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Logbuch_2016 - Magazin

Nichts geht mehr: Ein Thriller aus dem wilden Herzen Baden-Badens

www.kreuzer-leipzig.de | MAGAZIN 20 Eigentlich wollte die Leipziger Schriftstellerin Madeleine Prahs während ihres Aufenthalts- stipendiums in Baden-Baden an ihrem zweiten Roman arbeiten. Dann ging sie ins Casino. Ein Fehler. »Vielleicht wird die Seele, wenn sie durch so viele Empfindungen hindurchgeht, nicht gesät- tigt davon, sondern nur gereizt und verlangt nach weiteren, immer stärkeren Empfindungen bis zur endgültigen Erschöpfung.« »Der Spieler«, Fjodor Dostojewski Die schwarze Feder in Koljas Haar. Die hätte mich von Anfang an stutzig machen müssen. ­Klarer Fall von »Unglücksrabe«, den man mir da eiskalt ins Leben gespült hatte. Aber wer hätte denn ah- nen können, dass es so weit kommen würde. Ausgerechnet hier. In Baden-Baden. Ich drehe meinen Kopf zu Kolja, der nicht Kolja heißt, oder vielleicht doch? Der Mensch, dessen Schicksal in nur einer Nacht so eng mit meinem verknüpft wurde, hat mir seinen Namen nie ge- nannt. Es gibt keine Gewissheiten mehr in dieser irren Geschichte, das ist die einzige Gewissheit, die mir bleibt, aber sie nützt mir nichts. Kolja lebt noch, das ist gut, aber auf seinem Gesicht liegt ein seltsam entrücktes Lächeln. Für einen Moment blitzt in seinem Haar die schwarze Feder wieder auf. Ich bin der, den Du suchst. Heute Abend, 19.30 Uhr, im Casino »Der Mond scheint milde auf die Unglücksseli- gen hinab«, denkt der Mond und fühlt sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder gut, aber hier unten im Flussbett kommt im Grunde nicht mehr viel von ihm an außer einem bleichen, diffusen Schimmer. Es ist kalt, wir haben nicht mehr viel Zeit, eigentlich keine mehr. Meine Haare schwe- ben langsam durchs Wasser, vermählen sich mit den langen dunkelgrünen Algen, ich spüre den Schmerz an meinen Fuß- und Handknöcheln nicht mehr, sehe die Ketten nicht mehr, an ­welchen die Betongewichte befestigt sind, der Schlamm des Flussbettes hat sie unter sich begraben, nur die Schlüssel, die uns Derrick zum Schluss feier- lich und mit einem teuflischen Lachen über die Brust hängte, die sehen wir noch. Sie tanzen vor unseren Augen in der Strömung des Flusses hin und her, es sind die Schlüssel zu unseren Fußfes- seln und Handschellen. Die Rettung zum Greifen nah, aber Kolja und ich wissen: Es wird kein Wun- der mehr geschehen, unser Guthaben an Wundern wurde in nur einer Nacht aufgebraucht. Dabei fing es so harmlos an, beinahe fröhlich. Ich saß mit einigen neuen Bekanntschaften, die ich hier in Baden-Baden geschlossen hatte, beim Essen. Künstler, Schauspieler, freundliche inter- essante Menschen, die Stimmung war heiter, fast ausgelassen, wir sprachen über die Faszination, die Baden-Baden seit Jahrhunderten auf die Rus- sen ausübte. »Leben noch Nachfahren berühmter russischer Schriftsteller hier«, wollte ich wissen, »von Dostojewski zum Beispiel?« Nein, so die einhellige Meinung, das wüsste man, wäre aber eine lustige Vorstellung, der wäre dann sicherlich Ehrenbürger, mutmaßten sie, und lebendig in ­einer Vitrine ausgestellt. Am darauffolgenden Abend – ich hatte gerade das zweite Kapitel meines neuen Romans abge- schlossen, ich war zufrieden, der Tag neigte sich dem Ende – leuchtete eine neue Mail in meinem Postfach auf. »Ich bin der, den Du suchst. Heute Abend, 19.30 Uhr, im Casino.« Ich sah auf die Uhr, es war Punkt sieben. Ich nahm meinen Mantel und ging los, ich war neugierig. Ein Hochstapler! Wie schön! Nur, wie war er an meine Mail-Adresse gekommen? Egal, denn endlich begann es spannend zu werden. Noch bevor ich den Eingang des Casinos erreicht hatte, eilte ein junger Mann auf mich zu. Er war groß, hager und hatte einen fleckigen, altmodi- schen Anzug an, wie ihn abgehalfterte Ansager im Varieté trugen. Seine Haare waren pechschwarz, etwas schimmerte darin. War das eine Feder? Hastig griff er mich am Arm: »Hast Du das ­Geld dabei?« »Welches Geld?« Sein Kopf zeigte in Richtung Casino. Sein Ge- sichtsausdruck war ernst und sein Blick hastete hin und her. Vielleicht hätte ich hier die Reißleine ziehen müssen, vernünftig sein, wachen Geistes erkennen, dass hier etwas nicht mit rechten Din- gen zuging. Stattdessen nahm ich meine Geld- börse und holte 50 Euro heraus. »Mehr habe ich nicht …«, aber Kolja hatte mir das Geld schon aus der Hand genommen und zog mich hastig die Treppen zum Casino hoch. Nichts geht mehr Ein Thriller aus dem wilden Herzen Baden-Badens von Madeleine Prahs NILSA.PETERSEN Eine Leipzigerin in Baden-Baden: Madeleine Prahs

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