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kreuzer_06_2016 - Film

Jüdischer Humor kann Leben retten: Sam Garbarski dreht in Weißenfels eine Tragikomödie mit Moritz Bleibtreu und Hund

036 Film 0616 Spiel 042 Musik 044 Theater 056 Literatur 066 Kunst 070 Termine 084 Backsteine quellen aus dem Hauseingang, auf- gewirbelter Staub fegt die Straße hinunter, ein schwarzer Citroën Rosalie schnurrt über das Kopfsteinpflaster und der dreibeinige Motek, ein Jack Russell Terrier, steht vor einem Wegwei- ser, dessen Schilder in Richtung »Ausgabe Care Pakete«, »U.S. Diesel Fuel Station« und »Öffent- liche Fernrufstelle 17« zeigen. Moritz Bleibtreu als David kommt im dunkel gestreiften Anzug mit Hut und Mantel ins Bild, hebt den Hund auf und trägt ihn davon. Die Szene, die die Stadt Frankfurt am Main im Jahr 1946 darstellen soll, wurde Mitte Mai nahe dem Bahnhof Weißenfels gedreht. Sie gehört zum Filmeinstieg der deutsch-belgischen Kopro- duktion »Auf Wiedersehen Deutschland«, die 2017 in die Kinos kommen soll. Der in Bayern geborene, heute in Belgien lebende Regisseur Sam Garbarski (»Irina Palm«) hat zusammen mit Michel Bergmann das Drehbuch geschrieben. Bergmanns Romane »Die Teilacher« und »Machloi- kes« lieferten dazu die Grundlage. Beide Autoren sind jüdischer Abstammung und verarbeiten in dem Film ihre Verwunderung darüber, dass es nach dem Holocaust Juden wie ihre Eltern gab, die sich zum Bleiben in Deutschland entschlie- ßen. »Unsere Eltern antworteten auf unsere Fra- gen immer unangenehm ausweichend. Warum und wie sie aber blieben oder zurückkehrten, haben wir nie verstanden«, sagt Garbarski über seinen Beweggrund, diesen Film zu drehen. So ist der Filmtitel weniger als Verabschiedung, sondern mehr als Wiederanfang zu verstehen, in dem die Vergangenheit den Protagonisten David aber einholt. »Im Aufnahmezentrum für jüdische Überlebende verdient sich eine Gruppe von pfiffigen Ausreisewilligen auf halbseidene Art Geld«, fasst der Schauspieler Bleibtreu die Geschichte zusammen. »Sie wollen davon ihre Passage in die USA bezahlen.« Als Special Agent Simon (Antje Traue) herausfindet, dass David zwei Ausweise besitzt und offenbar Kontakt zu Adolf Hitler hatte, muss er mit der Wahrheit rausrücken. In Weißenfels fanden jüngst, nach Saalfeld, Gera und Görlitz, die letzten Drehtage statt. Der morbide Reiz des Viertels unweit der Saale mit seinem historischen Kopfsteinpflaster bietet einen authentischen Hintergrund, das sehe und spüre man im Film, erzählt der begeisterte Regisseur, »so etwas findet man nicht an vielen Orten«. Auch Bleibtreu zeigt sich im Interview am Set beeindruckt, dass es in dem Straßenzug aussehe wie in den vierziger Jahren. Dieser befindet sich allerdings keine hundert Meter entfernt vom ehemaligen jüdischen Gebets- raum, der in der Reichskristallnacht im Jahr 1938 zerstört wurde. Dass das Verhältnis der Bewohner zu Menschen, die nicht willkommen sind, schwierig bleibt, zeigt der hohe Stimman- teil für die AfD in Weißenfels bei den Landtags- wahlen im März dieses Jahres (31,8 Prozent). Darauf angesprochen, sagt Garbarski: »Es ist gerade dann richtig, eine solche Geschichte an diesem Ort zu drehen, um diese Gedanken den Menschen mitzugeben.« Bleibtreu stellt fest: »Wir drehen in Weißenfels einen Film über Menschen, die aus einem Land weggehen wol- len, wobei doch gerade so viele Leute hierher- kommen.« Dabei hat die Stadt einige herausragende jüdische Persönlichkeiten hervorgebracht. Benjamin Halevi, Richter im Jerusalemer Eich- mannprozess 1961, etwa oder Max Fränkel, Pulitzer-Preisträger und langjähriger Chefredak- teur der New York Times, denen große Wert- schätzung entgegengebracht wurde. Nicht zuletzt hat sich das Simon-Rau-Zentrum in Weißenfels das Ziel gesetzt, neonazistischen und antisemi- tischen Tendenzen im Burgenlandkreis entge- genzuwirken und die Geschichte und Schicksale der ehemaligen jüdischen Bevölkerung auf- zuarbeiten. Der jüdische Humor, betont Garbarski im Set- Gespräch, bewahre diese Tragikomödie davor, das Unheil dieser Zeit ins Lächerliche zu ziehen. Bei dieser schwierigen Gratwanderung helfe es, dass der jüdische Humor sehr viel philosophi- scher sei, als einfach nur lustig zu sein, erklärt der Regisseur. »Es war die einzige Medizin für die Juden in dieser Zeit. Hätten sie nicht gelacht, dann wären sie alle tot«, sagt Garbarski und spricht dabei einen Satz aus, der aus dem Film stammen könnte. »Auf Wiedersehen Deutsch- land« ist für ihn eine Herzensangelegenheit: »Das ist mein Film, der Film meines Volkes, ein Film über ein Stück Geschichte, das nie erzählt wurde.« CAROLIN WILMS Jüdischer Humor kann Leben retten Sam Garbarski dreht in Weißenfels eine Tragikomödie mit Moritz Bleibtreu und Hund »Humor ist die einzige Medizin« Moritz Bleibtreu als David trägt den dreibeinigen Hund Motek durch die Kulissen in Weißenfels CAROLINWILMS

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