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kreuzer_10_2015

Mediterranea; Sicario; Der Staat gegen Fritz Bauer; The Tribe

039 Film Rezensionen1015 Termine 084 Kunst 072 Literatur 068 Theater 056 Musik 044 Spiel 042 05 Mediterranea FluchtinsUngewisse I/F/D/USA/Quatar 2015, 107 min, R: Jonas Carpignano; D: Paolo Sciarretta, Alassane Sy, Koudous Seihon KKKKKKino brandaktuell: Während die Nachrichten beherrscht sind von Flüchtlingsströmen in die Festung Europa, schildert der italienische Regisseur Jonas Carpignano die Flucht zweier Männer aus Burkina Faso in ein vermeintlich besseres Leben in Italien. Ayiva verdingt sich als Handlanger der Schleuser, die täglich Hunderte Menschen über die Grenze schmuggeln. Als er von einer Gruppe angeheuert wird, sie nach Tripolis zu bringen, sieht er seine Chance gekommen. Gemeinsam mit seinem Freund Abas macht er sich auf den Weg, um seiner kleinen Tochter, die zu Hause auf ihn wartet, eine Zukunft zu geben. Doch die Überfahrt wird zum Albtraum, aus dem es auch an ihrem Ziel im Süden Italiens kein Erwachen gibt, denn auf dem Festland erwartet sie ein rassisti- scher Mob. Jonas Carpignano ver- arbeitete bereits in seinem viel- fach preisgekrönten Kurzfilm »A Chjànaq« die Vorfälle in Rosarno von 2010, als es in seiner Heimat- stadt in Kalabrien zu Unruhen zwi- schen Einheimischen und Migran- ten kam, bei denen 67 Menschen verletzt wurden und Tausende Flüchtlinge umgesiedelt werden mussten. In seinem ersten Lang- film »Mediterranea« schildert Car- pignano im Stil eines Dokumen- tarfilms und mit schonungslosem Realismus die Ereignisse. Auch wenn sie bereits fünf Jahre zurück liegen, wirkt der Film aktueller denn je. Die Darsteller sind zumeist Vertriebene, die selbst Opfer von rassistischen Übergriffen wurden und ihre Erfahrungen in den Film einfließen ließen. Koudous Seihon ist als Ayiva Stellvertreter für die Erfahrungen und das Leid Hun- derttausender. Auch wenn die Dra- maturgie vor allem in der zweiten Hälfte Struktur vermissen lässt, ist der filmische Auftakt ein inten- siver, realistischer Einblick in die traumatischen Erlebnisse vieler Flüchtlinge, die man nach diesem Film vielleicht mit anderen Augen betrachtet. Lars Tunçay ▶ Kinobar Prager Frühling, ab 15.10. 06 Sicario Komplexer Konflikt USA 2015, 121 min, R: Denis Villeneuve; D: Emily Blunt, Josh Brolin, Benicio del Toro KKKKKDer Krieg der USA gegen den Dro- genhandel ist ein schmutziger, der mit unlauteren Mitteln von Schreib- tischen in Washington aus geführt wird. Zuletzt förderte der sehens- werte Politthriller »Kill the Mes- senger« dreckige Details ans Licht. Nun wirft uns der Kanadier Denis Ville­neuve mitten hinein ins Faden- kreuz der »Sicario«, mexikanischer Auftragskiller. Im Kreuzfeuer der Kriminalität beweist FBI-Agentin Kate Macer Durchsetzungsvermö- gen. Doch die Gewalt geht nicht spurlos an ihr vorbei. Als sie einen grauenhaften Fund in einem Ver- steck der mexikanischen Drogen- mafia macht, bietet man ihr an, Teil einer inoffiziellen Task-Force zu werden, um die Drahtzieher zur Strecke zu bringen. Sie meldet sich freiwillig, muss allerdings bald feststellen, dass der verantwortli- che Agent Matt und seine Einheit Gesetz und Moral überschreiten, um ans Ziel zu kommen. Die irr- sinnig spannende Eröffnungsse- quenz setzt die Beklemmung für zwei nicht weniger packende Stun- den Kino. Denis Villeneuve bildet in seiner dritten US-Regiearbeit den aussichtslosen Kampf der Amerika- ner gegen die Macht der Drogenkar- telle ab. Dazwischen nimmt er sich Zeit, um den komplexen Apparat aus Korruption und Gewalt darzule- gen, basierend auf den Fakten eines lange währenden Konflikts. Im Zen- trum seines unbequemen Thrillers steht eine Frau. Emily Blunt verleiht ihr gleichermaßen Stärke und Ver- letzlichkeit. Es ist fast undenkbar, diese Figur mit einem männlichen Darsteller zu besetzen, wie es das Studio eigentlich gern gehabt hätte. Die Rolle der Beobachterin in einer männerdominierten Welt erinnert an Jessica Chastains Figur als Jäge- rin von Osama Bin Laden in »Zero Dark Thirty« und bereichert den Stoff um eine außergewöhnliche Perspektive. Josh Brolin und Beni- cio del Toro überzeugen an ihrer Seite in einem vielschichtigen Dro- genkrimi, bei dem die Fronten ver- schwimmen. Lars Tunçay ▶ Cineplex, Passage Kinos, ab 1.10. 