, die eines politischen, meinungsstarken Aktivisten. Der Umgang Deutschlands mit den Massen von Geflüchteten? »Katastro- phal! Die Behörden kommunizieren nicht miteinander. Meine Leute hier haben so viele Talente, aber alle bleiben ungenutzt.« Sprachkurse? »Zuerst gab es gar nichts, jetzt bieten Auslän- derbehörde und Jobcenter Kurse für die gleiche Zielgruppe an.« Die Landesregierung? »Eine Farce. Letztens war ich als Vertreter ausländischer Studierender bei einer Veranstaltung in Dresden, ›Sachsen für alle‹ oder so. Vor der Tür demons- trierten Geflüchtete für ihre dringendsten Anliegen, und im Saal drosch Ministerpräsident Tillich irgendwelche Phrasen, kein Wort zu Pegida, der Demonstration draußen oder sonst was.« Man möchte sich entschuldigen für die Kapriolen deutscher Berufspolitiker. Doch noch bevor dieser Gedankengang vollen- det ist, spricht Mohamed schon wieder am Telefon, schließ- lich will das nächste Projekt organisiert werden. Wie immer hat er gut zu tun. Florian Franze Gut zu tun Der Ägypter Mohamed Okasha ist einer, der anpackt – Grund genug, ihn näher kennenzulernen Immer bereit für Hilfe zur Selbsthilfe: Mohamed Okasha FranziskaBarth Telefon: 03419184-299

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