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Logbuch_2016 - Romane

Juli Zeh: Unter Leuten

www.kreuzer-leipzig.de | ROMANE 34 Jenny Erpenbecks »Heimsuchung«, Marion Poschmanns»DieSonnenposition«,SašaStanišic´s »Vor dem Fest« – warum spielen in letzter Zeit ei­ gentlich so viele Romane in Brandenburg? Post­ zonale Tristesse findet sich ja weiß Gott auch in anderen Gegenden östlich der Elbe. Was Bran­ denburg für unsere Literaten so interessant macht, ist natürlich die – geografische – Nähe zu Berlin. Nirgendwo prallen, Klischee hin oder her, die Le­ benswelten von Metropole und Provinz so unge­ dämpft aufeinander wie hier. Mit einem Wort: In Brandenburg lassen sich die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft wie unter einem Brennglas beobachten, und das ergibt ein ideales Szenario für einen deutschen Gesellschaftsroman. Das weiß auch Juli Zeh, die vor gut zehn Jahren von Leipzig ins brandenburgische Outback gezogen ist. Was soll man sagen? In literarischer Hinsicht hat sich der Ausstieg jedenfalls gelohnt. »Unter Leuten« ist Zehs bisher gelungenstes Werk und, obwohl es seltsamerweise nicht für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde, wahrscheinlich der meistbesprochene Roman dieses Frühjahrs. In Unterleuten, einem Dorf irgendwo in Bran­ denburg, leben zwei Sorten Menschen: die Ein­ heimischen und die Zugezogenen. Die verschwo­ rene Dorfgemeinschaft will von der Welt da draußen nichts wissen und ein möglichst selbst­ bestimmtes Leben führen, die anderen wollen der Anonymität der Großstadt entfliehen und sich auf dem Lande selbst verwirklichen. Gemeinsam ist allen, Eingeborenen wie Neubürgern, dass sie Getriebene ihrer Sorgen, Rachegefühle, Sehn­ süchte sind und dass sie ihre Lebensziele mit be­ merkenswerter Rücksichtslosigkeit verfolgen. Da wäre der Patriarch Gombrowski, Chef des ört­ lichen Landwirtschaftsbetriebs und größter Ar­ beitgeber der Gegend, ein unausstehlicher Chole­ riker, der seinen Hund liebt und sein Frau schlägt, sich aber für das Dorf und seine Menschen verant­ wortlich fühlt. Aber seine Machtstellung ist nicht unangefochten. Sein Erzfeind Kron, ein unver­ besserlicher Genosse und notorischer Querulant, macht ihm das Leben schwer. Von den Zugezoge­ nen lernen wir zunächst den ehemaligen Sozio­ logie­Dozenten Fließ kennen, der mit seiner jun­ gen Frau und dem neugeborenen Kind aufs Land gezogen ist, um als Vogelkundler den Bestand des Kampfläufers, einer gefährdeten Schnepfen­ art, zu schützen. Fließ liefert sich einen erbitter­ ten Kampf mit seinem Nachbarn, dem Sonderling Schaller, der unablässig Autoreifen verbrennt, deren giftiger Rauch Haus und Grundstück des Naturschützers verpestet. Auch die kaltschnäu­ zige Pferdeflüsterin Franzen hat sich mit ihrem Lebensgefährten, einem harmlosen Computer­ nerd, in Unterleuten angesiedelt. Ihr Vorhaben, dort eine Pferdeschule aufzumachen, wird wie­ derum von Fließ konterkariert. Richtig in Gang kommt die Handlung, als um das Dorf herum Windkraftanlagen gebaut werden sollen. Während Gombrowski darin die Chance erblickt, Unter­ leutens Zukunft langfristig zu sichern, befürchtet Kron den endgültigen Ausverkauf des Dorfes. Natürlich geht es auch ums Geld, denn der Wert der Grundstücke, auf denen die Windräder er­ richtet werden sollen, steigen beträchtlich. Als Gombrowski am Ende einsieht, dass seine Pläne gescheitert sind, sein Lebenswerk zerstört ist, ent­ schließt er sich zu einem Abgang, der es in sich hat. Aber mehr sei hier nicht verraten. Indem Zeh abwechselnd aus der jeweiligen Per­ spektive ihrer Protagonisten erzählt, blicken wir tief in das Innenleben dieser Figuren, erfahren, was sie treibt und wie ihre Vorstellungen und Pläne miteinander kollidieren. Und das hat Zeh fa­ belhaft hingekriegt: Sobald wir mit einer Figur einigermaßen vertraut geworden sind, Verständ­ nis für ihren Standpunkt und ihre Motive auf­ bringen, sehen wir uns mit der Gegenperspektive konfrontiert, die sich als ebenso nachvollziehbar erweist. Aber um die Wahrheit zu sagen: Die meis­ ten dieser Figuren sind nicht besonders liebens­ wert und ziemlich humorlos. Vermutlich liegt das daran, dass Zeh bei der Konzeption ihres Romans weniger von den Charakteren als von einem ge­ sellschaftlichen Problem ausgegangen ist. Jeden­ falls bleiben die Figuren seltsam leblos; sie spie­ len exakt die Rolle, die Zeh ihnen zugedacht hat, entziehen sich nie der Kontrolle ihrer Schöpfe­ rin. Das ist schade, ein bisschen verwilderter hätte es in diesem ansonsten großartigen Roman schon zugehen dürfen. Auch hätte es Juli Zeh lie­ ber bei Gombrowskis grandioser Abschiedsvor­ stellung belassen. Stattdessen verpasst sie dem Roman in einem kurzen Epilog noch eine ebenso überraschende wie überflüssige Rahmenhand­ lung, in der dem Leser erklärt wird, wer ihm die Geschichte erzählt. Aber was solls: Mit »Unter Leuten« hat Juli Zeh eine gnadenlos scharfsinnige und zugleich span­ nend zu lesende Gesellschaftsanalyse vorgelegt, die sich keineswegs auf die brandenburgische Provinz beschränkt. Muss man gelesen haben. OLAF SCHMIDT ▶ Juli Zeh: Unter Leuten. München: Luchterhand Literaturverlag .  S., , €, erscheint am .3. Brandenburg ist überall Gnadenlose Analyse: Julis Zehs neuer Roman »Unter Leuten« »Bei manchem Werk eines berühmten Mannes möchte ich lieber lesen, was er weggestrichen hat, als was er hat stehen lassen.« GeorgChristophLichtenberg,Sudelbücher »Bei manchem Werk eines berühmten Mannes möchte ich lieber lesen, was er weggestrichen hat, als was er hat stehen lassen.« GeorgChristophLichtenberg,Sudelbücher

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