07 Der Staat gegen Fritz Bauer Der gute Landes- verräter D 2015, 105 min, R: Lars Kraume; D: Burghart Klaußner, Michael Schenk, Ronald Zehrfeld KKKKKDer hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer erhält 1957 von einem Deutschen in Argentinien Infor- mationen über den Aufenthalts- ort des NS-Verbrechers Eichmann. Trotzdem gestaltet es sich überaus schwierig, diesen vor Ort zu stel- len. Die meisten deutschen Behör- den und sogar die Bundesregie- rung sind von Alt-Nazis durchsetzt, die sämtliche Bemühungen Bauers zu torpedieren versuchen. Einen letzten Ausweg sieht er in einer Kooperation mit dem israelischen Geheimdienst Mossad, was Bauer selbst allerdings zum Landesverrä- ter machen würde. Weitere Brisanz kommt durch Bauers Homosexuali- tät ins Spiel, die in den späten fünf- ziger Jahren noch Straftatbestand war und den Generalstaatsanwalt erpressbar machte. Gerade jener zusätzliche Aspekt hebt Lars Krau- mes Film deutlich von Giulio Ric- ciarellis »Im Labyrinth des Schwei- gens« ab, in dem Bauer bereits als Nebenfigur vorkam. Er kann der sorgfältig ausgestatteten und mit viel Gespür für die Zeit und die damaligen Lebensgewohnheiten erzählten Geschichte einige wei- tere spannende Perspektiven hin- zufügen. Nicht Bauer selbst wird dabei zum Spielball dieser Denunzi- ationen, sondern sein junger Unter- gebener, Staatsanwalt Karl Anger- mann, der ideologisch auf gleicher Wellenlänge mit dem »General« liegt und die Restriktionen der Zeit erfahren muss. Diese im verruch- ten Halbweltmilieu angesiedelten Szenen mögen auf den ersten Blick klischeehaft wirken, entfalten aber ihre Sprengkraft und werden sogar zu einer der narrativen Antriebs- federn dieser intelligent aufgebau- ten historischen Nacherzählung. Gerade weil es Fritz Bauer zu sei- nen Lebzeiten nicht vergönnt war, Ruhm und Ehre für seine ehrgeizi- gen Nachforschungen zu erfahren, ist es nun umso wichtiger, dass man sich mit Filmen wie diesem seiner Bedeutung erinnert. Frank Brenner ▶ Passage Kinos, ab 1.10. 08 The Tribe Still, roh und heftig UK/NL 2014, 132 min, R: Myroslav Slaboshpytskiy; D: Grigoriy Fesenko, Yana Novikova, Rosa Babiy KKKKKDie Geschichte ist wie bei allen guten Geschichten denkbar simpel: Ein Teenager kommt als Neuer in einInternatfürGehörloseundmuss sich in dessen Sozialgefüge mitsamt den dortigen Ritualen und Macht- strukturen einfügen. Dabei lässt Regisseur Myroslav ­Slaboshpytskiy ganz ohne Worte nur die Körper sprechen. Und diese tun das trotz ihrer ungestümen Jugendlichkeit mit beängstigender Eloquenz. Sie erzählen von gesellschaftlicher Ver- rohung, Sex und Gewalt, vom Leben innerhalb der Mauern des Internats und bewegen sich dort trotzdem außerhalb gesellschaftlich respek- tierter Normen und Moral. Einzig mittels Gebärdensprache wird kom- muniziert, ohne Untertitel oder ergänzend gesprochenen Dialog. Dieser Umstand ist sowohl Konzept als auch Notwendigkeit. »The Tribe« fordert Aufmerksamkeit ein und belohnt sie. Durch die Übernahme der Wahrnehmung und der Erfah- rungen der Protagonisten haben die Zuschauenden teil an ihrer Per- spektive. Gehörlose werden den Film freilich ganz anders wahrneh- men und man würde manchmal zu gerne verstehen. Dem Verständnis der Handlung tut dies dennoch kei- nen Abbruch – im Gegenteil: Jede Miene, jede Geste erscheint voll aufgeladen mit Leidenschaft, Hal- tung und Emotion. Der Film findet in der Reduktion seine eigene Spra- che und schafft damit ein verblüf- fendes, über alle gewohnten Maße hinaus stimulierendes Seherlebnis. In seiner radikalen Konsequenz ist er vielleicht wirklich etwas Neues, etwas vorher noch nicht Dagewese- nes. In konzentrierten, wundervoll ­orchestrierten Cinemascope-Tab- leaus folgt die Kamera unerbittlich dem Schicksal der Figuren und lässt den Zuschauer am Ende stumm zurück. Ein vielschichtiges Sozial­ drama, eine aufwühlende Mili- eustudie, ein kühner »coup de cinéma«, der beim Filmfestival in Cannes mit dem Preis der »Semaine delaCritique«ausgezeichnetwurde. Stephan Langer ▶ Schaubühne Lindenfels, 15.-18., 21.-24.10. 05 0706 08 05070608

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