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Logbuch_2016

Jens Wonneberger: Himmelreich; Manfred Rumpl: Dieser Tage

ROMANE | www.kreuzer-leipzig.de 45 Ländlicher Raum ist prekärer Raum. Die Politik sorgt sich um ihn wegen der Landflucht. Dem Er­ zähler ist die Gespensterwelt provin­ ziellen Herkommens nurmehr Ver­ wesungsort der eigenen Erzeuger. Das anbrüchige Mobiliar frühester Trau­ mataindenzum Leerstandverdamm­ ten Häusern und all das kurz vor dem Anlangen des Russen eilig im Vorgarten Vergrabene liefern hierzu die Ausstattungsstücke. Bei Jens Wonneberger ruhen im aufgelassenen Steinbruch die HJ­Fahrtenmesser: »Blut und Ehre«. Die Nachricht über die Demission Walter Ulbrichts tönt aus den Lautsprechern der NS­Landfilm­ stelle. Und Wonnebergers streunende Katzen tragen die Abdeckgrube schon im Fell. Jens Wonneberger lässt in »Himmelreich« die toten Tiere schreien, dass man sich an Josef Winkler erin­ nert fühlt. Allein bei Winkler fließt letzte Behaglichkeit aus dem Katholischen. Im von Wonneberger gezeig­ ten Kindheitshaus hingegen reibt sich die Mutter mit Bimsstein die Jahre aus den Poren, bis die Füße schnee­ weiß sind. Der Schnee, die Farbe Weiß, alles Wattige setzt Wonneberger als Platzhalter des Todes. »Zwischen den weißen Laken hängt der Vater und ist tot.« Wonneberger beginnt idyllisch mit Miniaturen dörflicher Originale. Doch sind diese Miniaturen mit »Untergänge« über­ schrieben. Im »Himmelreich« geheißenen größten Teil des Textes werden Momente gezeigt aus dem Leben des Vaters Rudi und seines Sohnes Robert. Wonneberger zeichnet das Bild einer Vater­Sohn­Beziehung, in des­ sen Mitte das Schweigen wohnt, von dem Robert ein­ mal kurz hoffte, es könnte von Einverständnis zeugen. In Rückblenden erscheint der Großvater Roberts, Ru­ dis Vaters, als der Fremde, der sein Gesicht weit weg nach Russland trägt. Vaters Erbe, so Wonneberger, waren Rudi allein Muttersätze. Muttersätze über den Vater. So blieb Rudi als Vater, im Leben wie im Tod, dem Sohn gleichfalls fremd, wurde nur kenntlich an und in den ausgerichteten Schuhen. Noch den aufgeknüpften Vater auf dem Dachboden erkennt Robert an seinen ak­ kurat abgestellten Schuhen. Nun ist noch nichts zu Rudis Modelleisenbahn gesagt. Der Klappentext nennt sie poetisch. So wenig indes die in »Himmelreich« versammelten Texte Roman zu nennen sind, so wenig glücklich ausgeführt ist die Idee mit der Modelleisenbahn. Andere Bilder sind stärker. Etwa: »Das Gesicht des Vaters steht hinter Glas auf der Anrichte.« Als Erfahrung einer väterentbehrenden Generation, die ihrerseits zum Vatersein nicht taugen sollte. JOHANN FELIX BALDIG ▶ Jens Wonneberger: Himmelreich. Salzburg: Müry Salzmann Verlag .  S.,  € Das Gesicht des Vaters hinter Glas Jens Wonnebergers Vater-Sohn-Roman »Himmelreich« Bald werden womöglich wir die Romantiker sein, wenn wir glau­ ben, es geht alles einfach so weiter.« Vincent Pygmali hat Liebeskummer. Während Europa auseinanderbricht und die Wirtschaft krachen geht, weint er seiner Liebe Gala hinterher. Die Schauspielerin hat ihn nach ei­ ner Theaterpremiere sitzen lassen, verschwand ins Nirgendwo. Dorthin sind auch viele Arbeitsplätze ver­ schwunden, so wie Vincents Job als Informatiker. Er­ werbs­ und geldlos sowie todunglücklich und einsam schlurft er durch seine aus den Fugen geratene Welt. Manfred Rumpl beschreibt eine dystopische nahe Zu­ kunft. Die europäischen Nationen haben ihre Grenzen wieder hochgezogen – welch gruselige Aktualität! –, die Arbeitslosenquote beträgt zwanzig Prozent, Islamis­ ten gehen um sowie Nazihorden, hier nur »die Bewe­ gung« genannt. Es regiert unter anderem ein »Minis­ terium für Gerechtigkeit«, und Rauchen ist nur noch zu Hause erlaubt. Längst bilden andere Flecken der Erde die lebenswerteren Zonen, allerdings sind die Flüge dorthin für die meisten Menschen unerschwinglich. Dieser Rahmen mit kleinen Anleihen an »1984« ist aber nur die Kulisse für Vincents Privatgeschichte. Wenn ihn komische Begriffe – Rumpl setzt auf eine Kombina­ tion möglichen Neusprechs und tatsächlicher Beam­ tensprache wie »Zumutbarkeitskriterien« für Stellen­ angebote – treffen, dann, weil sie ihn betreffen. Dann trägt er sie in sein Wörterbuch des Zeitgeistes ein, das er nebenher führt. Gegenideale will diese Dystopie nicht wachrufen. So­ lidarität gibt es nur am Rande. Eigentlich will der Pro­ tagonist in diesen harten Zeiten auch nur mit dem Arsch an die Wand kommen und Gala wiedersehen. Das ist das Neue an dieser Anti­Utopie. Man wurschtelt sich so durch, der offensichtliche Zusammenbruch neolibera­ ler Verfasstheit hat nur zu mehr und brutaleren Neolibe­ ralismusformen gefunden. Ein hübscher Clou, mit dem Rumpl einer vermeintlich alternativlosen Zeit ihren Spie­ gel entgegenhält. Das ist amüsant und unterhaltsam, aber natürlich auch keine schwere Kost. Gesellschafts­ theoretische Reflexionen dürfen wir von Vincent nicht erwarten – um über das richtige Zusammenleben zu plaudern, ist er sicherlich nicht der beste Gesprächs­ partner. Er sieht nur eine Lösung für seine Zukunft: mit seinem selbstgebauten Roboter in 3­D­Kochshows Ri­ sottos zusammenzurühren und Possen zu reißen. »Oh schöne neue Welt, die solche Bürger trägt.« TOBIAS PRÜWER ▶ Manfred Rumpl: Dieser Tage. Wien: Picus Verlag .  S.,  € Risotto wird die Rettung sein Gruselige Aktualität: Manfred Rumpls »Dieser Tage« Carl-Christian Elze DIESE KLEINEN, IN DER LUFT HÄNGENDEN, BERGPREDIGENDEN GEBILDE ——— Gedichte „Carl-ChristianElzegelingtes,dasGroße und das Kleine, das Menschliche und das Kosmische in einem Gedichtband miteinander zu verbinden. Der fließende Rhythmus seiner Verse zieht einen unweigerlich in seine Welt. Am Ende ist kaum noch zu unterscheiden, ob die Gedichte unter die Haut gehen oder selbst die Oberfläche sind, die einen beim Lesen umspannt.“ Gedichte: Carl-Christian Elze Illustrationen: Christoph Vieweg 160 Seiten // EUR 13,90 ISBN: 978-3-945832-14-1  VERlaGShaUS-BERlIN.dE ANZEIGE

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