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Logbuch_2016 - Kunst

Jana Gunstheimer: Image in Meditation; Franziska Klose: Bitterfeld

www.kreuzer-leipzig.de | KUNST 52 Bilder sind auch bloß Menschen, schlaflos mit­ unter, schwergewichtig oder geknickt. Manch­ mal schämen sie sich, suchen nach Sinn, haben perverse Seiten – oder küssen sich, dann zeigt ei­ nes von beiden dem Betrachter nur seine Rück­ seite. Nur? Als wäre ein Bild auf die Vorderansicht begrenzbar! Als hätte es keine verborgenen Sei­ ten, träumte nicht von Dreidimensionalität! Die Künstlerin Jana Gunstheimer zeigt all das und weiß gar von einem Bild, das nicht von Menschen­ hand stamme, sondern als Reaktion auf den Be­ trachter entstehe, ihm in die Seele blicke, deren Verfasstheit spiegele. Gunstheimers Arbeit »Icon« handelt davon. Die Leinwand, die ein derartiges Eigenleben aufweist, soll ein Johann Jacob Mu­ menthaler 1793 geschaffen haben. Gunstheimer, Jahrgang 1974, hat in Leipzig Kunst­ geschichte und in Halle Kunst studiert. Sie arbei­ tet grafisch, mit Objekten, Rauminstallation und Text. Doch der Stoff, an dem sie sich eigentlich abarbeitet, ist die Realität. Sie erschafft komplexe Settings, die vorgeben, wahr zu sein, und betreibt ein raffiniertes Spiel mit Plausibilität und Fanta­ sie. So auch im Buch »Image in Meditation«, das mehr ist als bloß ein Katalog zur Ausstellung im Museum Morsbroich, Leverkusen. Auf 456 Seiten führt Gunstheimer durch einen imaginären Bau, für den das Beiwort kafkaesk kaum vermeidbar ist. Der Bau mag so etwas wie das irdische Gegen­ stück zu Platons Ideenhimmel sein, »eine Arche Noah für Dinge«, »wie geklont«. »Niemand weiß, wie es drin ist. Doch alle sprechen darüber.« Zehn der zahllosen Räume skizziert Gunstheimer. Im Eingangsbereich befindet sich eine Wand­ arbeit mit einem verschlossenen Schiebefenster. Geöffnet droht »enttäuschte Erwartung«, ver­ schlossen bewahrt dieses »Latent Object« seinen Umfang an Möglichkeiten. Raum 4, der »Closed Room«, birgt entglittene Ideen, Pläne, Vorhaben. Ein Schrank verstellt die Tür, Chance verpasst. Raum 10 trägt die Bezeichnung »Erased Room«, darin eine Abbildung des 1913 von einem Atten­ täter aufgeschlitzten Gemäldes »Iwan der Schreck­ liche und sein Sohn«, eine Tat, in der Ilja Repin, Maler des Werks, einen Angriff der Modernisten wähnte. Für ihre Serie »Methods of Destruction« zeichnete Gunstheimer das Gemälde fotorealis­ tisch ab, als stamme es aus einem Katalog: Falz in der Mitte, Reflexionen, Textrand mit Anmer­ kungen. Bei solchen Abbildungen gerät das kompakte Buchformat, 17 x 13 cm, an Grenzen. Dennoch erscheint »Image in Meditation« selbst als impo­ santes Objekt, schimmernd rot, 4 cm dick. Gestal­ terin Claudia Siegel hat ein Opus vorgelegt, dem auf der Buchmesse ein Platz unter den »Schöns­ ten Büchern aus aller Welt« am Stand der Stiftung Buchkunst zustünde. HENDRIK PUPAT ▶ Jana Gunstheimer: Image in Meditation. Imaginäre Passagen durch ein Bauwerk. Wien: Verlag für Moderne Kunst .  S., , € Das Titelblatt des gut A4­Format­großen Buchs zeigt ausschließlich ein Foto. Kein Text, keine Gestaltungselemente. Nichts, woran das Auge schnell Halt fände. Bläulich grüner Flimmer do­ miniert. Der Blick fällt auf üppige, nahezu form­ lose Vegetation, ein Chaos aus Blättern. Wenn die Fantasie des Betrachters freidreht, sieht er wo­ möglich den vagen Umriss eines Gespenstes, Au­ genhöhlen, Nase und ein weit aufgerissener Ra­ chen, ein dunkler Eingang, einer, der zugleich abstößt und anzieht. Da Neugierde immer obsiegt, bleibt nur, den Buchdeckel zu lüften und einzutauchen in etwas, was 2007 seine Eigenständigkeit verloren hat, je­ doch als Ortsteil und vor allem als Mythos fortbe­ steht: In Bitterfeld, einst verschrien als »dreckigs­ te Stadt Europas« (so Monika Maron 1981 im Roman »Flugasche«), 1990 unter dem Ortsein­ gangsschild noch als »Umwelt­Notstandsgebiet« ausgewiesen, ist heute fast wörtlich Gras über die allgegenwärtige Kontamination gewachsen. Der 1930er­Jahre­Traum von »Groß­Bitterfeld« ist passé. Der »Wald von Schornsteinen«, der 1955 für Walter Bellmann »äußeres Kennzeichen em­ siger Arbeit zum Wohle aller« war, ist wuchernder Indifferenz gewichen. Die Fotografin Franziska Klose, Meisterschüle­ rin von Tina Bara, suchte über Jahre hinweg Plätze in Bitterfeld auf, an denen sich diese Trans­ formation ereignete. Ob »Säurekreuzung«, Grube Ludwig/Ludwigsee, Haldenberge oder Deponien, die makaber »Freiheit« hießen: Die Bilder, die Klose dort einfing, zeigen stets eine scheinbar sich selbst überlassene Natur, welche die Altlasten einer extremen Industriekultur zumindest op­ tisch beseitigt. Dabei gern im Einsatz: genügsame zugereiste Fachkräfte wie die Robinie, die mit saurem Boden klarkommt. Kloses »Bitterfeld« beschränkt sich über 30 ganz­ bzw. doppelseitig präsentierte Farbfotos hinweg auf Bäume, Gräser, Sand, Gewässer. Gelegentlich tauchen noch eine Laterne, ein Vogelhaus, ein Zaun auf. Menschen und Bauwerke bleiben konsequent außen vor. Zitate lockern den Fototeil auf, darunter roman­ tisierende Worte von Emil Obst (1887/88) ebenso wie desillusionierte aus einem Deutschlandra­ dio­Länderreport von 2004. Im hinteren Teil be­ legen Karten die Veränderung der Landschaft, sieben gerasterte Schwarz­Weiß­Aufnahmen verweisen auf die einstige Schwerindustrie, ein Textteil liefert knappe Informationen zu den foto­ grafierten Orten und benennt akribisch die zu entdeckenden Pflanzen. Nach dem Schließen des Künstlerbuches macht sich Ratlosigkeit breit. HENDRIK PUPAT ▶ Franziska Klose: Bitterfeld. Leipzig: Edition Kunstraum Michael Barthel .  S.,  € Kafkaeskes Spiel mit Realitäten »Image in Meditation«: Jana Gunstheimer imaginiert einen Bau Blättriges aus Bitterfeld »Bitterfeld«: Franziska Klose fotografiert neue Wildnis »Die Limonade ist matt wie deine Seele.« Friedrich Schiller, »Kabale und Liebe« »Die Limonade ist matt wie deine Seele.« Friedrich Schiller, »Kabale und Liebe«

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