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kreuzer_11_2014 - Politik

Das Privileg der eigenen vier Wände: In Leipzig leben Flüchtlinge jahrelang in Massenunterkünften

016 Politik 1114 Film 038 Spiel 046 Musik 048 Theater 058 Literatur 068 Kunst 072 Termine 084 Drei Zimmer, eine Küche und ein Bad, sogar ein kleiner Balkon stehen dem jungen Vater aus Georgien und seiner Familie zur Ver- fügung. Die Räume sind zwar nur spärlich möbliert und vor den Fenstern rauscht regelmä- ßig eine Straßenbahn vorbei, doch die kleine Familie ist glücklich über ihre bescheidene Unter- kunft. Dass es sich dabei aber nicht um eine normale Wohnung handelt, verrät spätestens der grellrote Knopf im Flur. Wird der gedrückt, öffnen sich automatisch alle Türen. Eine Sicher- heitsmaßnahme, denn die beschauliche Woh- nung in der Leipziger Georg-Schwarz-Straße ist Teil eines Asylbewerberheims. Rund 40 Flücht- linge aus fünf Nationen sind dort derzeit unter- gebracht. »Heim« ist ein Ausdruck, den Christian Walther vom Sozialamt nicht gern hört. »Unterkunft für gemeinschaftliches Wohnen« würden Häuser wie diese genannt, sagt der Projektleiter für Asyl. Das Flüchtlingsheim in der Georg-Schwarz- Straße ist eines der Vorzeigeobjekte der Stadt, und das zu Recht. Die Wohnungen sind neu, das Haus befindet sich integriert im Stadtviertel und die Sozialarbeiterin kennt jeden Bewohner beim Namen; sie weiß, welches Kind wann aus der Schule kommt und wer sich erkältet hat. »Der einzige Nachteil«, sagt Walther halb im Scherz, »ist, dass hier keiner mehr ausziehen will.« Ginge es nach dem Papier, sollten Asylbewerber in Leipzig möglichst schnell eine eigene Woh- nung beziehen. Vor zwei Jahren hat die Stadt ein Konzept verabschiedet, in dem das Ziel der sogenannten dezentralen Unterbringung festge- halten ist. Rund 1.700 Flüchtlinge leben in der Stadt, doch davon nur etwa die Hälfte in ihren eigenen vier Wänden. Manche hingegen müs- sen ewig in einer Massenunterkunft wohnen. Nach Schätzungen des Sozialamtes sind rund 15 Prozent der Flüchtlinge, die derzeit in einem Heim untergebracht sind, schon länger als fünf Jahre dort. Und normalerweise nicht in einer relativ angenehmen Unterkunft wie in der Georg- Schwarz-Straße, sondern in viel größeren Kom- plexen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Dass Leipzig die Unterbringung von Asylbewerbern in Woh- nungen forciert, ist schon eine weite Auslegung des geltenden Rechts. Denn das Asylverfahrens- gesetz schreibt vor, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in der Regel in Gemeinschaftsun- terkünften erfolgen soll. Wer ausziehen möchte, muss einen Antrag stellen. Geprüft wird, ob sich die Kosten im Rahmen halten und ob medi- zinische oder sogenannte humanitäre Gründe vorliegen. Auch wenn die Stadt die Kriterien groß- zügig auslegt, bleibt der Bezug einer eigenen Wohnung laut Gesetz ein Privileg. Doch selbst wer einen positiven Bescheid für eine eigene Wohnung in den Händen hält, kann häufig nicht sofort ausziehen. Der Leipziger Wohnungsmarkt wird enger, es leben viele Men- schen in der Stadt, die nicht viel Geld für die Miete ausgeben können. Außerdem seien die Kommunen zu wenig darauf vorbereitet gewesen, kleinere Unterkünfte zu finden, meint die Grü- nen-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Katharina Krefft. Dezentrale Unterbringung brauche aber einen »planerischen Vorlauf«. SPD und Linke sehen auch Fehler