Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

kreuzer_08_2015

Bauwagen, Brachfläche, Bildungsstätte: Abrisspläne der Stadt bedrohen den Wagenplatz Focke80 in der Südvorstadt

018 0815 Film 036 Spiel 042 Musik 044 Theater 052 Literatur 058 Kunst 062 Termine 074 Politik Ein Trupp in leuchtenden Warnwesten und Bauarbeiterhelmen hantiert mit Baggern, Schaufeln und Presslufthämmern vor dem Neuen Rathaus. Drinnen tagt der Stadtrat, drau- ßen zeigt ein Schild das durchgestrichene Gebäude nebst frisch gepflanzten Bäumen. »Renaturiertes Rathaus«, lautet die Aufschrift. Die Bauarbeiter drohen, den Amtssitz der Stadt- regierung in eine Grünfläche zu verwandeln. Die inszenierte Baustelle ist freilich nur eine Protestaktion. Die Bewohner des Bauwagen- platzes Focke80 demonstrieren gegen ein Abriss- vorhaben des städtischen Liegenschaftsamtes auf ihrem Wohnort in der Fockestraße in Conne- witz. Seit bald 13 Jahren bewohnen sie dort ein ehemaliges Fabrikgelände. Damals wies ihnen die Stadtverwaltung diesen Platz zu, ein Pacht- vertrag wurde jedoch nie geschlossen. Bis 2006 gab es Vertragsverhandlungen zur Legalisie- rung des Wohnprojektes, die aber im Sande ver- liefen. Bis 2011 habe man keinen Kontakt mehr mit dem Liegenschaftsamt gehabt, sagen die Bewohner. Dann folgte zunächst ein träger Briefwechsel. Das Begehr des Amtes blieb den Wagenburg- lern dabei unklar. Ende 2013 dann plötzlich die Überraschung: Nun kündigte ein Brief den Abriss dreier alter Industriehallen auf dem Wagenplatz an. Die Bewohner vereinbarten ein Gespräch mit Gudrun Unverferth, der Leiterin des Liegenschaftsamtes. »In der Öffentlichkeit behauptet das Amt danach, es gebe eine einver- nehmliche Klärung«, sagt Victoria, eine Bewoh- nerin. »Tatsächlich fand aber so gut wie gar keine Kommunikation statt.« Begründet wurden die Bauvorhaben mit Sicher- heitsargumenten – die alten Gebäude seien marode und mittelfristig eine Gefahr für die Anwohner. »Natürlich war das für uns erst ein- mal nachvollziehbar«, sagt Victoria. Dann aber erfuhren sie, dass ein Gutachter der Stadt bescheinigt habe, die Hallen seien bis auf klei- nere Mängel in sehr gutem Zustand. Belegen können die Platzbewohner das nicht, das Gutach- ten halte die Stadt unter Verschluss, sagen sie. Das Amt dementiert den Vorgang. »Die Siche- rungsmaßnahmen sind erforderlich, um die Verkehrssicherheit auf dem Grundstück zu gewährleisten«, sagt Robert Staacke vom Liegen- schaftsamt auf Anfrage. Die Hallen sollen also weiterhin abgerissen werden. Es kursieren auch andere Begründungen für die Baumaßnahmen. Mal wurde argumentiert, die Abwasserregelung sei fehlerhaft. Später hieß es, die brachliegenden Hallen sollten zum Ausgleich für Neubauprojekte in Grünflächen verwandelt werden. Für die Bewohner eine Dreistigkeit: »Wir sind keine Brachfläche. Wir wohnen hier!« Außerdem sei die Focke ein kul- tureller Knotenpunkt für das Viertel, der neben Wagen auch Raum für Lesungen, Fahrradwerk- statt, Ateliers und vieles mehr bietet. Ein Ort alternativer, unkommerzieller Kultur. »Die Stadt macht sich dieses Potenzial immer wieder zunutze«, sagt Victoria. So haben viele der Focke- Bewohner auch bei der künstlerischen Gestal- tung der 1.000-Jahresfeier geholfen. »Gewürdigt wird das jedoch nicht.« Häufig rühmt sich Leipzig seiner alternativen Kultur. Doch die Wagenburgen sind offenbar einigen Politikern ein Dorn im Auge – allen voran der CDU. Der CDU-Stadtrat Konrad Riedel ver- höhnte die Focke-Bewohner erst kürzlich, indem er den von Kündigung betroffenen Mietern der Seniorenresidenz Amalie empfahl, »in eine Wagenburg vor dem Betreuten Wohnen oder vor dem Rathaus umzuziehen«. Wer auf öffent- lichem Boden in Wohnwagen lebe, genieße in Leipzig mehr Rechte als Senioren, behauptete er. Das ist nicht nur ein Äpfel-mit-Birnen-Ver- gleich, sondern auch ein Gegeneinanderaus- spielen von Menschen in prekären Wohnlagen. Auch der Bürgermeister für Wirtschaft und Arbeit Uwe Albrecht ist CDU-Politiker. Ihm unter- steht das Liegenschaftsamt. Die Vermutung steht im Raum, dass die Baumaßnahmen die unliebsame Wagenburg am Fockeberg vertrei- ben sollen. Erst kürzlich wurde vom Stadtrat eine Neuaus- richtung der Liegenschaftspolitik beschlossen (siehe Seite 19). Sie soll künftig soziale Aspekte und Stadtentwicklung stärker berücksichtigen als finanzielle Interessen. Dass der Wagenplatz Focke80 davon profitiert, ist aber fraglich. Denn schon wird der Bau einer Schule auf dem Gelände ins Spiel gebracht. Details gibt es dazu offiziell keine. Ob das Grundstück tatsächlich als Schulstandort benötigt wird, könne »erst nach verwaltungsinterner Abstimmung« geprüft werden, sagt Liegenschaftsamtssprecher Staa- cke. Daher dürfen die Bewohner das Gelände nicht kaufen, obwohl sie das mehrfach ange- boten haben. Der Neubau einer Schule wäre ein kluger Schachzug der Wagenburggegner – immerhin gibt es laute Forderungen nach neuen Bildungsstätten im Süden. Aktuell begründet das Liegenschaftsamt den Abriss auf dem Wagenplatz nicht mehr mit Renaturalisierung, sondern wieder mit Sicher- heit. Der Baubeginn ist für Anfang August angesetzt. Bis dahin sollen Teile der Focke80 geräumt werden. Flächen, auf denen die Bewoh- ner leben, werden dann zur Baustelle. »Für uns ist klar, dass wir die Abrissarbeiten um jeden Preis verhindern«, sagen sie. Eine heftige Aus- einandersetzung scheint vorprogrammiert. Kommt es hart auf hart, könnte die Stadt den Wagenplatz von der Polizei räumen lassen. In Leipzig wäre das ein Novum. Die Protest-Bauar- beiter vor dem Rathaus haben indes einen ganz anderen Vorschlag: »Revitalisiert euch doch selbst!« SARAH ULRICH Abrisspläne der Stadt bedrohen den Wagenplatz Focke80 in der Südvorstadt Bauwagen, Brachfläche, Bildungsstätte Angeblich aus Sicherheitsgründen will die Stadt Gebäude auf dem Bauwagenplatz Focke80 in Connewitz abreißen Ein heftiger Streit scheint vorprogrammiert focke80

Seitenübersicht