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Logbuch_2015

Ich weiß nicht, welche Traurigkeit: Die Erzählungen Eduard Graf von Keyserlings

Magazin | www.kreuzer-leipzig.de 25 Ich weiß nicht, welche Traurigkeit Ironie im Angesicht des Niedergangs: Die Erzählungen Eduard Graf von Keyserlings Auf ihrem Ritt nach Westen erreichte Marion Gräfin Dönhoff im März 1945 Varzin. Bismarck hatte das hinterpommersche Gut aus einer Dotation Wilhelms I. erworben. Die 81-jährige Schwiegertochter des Reichsgründers, Sybille Gräfin Bismarck, lebte noch dort. Sie hatte beschlossen, Varzin nicht zu verlassen. Im Park des Herrenhauses hatte sie ihr Grab ausheben lassen. Marion Dönhoff blieb zwei Tage. In »Namen, die keiner mehr nennt« findet sich ihr Bericht: Herrliche Jahrgänge roten Weines. Die nuancierten Erzäh- lungen der Gräfin vom kaiserlichen Hof. Der alte Diener. Alles in Sybilles Umgebung, so Marion Dönhoff, sei wie immer gewesen und die Gräfin selbst von »großer Grandezza«. Unverändert die Parks, die Tafeln, derweil die raison d’être längst in Verfall geraten war. Martin Mosebach nannte dies treffend die »Gespenstererfahrung der Geschichte«. In den Novellen und Erzählungen des Deutschbalten Eduard Graf von Keyserling (1855–1918) wird die von Dönhoff beschriebene Grandezza im Angesicht des Unterganges deutscher Kultur im Osten in Fülle ausgeschen­kt. Der Kognak stammt aus den Zeiten Ludwigs XVIII., die Protagonisten leben in bald grünem, rotem, endlich goldenem Dämmerlicht, das von einer La- terna magica erzeugt zu werden scheint. Ihre Erzählungen handeln von Jagden und früheren Sommern. Ihre Tage scheinen allein Vorbereitung auf den Abend. Das Pathetische, das Mitleid, der Schmerz gar bereiten ihnen wohlige Gefühle. Als abendliche Gestalten in hellen Sommerkleidern stehen sie auf den Veranden ihrer Schlösser und Herrenhäuser. Aus den verlasse- nen Gängen der Parks drängt dann das Feuchte und Dunkle heran. Und trauriger Singsang einsamer Mägde weht weit über mittsommernachtsbe- schienene Wasserflächen. »Die Nacht hatte ihr einsames Singen in den Fel- dern und an den Wassern«, heißt es in der Erzählung »Schwüle Tage« (1904). Keyserlings Prosa mag makellos sein, aber ist sie noch von Belang? »Die Gräfin raffte ihre Silber-Robe, würdigte den Grafen keines Blickes und fiel die Schlosstreppe hinunter.« Der Satz stammt aus dem fiktiven Briefwech- sel mit Ernst Rowohlt, den Kurt Tucholsky seinem »Schloss Gripsholm« ­vorangestellt hat. Tucholsky nannte Keyserling einen »feinen Novellen- dichter«, und diese Zuschreibung klingt verdächtig. Gut möglich, dass er ­­ den Grafen Keyserling aus eher oberflächlichen Gründen schätzte, denn ­Tucholskys große Liebe Mary Gerold war eine Deutschbaltin. Nicht zu-­ letzt hatte Tucho eine Schwäche für die karge, unaufgeregte Landschaft des Ostseeraumes. Heute dürfte sich das Interesse für Keyserlings Werk vor allem seinem Beitrag zum Verhältnis der Geschlechter in der Moderne verdanken. Da kriecht der junge Graf, vom Gesinde »Grafchen« genannt, zu den durchaus selbstbewussten Mägden ins Stroh, um den festen und heilenden Takt des Blutes der einfachen und intellektuell unangekränkelten Frau zu spüren. »Warum bestand nicht die Einrichtung, dass man in solchen Sommernäch- ten die Mädchen in die Arme nehmen durfte und küssen?«, fragt ein puber- tierender Adliger in »Schwüle Tage«. Keyserlings Männergestalten leiden darunter, dass die Gesetze der Minne außer Kurs geraten sind. Immerzu wollen sie etwas Hübsches sagen, unablässig denken sie darüber nach, wie sie auf die Umworbene wirken. Die Keyserling’schen Frauen indes sitzen gelangweilt auf Parkbänken und verteilen Körbe. Und all die Liebesgedichte und -briefe verhindern gerade das, was durch sie erreicht werden soll, näm- lich die reale Erfüllung der Liebe. »Wenn man das so hübsch sagen kann, dann […] braucht man es gar nicht mehr zu erleben« (»Seine Liebeserfah- rung«, 1906). Bei Keyserling üben die Frauen ein unerbittliches Lektorat über das werbende Wort des Mannes aus. In der Erzählung »Am Südhang« (1914) gibt eine Adlige den an sie gerichteten Liebesbrief dem Schreiber mit Korrekturen in roter Tinte zurück: »Das ist so hübsche Literatur, dass, wer das geschrieben hat, schon ganz befriedigt ist.« In seinen Betrachtungen zur Codierung von Intimität wird Niklas Luhmann Jahrzehnte später auf das Paradoxon hinweisen, wonach der Liebende, der seiner Geliebten folgt, gerade nicht dem Liebescode folgt. »Und aus den feuchten dunklen Gängen des Parkes wehte uns ich weiß nicht welche Traurigkeit an«, heißt es in »Seine Liebeserfahrung« (1906). ­ Es ist dies die Traurigkeit der Moderne. In seinem Nachwort zu dem Band »Wellen« meint Florian Illies, Keyserlings Welt sei eine, von der ihr Autor wisse, dass nur der intensive Kontakt mit Aufklärung und Moderne sie hätte retten können. Illies irrt. Oft ist über die Ironie Keyserlings nach­ gedacht worden. Es ist eine aus Bestürzung und Leid geborene Ironie im ­An­gesicht des Niederganges. Und die ist sehr wohl noch von Belang. ­Keyserlings Werk erscheint in den wunderschönen, eleganten Bändchen des Manesse Verlages, ein würdiger Ort. JENS LANGE Feiner Novellendichter: Eduard von Keyserling

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