Gut vernetzt ist halb gedreht: Anne Scheschonks Dokumentarfilm "Mädchenseele"; Leipzig von innen: Schwarwels persönlicher Blick auf 1.000 Jahre Leipzig
Film 037 0815 Termine 074 Kunst 062 Literatur 058 Theater 052 Musik 044 Spiel 042 Für die kleine Polly ist es ganz klar: Sie ist ein Mädchen, weil sie eine Mädchenseele hat. Doch ihr Körper ist der eines Jungen. Wie sie und ihre Mutter mit dieser Situation umgehen, davon erzählt »Mädchenseele« – oder vielmehr, davon wird er erzählen. Das Geld für einen Film zum Thema Transidentität von Minderjäh- rigen zu beschaffen, ist schwierig. Mehr noch für einen Dokumentarfilm. Die in Halle lebende freie Autorin, Ethnologin und Filmemacherin Anne Scheschonk entschied sich daher, es über den Weg des Crowdfunding zu versuchen. In ihrer Kampagne hatte sie es sich im Mai zum Ziel gesetzt, innerhalb von zwei Monaten knapp zehntausend Euro Kapital für ihr neues Projekt »Mädchenseele« zu sammeln. Bereits seit Okto- ber 2013 besucht Anne Scheschonk die kleine Polly und deren Mutter. »Wir hatten so die Mög- lichkeit, uns kennenzulernen, dabei ist das Recherchematerial entstanden, das auch in den Clips zu sehen ist.« Fast zweihundert Menschen fanden den Weg zur Seite und waren von Polly berührt und an ihrer weiteren Entwicklung interessiert. Deswegen haben sie den Film mit kleinen und großen Spenden unterstützt und die Zielmarke geknackt. Die Finanzierung der letzten Drehtage ist somit gesichert und die Regisseurin kann die weitere Produktion und Fertigstellung von »Mädchenseele« zum Herbst dieses Jahres etwas besser planen. »Polly hat den Begriff Mädchenseele selbst geprägt. Für sie beschreibt es wohl am besten, wie man weiß, dass man ein Mädchen ist. Vor allem wenn der Körper – unserem Verständnis nach – da eine andere Sprache spricht«, erklärt die Regisseurin den Filmtitel. Wie bei all ihren Arbeiten steckt Anne Scheschonk in das neue Filmprojekt sehr viel Zeit, Energie und Herzblut. Über verschie- dene Kanäle hat sie schon während der Vorarbei- ten zum Dreh geworben. So auch bei der Mittel- deutschen Medienförderung (MDM), wo sie am »Kontakttag 2015« Medienvertreter für den 30-Minüter über die Entwicklung der kleinen Polly interessieren und begeistern konnte. Neben der Vernetzung mit den Vereinen Trans- Kinder-Netz und der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität ist jede Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit für den Film, auch jene durch die MDM, wichtig. Denn nach wie vor ist die öffentliche Wahrnehmung zu stark von der unsensiblen und oft auch reiße- rischen Berichterstattung zum Thema Transse- xualität oder Transidentität geprägt. Die enga- gierte Filmemacherin merkt dazu an: »Vieles wird vermengt oder fälschlich über einen Kamm geschert: Travestie, Transsexualität, Interse- xualität, Homosexualität. Mit den Lebenswelten von minderjährigen Kindern, die im anderen Körper leben, und ihren Familien hat das in der Regel nichts zu tun.