bei der Immobilienwirtschaft. Die LWB sei »nicht besonders hilfreich« bei der Suche nach geeigneten Objekten, kritisiert etwa die Linken-Stadträtin Juliane Nagel. Allen bewusst ist die Dringlichkeit: Leipzig erwartet in diesem Jahr 1.439 neue Flüchtlinge und es ist noch nicht klar, ob für alle überhaupt ein Dach über dem Kopf gefunden werden kann. Wer heute mehr als fünf Jahre in einem Asyl- bewerberheim lebt, war dort schon, als Leipzig noch nicht die dezentrale Unterbringung in der jetzigen Weise förderte. Zumeist haben sie den Status einer Duldung, das heißt, ihr Asylantrag wurde nicht bewilligt, eine Abschiebung aber ausgesetzt. Doch warum leben sie weiterhin so lange im Heim? »Ohne Perspektive«, meint Juli- ane Nagel, könne das Leben in einer eigenen Wohnung schnell unattraktiv werden. Für Asyl- bewerber gelte generell ein Arbeitsverbot, auch Geduldete müssten Deutschen und EU-Auslän- dern den Vorrang im Job lassen. Da könne ein Gefühl der Lethargie entstehen, meint Nagel. »Aber woher soll auch die Ambition kommen, sich in die Gesellschaft einzubringen, die einen nicht will?« Seitens des Sozialamtes gibt es nur wenige Personengruppen, denen ein Auszug aus einer Gemeinschaftsunterkunft grundsätzlich ver- weigert wird. Es sind Menschen, bei denen die Sozialarbeiter skeptisch sind, ob sie sich in die neue Nachbarschaft einfügen werden. Walther vom Sozialamt gibt Beispiele: Wer seinen Müll ständig nur auf den Treppenabsatz stelle oder Ruhezeiten nicht einhalte, sei noch nicht »fit« für die eigene Wohnung. Am wichtigsten sei aber die Sprache: Ohne Deutschkenntnisse ist ein Auszug nicht möglich. Sonja Brogiato vom Leipziger Flüchtlingsrat beobachtet in letzter Zeit ohnehin, dass sich die Menschen eher »mit Händen und Füßen« gegen einen Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft wehren. Viele Asylbewerber schätzten das Sicherheitsgefühl in einer Gemeinschaftsunter- kunft und den einfachen Austausch mit jenen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und übernähmen mit der Zeit auch selbst wichtige soziale Aufgaben in den Unterkünften, sagt Brogiato. Natürlich sei es auch das Ziel des Flücht- lingsrates, die Menschen zum selbstbestimmten Leben in einer eigenen Wohnung zu ermutigen. »Aber wir können nicht eine einzige Lösung für alle anbieten.« Es bleiben aber laut Brogiato nicht nur diejeni- gen, die sich von sich aus gern in der Gemein- schaft aufhalten in einem Heim, sondern auch Flüchtlinge, die ihr Leben allein schlicht nicht meistern können. Das sind oft Drogenabhängige oder psychisch labile Menschen, teils traumati- siert von Kriegserfahrungen. Asylbewerber haben zwar Anspruch auf eine medizinische Not- versorgung, aber nicht auf eine umfassende Therapie – eine Frage der Finanzen und auch der fremdsprachigen Fachärzte. Die soziale Betreu- ung außerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte ist knapp, Hilfe nicht immer schnell erreichbar. So bleiben die besonders labilen Menschen häu- fig dort, wo die Hilfsangebote gebündelt sind: in einem Asylbewerberheim. Mit Integration hat das wenig zu tun. LUISE POSCHMANN Das Privileg der eigenen vier Wände sandraneuhaus In Leipzig leben Flüchtlinge jahrelang in Massenunterkünften, einige tun dies freiwillig Mit Integration hat das wenig zu tun Leben in der Gemeinschaftsunterkunft: Familie Mashtrigov wohnt in der Georg-Schwarz-Straße

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