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kreuzer_11_2014

Gefährliche Mitwisser: In der Südvorstadt arbeitet ein Start-up an Emotionsanalyse für die Marktforschung

035 Magazin1114 Termine 084 Kunst 072 Literatur 068 Theater 058 Musik 048 Spiel 046 Film 038 Eigentlich ist Vladimir Lichev nichts vorzu- werfen. Der Diplom-Psychologe geht mit seinem Start-up »EmoSense« einen Schritt, den die deutsche Wirtschaft von Psychologen wie ihm erwartet. In Amerika ist die »Emotions- analyse via Webcam« nämlich schon längst eta- bliert. Lichev will mit seinen sieben Programmie- rern und Psychologen jetzt zum deutschen Pendant des amerikanischen Modells werden. Das Potenzial ist groß, gerade in der Medizin. »Es werden Kühlschränke mit eingebauter Web- cam gebaut, die adipöse Patienten vor Fressan- fällen schützen«, schwärmt Lichev. Er berichtet, wie Handykameras auf dem Land dem Ärzte- mangel entgegenwirken. Wer sich filmen lässt, der bleibt gesund. Lichevs Emotionsanalyse ist aber nicht medi- zinisch, sondern zunächst wirtschaftlich konzi- piert. Sie funktioniert wie folgt: Klickt sich ein Kunde lange genug durch das Angebot etwa eines Schuhversandes, öffnet sich bald ein Fenster, das den Kunden bittet, an einer Studie teilzuneh- men. Im Gegenzug erhält dieser einen Gutschein. Willigt der Kunde ein, wird seine Webcam aktiv und beginnt seine Reaktionen zu erfassen – etwa auf den Preis eines bestimmten Schuhpaares, auf Farben und Varianten. Lichev und sein Team werten diese Reaktionen dann aus. Anschließend lassen sie den Schuhversand nachvollziehen, an welcher Stelle ihres Angebots der Kunde gestutzt oder sich gefreut hat. Dem- entsprechend kann der Versand seinen Webauf- tritt optimieren. Wenn Lichev die Details seiner Software erläutert, kneift er die Augen leicht zusammen, dann lässt er sie funkeln. Doch sind es die noch kleineren Bewegungen der Gesichtsmuskulatur, auf die »EmoSense« angewiesen ist. »Subtile Tendenzen, die für das Auge nicht zu sehen sind«, nennt Lichev jene Mikromimik, die aufgrund ihres intuitiven Aufkommens besonders glaub- würdig ist. Denn nur auf dem Gesicht erscheint als minimale Ausprägung, was Lichev »Hotline zum Unterbewusstsein« nennt. Es sind vermut- lich die gültigsten aller Emotionen, die manch- mal für den Bruchteil einer Sekunde auf unserem Gesicht erscheinen. Diesen Moment schöpft Lichev ab – und erfährt damit mehr über unser Bauchgefühl als vermutlich wir selbst, unsere engsten Freunde, unsere Familie. Die Firma ist mit diesem Angebot im deutsch- sprachigen Raum einzigartig und testet bereits mit zwei Kunden. Lichev will ihre Namen nicht nennen. Spielt das Unternehmen seine Karten gut, dürfte es bald einen Markt dominieren, der in Amerika bereits Umsätze macht. Bloß liefert das amerikanische Vorbild mehr als eine wirt- schaftliche Prognose. Es ist der Name Paul Ekman, der dort im Bereich der Emotionsanalyse zuerst genannt wird. Ekman, der das »Facial Action Coding System« entwickelte, welches auch »EmoSense« verwendet. Ekman, den das Time- Magazin 2009 unter die einhundert wichtigsten Persönlichkeiten wählte. Ekman aber auch, der nicht nur im Namen der Wissenschaft arbeitet, sondern zudem für FBI, CIA und die umstrit- tene Sicherheitsbehörde TSA. Ekman schließlich, der sich Vorwürfe von Menschenrechtsorgani- sationen einhandelte, weil er Flughafenpersonal gegen Bezahlung seine Psychotricks beibrachte. Paul Ekman, der als Berater gleichzeitig für Geheimdienste und den Dalai Lama fungierte. Mit Geheimdiensten will Lichev nicht zusam- menarbeiten. »Das würde ich kategorisch aus- schließen«, sagt er, der ohnehin nicht glaubt, dass Bildmaterial aus seinen Analysen für Geheim- dienste interessant wäre. »Mit derzeitigen Tech- nologien können wir noch keine richtigen Videos aufnehmen, höchstens Bildabfolgen.« Es ist trotzdem eine gefährliche Form der Mitwisser- schaft, die das Sammeln derartiger Nutzerda- ten birgt. Und Webcams sind in dieser Hinsicht der letzte Schrei, für Werbeagenturen wie Geheimdienste. Eigentlich ist Vladimir Lichev also nichts vor- zuwerfen. »Die Bilder werden nicht an Dritte weitergegeben«, versichert er mit ruhiger Stimme. Doch liegt das streng genommen in seiner Verantwortung, in seinem Einflussbe- reich? Facebook, Yahoo und Twitter machten zuletzt öffentlich, dass verschiedene Regie- rungen sie bei Androhung horrender Geldstrafen zur Herausgabe von Nutzerdaten aufforderten. Letztes Jahr bestellte die deutsche Bundesregie- rung bei Facebook die Daten von mehr als 2.000 Nutzern. Warum nicht auch bei »Emo- Sense«? Sobald es der technologische Fortschritt erlaubt, könnte das Start-up beginnen, sein Videomaterial zu archivieren. Wenn sich eine Konkurrenz etabliert, werden sie das vermut- lich tun müssen. Will ein Unternehmen wirt- schaftlich bestehen, so steigt die Gefahr, dass es seine moralischen Leitfäden der Macht der Daten unterordnet. Auch Lichev könnte dann Post von Geheimdiensten bekommen. Und diesen ist es bekanntlich egal, wie wenig Lust jemand auf sie hat. Josa Mania-Schlegel Emotionsanalyse via Webcam ist für Marktforscher der letzte Schrei. In der Süd- vorstadt arbeitet ein Start-up an der bedenklichen Technologie Gefährliche Mitwisser Eine mögliche Zusammenarbeit mit Geheimdiensten schließt Firmenchef Lichev kategorisch aus Weiß, was Gesichter verraten: »EmoSense«-Chef Vladimir Lichev swenreichhold

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