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kreuzer_12_2014

Buchrezensionen: "Die Verzauberung der Welt"; "Haus der Stummen"; "Caiman und Drache"

064 Literatur 1214 Film 032 Spiel 038 Musik 040 Theater 050 Kunst 066 Termine 084 Zweitausend Jahre und kein Ende Ein gescheitertes Experiment Ackererde unter den Fingernägeln Klug und originell: Jörg Lausters »Die Verzauberung der Welt« Verstörend: John Burnsides Debütroman »Haus der Stummen« Handfest: Roman Israels Debütroman »Caiman und Drache« Um es vorweg zu neh- men: Mit »Die Ver- zauberung der Welt« ist Jörg Lauster eine seri- öse, zugleich gut lesbare und sogar originelle Darstellung der vielfäl- tigen kulturellen Erscheinungsformen gelungen, die das Christentum im Laufe seiner Geschichte hervorgebracht hat. Diese reichen von der Theologie und Philosophie über die Malerei und Musik bis zum Umgang mit den Erkenntnissen moderner Physik und Biologie. Zwangsläufig bleibt darin vieles unberücksich- tigt, wir erfahren beispielsweise nichts über das orientalische Christentum, die orthodoxen Kirchen bleiben so gut wie außen vor. Geschenkt, alles kann heutzutage kein einzelner Mensch mehr wissen. Kluger- und redlicherweise bezieht darum Lauster von vornherein den eigenen Blickwinkel, nämlich den eines deutschen evan- gelischen Universitätstheologen, in seine Dar- stellung mit ein; er schreibt nicht »die«, sondern »eine« Kulturgeschichte des Christentums. Dass dennoch die Desiderate ins Auge stechen, verdankt sich auch dem Titel: Einerseits formu- liert »Die Verzauberung der Welt« natürlich die Antithese zu Max Webers berühmtem Schlag- wort von der »Entzauberung der Welt«, anderer- seits zitiert der Titel Jürgen Osterhammels »Die Verwandlung der Welt«. Und das evoziert eine falsche Erwartungshaltung, denn im Gegensatz zu Lauster betreibt Osterhammel tatsächlich eine globale Historiografie, die sich von der euro- zentrischen Perspektive zu emanzipieren ver- sucht. Aber angesichts der Stärken, die Lausters »Kulturgeschichte« aufzuweisen hat, sind sol- che Einwände eher Petitessen. Lauster versteht es, komplexe Probleme in wissenschaftlich verantwortlicher und zugleich verständlicher Weise darzustellen; manche Abschnitte, etwa die Kapitel über die Anfänge des Christentums oder die Säkularisierung im 20. Jahrhundert sind echte Glanzleistungen. Vor allem erzählt Lauster keine Verfallsgeschichte. Die Krise, in der sich die Kirchen gegenwärtig (zumindest bei uns) befinden, interpretiert er nicht als Unter- gang des Abendlandes, sondern als Chance für einen Neuanfang. Die Kulturgeschichte des Christentums ist im 21. Jahrhundert keineswegs an ihr Ende gekommen. Den Grund für solch gelassenen Optimismus liefert diese Geschichte selbst: Dank seiner enormen Wandlungsfähig- keit hat das Christentum in den zweitausend Jahren seiner bisherigen Existenz noch jede Krise überstanden. So wird Kulturgeschichtsschrei- bung zur Frohen Botschaft. OLAF SCHMIDT ▶ Jörg Lauster: Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums. München: Verlag C. H. Beck 2014. 35 S., 34 € Niemand kann behaupten, es hätte mir freigestanden, die Zwillinge zu töten, so wenig wie es mir frei- stand, sie auf die Welt zu bringen.« So beginnt der Bericht über ein »gescheitertes Experi- ment«. Und schon der erste Satz lässt keinen Zweifel daran, dass wir es in »Haus der Stummen« mit einer massiv gestörten Persön- lichkeit zu tun bekommen – und dass dieser Roman nichts für schwache Nerven ist. John Burnsides Debütroman von 1997 liegt nun erst- mals in deutscher Übersetzung vor. Seit seiner Kindheit ist der Protagonist und Ich- Erzähler des Romans ein begeisterter Forscher und fasziniert von Tod und Verwesung, vor allem aber von Sprache, in der er den »Sitz der Seele« vermutet. Um diesen zu finden, hält er nach dem Tod seiner kalten, seltsamen Mutter (Ödipus- komplex!) in seinem Keller die Zwillinge als »La- bortiere« gefangen. In zahlreichen Rückblenden vermischen sich »Forscherbericht« und eigene Kindheitserinnerungen. Und während der Erzäh- ler immer tiefer in seinem Gedächtnis gräbt, passiert im Keller Unheimliches, das ihm buch- stäblich unverständlich ist. »Haus der Stummen« ist ein grausames, ver- störendes Buch über kaputte Kinderseelen, die Topografie des Unbewussten und einen manisch gewordenen »Willen zum Wissen«. Es ist zugleich ein irritierend poetischer Großessay über die Grenzen der Mitteilbarkeit, die Burnside mit sei- nem soziopathischen Ich-Erzähler auslotet. STEPHANIE BREMERICH ▶ John Burnside: Haus der Stummen. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. München: Albrecht Knaus Verlag 2014. 25 S., 19,99 € Schreibt ein junger Autor über Orte und Epochen, die er selbst aufgrund später Geburt nicht erlebt hat, stößt er oft auf Skepsis. Darf einer so frei an die Geschichte herange- hen? Roman Israel, 1979 geboren, spürt in seinem Debüt- roman der Zeit des Zweiten Weltkriegs in der heutigen pol- nischen Provinz nach, Oberschlesien, das damals zu Deutschland gehörte. Er kann nicht aus eige- nem Erleben wissen, wie es früher dort war. Das macht aber nichts. Dank Israels unmittelbarer, handfester Sprache fühlt der Leser buchstäblich die Ackererde unter den Fingernägeln. So ein- gefangen verfolgt er das beharrliche Werben der Zwillinge Alois und Karl Storch um die schöne Malwina, erlebt zwei Morde und die Verwand- lung des deutsch-polnischen Dörfchens Brascho- witz in das nazideutsche Braschberg. Sein Per- sonal zeichnet der Autor mit derben Strichen: Da sind der dem Alkohol verfallene Pfarrer, die kleinbürgerliche Familie Storch und der Krimi- nalbeamte Ferch, der den kauzigen Dorfbewoh- nern das Geheimnis der beiden Morde entlocken soll. Dazu ein Bürgermeister, der in der Rezes- sion mit zwei anderen Monopolisten Wetten auf bevorstehende Pleiten abschließt. Der Leser sieht die Zwillinge und Malwina heranwach- sen, die Familie Storch in die Turbulenzen der Wirtschaftskrise geraten und schließlich den Krieg alles auseinanderreißen. Roman Israel gelingt mit »Caiman und Drache« ein sprach- lich eigenwilliges und sehr farbiges Bild einer Epoche und eines Landstrichs. Und wenn das auch nicht »wahr« sein kann, so ist es doch exzel- lent erfunden. Das ist bei einem Roman alles, was zählt, mehr kann man nicht verlangen. ANDREA KATHRIN KRAUS ▶ Roman Israel: Caiman und Drache. Wien: Luftschacht Verlag 2014. 22 S., 23,90 € | Rezension | | Rezension | | Rezension | hervorgebracht hat. Diese reichen

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