« Die Dokumentation »Mäd- chenseele« geht äußerst behutsam mit diesem Thema um und hat dabei den Anspruch, etwas aufzuzeigen, wofür zum Thema Transidentität im einfachen Schubladendenken und in den Klischeebildern vieler Medienberichte gar kein Platz ist, nämlich die Seele einer kleinen Trans- person im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext sichtbar zu machen. CLAUDIA CORNELIUS ▶ Mehr über den Film und die Regisseurin: ▶ www.facebook.com/maedchenseele ▶ www.annescheschonk.com Eigentlich wollte sich der Filmemacher und Comiczeichner Schwarwel in »Leipzig von oben« mit der Stadtgeschichte auseinanderset- zen, doch dann kam alles anders. Entstanden ist die Geschichte für ein außergewöhnliches autobiografisches Kurzfilmprojekt. kreuzer: Wie kam es dazu? SCHWARWEL: Als wir vor einem Jahr den Vor- gänger »1989« machten, haben wir bereits beschlossen, dass wir zur 1.000-jährigen Erst- erwähnung was machen wollen, und darüber mit dem MDR geredet. Eigentlich hatte man sich dort auf einen Feierfilm eingestellt. Nun ergab sich das aber in meinem persönlichen Umfeld so, dass das Jahr nicht so feierlich begann, mit dem Tod meines Vaters. Irgendwann musste ich dann aber doch etwas vorlegen und so brachte ich genau das zu Papier, was ich gerade durch- machte. Trotzdem sollte es ein positiver Film werden und keine reine Nabelschau. Die Stadt- geschichte sollte ja auch eine Rolle spielen. So ist es jetzt ein öffentliches Nachdenken über meine Beziehung zu dieser Stadt. Das ganze Hypezig- und Heldenstadt-Gebaren fällt aus. Wie blöde zu feiern, nur weil es einen Jahrestag gibt, ist mir zu wenig. kreuzer: Wie bist du herangegangen an ein so persönliches Projekt? SCHWARWEL: Ich habe in der Nachtwache, als mein Vater versuchte zu schlafen, angefangen, die Situation zu beschreiben, und dann die Assoziationen laufen lassen. Wo sind wir, wo kommen wir her? Das zog dann immer größere Kreise hinein in die Geschichte der Stadt. Da spielen auch ganz aktuelle Sachen wie Legida mit hinein. Die Entstehung war eigentlich ganz ein- fach, die künstlerische Umsetzung ist da natür- lich eine ganz andere Sache. Ich will ja auch eine Geschichte erzählen, die die Zuschauer inte- ressiert, mit der sie sich identifizieren können. Es wird parallel zum Film auch eine Graphic Novel geben, da man gewissen Themen wie Leben und Sterben und Sterbebegleitung im Film ja nur anschneiden kann. kreuzer: Wie hat der MDR darauf reagiert? SCHWARWEL: Die verantwortliche Redakteurin hat natürlich erst mal geschluckt, weil sie von einem Feierfilm ausgegangen ist. Das musste sie erst mal ein paar Tage sacken lassen, aber zwischenzeitlich steht sie voll hinter uns. kreuzer: Der Sender liefert aber ja nur einen Teil der Finanzierung. Wie wollt ihr das Projekt stemmen? SCHWARWEL: Durch die Arbeit an »1989« wissen wir noch gut, wie aufwendig die Arbeit an Mas- senszenen ist, denn jeder weiß, wie Menschen aussehen, deshalb darfst du da nicht rumschlu- sen. Hinzu kommt der Zeitdruck. Bis Ende des Jahres müssen wir fertig sein. Das wird vom Zeit- management her höchst spannend werden. Mit dem MDR haben wir einen Lizenzvertrag, der uns die künstlerische Freiheit sichert. Daneben machen wir wieder die Förderungsrunde und versuchen unser Glück im Crowdfunding. Das Geld wird dann in das Team aus Animatoren und anderen gesteckt, weil so was allein nicht schaffbar ist. Crowdfunding kann da hilfreich sein, wenn man voll dahintersteht und dran- bleibt. Man muss sein Anliegen permanent nach außen kommunizieren, ohne zu nerven, ein realistisches Ziel haben und attraktive Gegenleis- tungen. Ich glaube, da haben wir gute Chancen. INTERVIEW: LARS TUNÇAY ▶ www.visionbakery.com/leipzig-von-oben Heute ist Polly ein glückliches Mädchen Gut vernetzt ist halb gedreht Ein persönlicher Blick auf 1.000 Jahre Leipzig annescheschonk Jugend, Rebellion und Stadtgeschichte Anne Scheschonks Dokumentarfilm »Mädchenseele« Leipzig von innen GlücklicherMontag+Schwarwel