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Logbuch_2016

www.kreuzer-leipzig.de 33 MAGAZIN | :logbuch: Wie kann man sich behaupten, wenn ­Bücher übers Image vermarktet werden? SUNDERMEIER: Dasselbe Dilemma herrscht auf dem Musikmarkt. Jetzt sind Lemmy und Bowie tot. Langsam wird es einsam da oben. Viele Musik­ kritiker, die davon gelebt haben, dass doch noch ein neues Motörhead- oder Bowie-Album heraus- kommt, müssen sich langsam auf jüngere Bands einlassen. Und dann vielleicht nicht die Krach- band aus Cottbus, weil ich darin meine alten Alben von den Goldenen Zitronen wiederentdecke. Ich glaube nicht, dass es gar nichts neues Gutes gibt, es wird nur nicht wahrgenommen. Was ich der- zeit interessant finde angesichts von Flüchtlings- krise, meinethalben auch Köln, oder 250 Hooli- gans entglasen die Wolfgang-Heinze-Straße ­[in Leipzig-Connewitz, d. Red.]: das immense Versa- gen der sogenannten Intellektuellen. Da muss ich sagen: Das habt ihr davon, dass ihr Harald Schmidt für intellektuell gehalten habt. :logbuch: Sie mischen sich immer auch wieder mit Texten in Debatten ein. Warum? SUNDERMEIER: Weil ich das Maul nicht halten kann. Es fällt mir schwer, nicht zu zeigen, was mich nervt, wenn andere schweigen. Ob ich im- mer recht habe oder zu moralisch bin: I don’t know. Dass ich noch nicht von Pegida beleidigt wurde, lässt mich an meiner Arbeit zweifeln. logbuch: Gutes Stichwort: Mit »Vorsicht Volk« ­erschienbeiIhneneineklareAbsageandieGidas. Kann man als Aufklärer anders Überzeugte ­überhaupt erreichen? SUNDERMEIER: Es geht im Buch nicht nur um ­Pegida und verlorene Menschen, sondern zum Beispiel auch um die Öko-Nazis aus Mecklenburg- Vorpommern. Die kann man im Biomarkt neben­ ­an treffen – deutsches Bioessen für Biodeutsche. Das Buch kann sensibilisieren, in solchen Sachen noch einmal genauer hinzuschauen. Sicherlich ist das Buch auch ein bisschen linke Selbstvergewis- serung, aber die ist nie ganz falsch. Aber es kann einem auch noch einmal helfen, gewisse Dinge genauer auf dem Schirm zu haben. Etwa dass Teile der Männerrechtsbewegung neu-rechts orien- tiert sind, die glauben so was à la »Schweine-Merkel hat im Auftrag des US-islamischen-Neger-Zio­ nismus beschlossen, dass ich mein Kind nicht mehr besuchen darf«. Von da ist es nur noch ein Fußmarsch bis nach Stalingrad. :logbuch:KannmandieLeutenochmitArgumenten erreichen? SUNDERMEIER: Ich glaube, dass viele Leute vieles nachplappern. Ich glaube, die Menschheit ist rett- bar. Und da sehe ich einen Kulturauftrag für uns. :logbuch: Kamen Sie mit dem Drucken von Anke Stellings »Bodentiefe Fenster« eigentlich nach, ­als es 2015 auf der Nominiertenliste des Deutschen Buchpreises landete? SUNDERMEIER: Zwei Stunden nach Veröffentli- chung der Nachricht hatten wir kein einziges ­Exemplar mehr im Lager. Das waren Buchhandels­ bestellungen, weil sich das Buch alle hinlegen wollten. Da hatten wir dann anderthalb Wochen einen Lieferengpass, und vor Weihnachten war ­es einen Tag lang nicht lieferbar. Aber das hat niemand gemerkt. :logbuch: Gerade hat Elfriede Czurda den Alice- Salomon-Poetik-Preis erhalten. Wie wichtig sind Auszeichnungen? SUNDERMEIER: Natürlich ist der Salomon-Preis weniger wirksam als der Büchner-Preis. Aber ein Preis gibt einem Autor die Gewissheit, dass da ein paar Leute finden, er hat alles richtig gemacht. Und es gibt ein Publikum – ich weiß nicht, wie groß das ist –, das auf Preise achtet. In erster Linie be- deutet es Anerkennung für den Künstler. :logbuch: Verbrecher hat den Kurt-Wolff-Preis ­erhalten, und dann wurde wieder geraunt, dass die organisierten Independent-Verlage sich ­diesen nur hin- und herschieben … SUNDERMEIER: Ich kenne die Kritik und würde gern wissen: Wer es ist und wer es macht? Dann könnte ich mir endlich auch mal einen Preis zu- schieben. Es gibt da keine Mauscheleien. Was es gibt, ist eine große Solidarität unter den Indepen- dent-Verlagen. Das sind Freundschaftsdienste, wenn ich etwa ein Manuskript habe, von dem ich denke, das ist nichts für uns, aber schon geil, dann reiche ich es weiter. :logbuch: Wer kam auf die Idee, die Tagebücher des Anarchisten Erich Mühsam zu veröffentlichen? SUNDERMEIER: Die zwei Herausgeber. Chris Hirte hatte das in der DDR initiiert, es sollte in den Neunzigern bei Volk und Welt erscheinen. In der Vorarbeitsphase fiel die Mauer. Bei vielen Verleger­ gesprächen hat er danach versucht, das Projekt durchzubringen – ohne Erfolg. Als er dann den In- formatiker Conrad Piens kennenlernte, der auch Antiquar ist und sich mit Mühsam beschäftigt hatte, wollten sie eine Online-Edition machen. Die war schon weit gediehen, als eine gemeinsame Bekannte den Kontakt her- und uns wörtlich so vorstellte: »Chris, du hast ein irres Projekt und brauchst einen irren Verleger, hier isser!« Ich fands toll, war aber skeptisch. Den ersten Band haben wir in kleiner Auflage gemacht, und dann hat uns die Presse überrannt. :logbuch: Interessanterweise waren alle voll des Lobes. Wunderte Sie das? SUNDERMEIER: Da dachte ich kurz: Ist Erich jetzt so tot, dass es niemanden mehr ärgert? Aber es hat auch einige Verrisse gegeben, er nervt noch. Das ist ganz angenehm. :logbuch: Wie viel Mühsam steckt im Verbrecher­ verlag? SUNDERMEIER: Was die Hoffnung angeht, die Mühsam in den Menschen gesetzt hat, sehr viel. INTERVIEW: TOBIAS PRÜWER »Ich glaube, die Menschheit ­ ist rettbar« ANZEIGE BesuchenSieunsaufderLeipzigerBuchmesse:Halle3,D201 SrebrenicaUnterdrückte Tatsachen über die an Serben begangenen Massaker 1992–1995 www.ahriman.com Vortrag und Diskussion mit auf der Leipziger Buchmesse Sonntag, 20.03.2016, 14 Uhr Forum Literatur »buch aktuell«, Halle 3, E 401 dt./engl./serb.,geb.Ausg.,2.erw.Aufl.,261S.,233Abb. mitDokumentarfilm-DVD,€34,90/ISBN978-3-89484-820-0 Alexander Dorin

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