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Logbuch_2015

"Färseninsel" Helle Helle; "Heute bedeckt und kühl" Michael Maar

www.kreuzer-leipzig.de | Bücher 44 er hatte meine Bücher gelesen und fand sie wirklich interessant. All diese Gefühle, sagte er. Die nicht da sind.« Die Schriftstellerin Bente ist auf der Suche nach einem guten Ort zum Wei- nen. Sie sitzt am Meer, schaut sehnsüchtig auf die ferne Färseninsel. Ein Paar kommt vorbei, lädt sie ob des schlechten Wetters zu sich ein. Sie geht mit und erlebt eine Geborgenheit, die ihre Traurigkeit zeitweise wegschiebt. Es sind alle Ge- fühle, die bei Helle Helle da sind. Aber wie in ih- ren zwei bereits auf Deutsch veröffentlichten Ro- manen sind diese in »Färseninsel« nicht groß thematisiert. Man kann sie herauslesen aus den Handlungen und Dialogen. In Kopf und Herz kann man den Figuren nicht schauen. Man erfährt nicht einmal ganz genau, warum Bente denn nach Weinen zumute ist, nur, dass es etwas mit ihrem Leben und Lieben als Städterin zu tun hat. In der Provinz findet sie dafür irgendwie wieder zu sich. Einmal mehr spielt Helle ihre wunderbar lako- nisch-lapidare Sprache aus, um die unaufge- regten Tage in der Provinz festzuhalten. »Es geht meist um ganz gewöhnliche Menschen«, sagt Bente über ihre Bücher. Was die den täten? »Kaf- fee trinken und reden und so was.« Genau das ist auch Helles Rezept. Das klingt einfach. Aber in ihrer völligen Zurückhaltung, was Emotion und Wertung angeht, ist das kein kleines Kunststück – zumal der Roman von einer Ich-Erzählerin ge- schildert wird. Umso emotionaler fällt dieses Ein- fühlen in die Provinz für den Leser aus, der sich wie Bente in diese Landpartie geworfen fühlt. Einmal mehr also legt Helle Helle große Literatur mit kleiner Geste vor. TOBiAS PrüWer ▶ Helle Helle: Färseninsel. Aus dem Dänischen von Flora Fink. Zürich: Dörlemann Verlag 21. 223 S., 1, € Kaffeetrinken und so was Helle Helles dritter meisterlicher Wurf: »Färseninsel« in seinem neuen Buch flaniert der Germanist, Literaturkritiker und Schriftsteller Michael Maar durch die uner- schöpflichen Weiten der Tagebücher und macht sich so seine Ge- danken darüber, wa- rum die Menschen, Schriftsteller zumal, oft Tag für Tag ihre Diarien pflegen. Tage- bücher seien bei- spielsweise»Schmoll- winkel« (Gottfried Keller), eine »Beschwerdestelle, deren Schalter nie geschlossen ist«. Und Tagebücher sind Erbe des Pietismus, Dokumente der Selbsterforschung. Es gibt große antipietistische Tagebücher wie die von Goethe und Thomas Mann, die penibel All- tagsbanalitäten vermerken, auf den Leser jedoch trotzdem einen großen Sog auszuüben in der Lage sind. Wie auch das Tagebuchmonument des Samuel Pepys, eine historische Quelle ersten Ranges und dabei »unverstellt ehrlich« und »reich an komischen Details«. Tagebücher bieten eine Entlastungsfunktion, wie etwa das des un- glücklichen homosexuellen August von Platen. Für Gustav René Hocke, den Verfasser von »Eu- ropäische Tagebücher aus vier Jahrhunderten«, gibt es laut Maar, ganz allgemein gesprochen, zwei Antriebe, die religiös-ethische Forderungen einzulösen versuchen: »Erkenne dich selbst« und »Werde, der du bist«. Und das Tagebuch ist Klage- instanz, wenn man sich als Fremder fühlt und/ oder die schnöde Umwelt die eigene Genialität nicht wahrnimmt. Maar geht auch darauf ein, wie Facebook unsere Selbstwahrnehmung verän- dert, als digitales »Tagebuch« unserer Zeit, wie auch die Blogs (Goetz und Herrndorf) nicht uner- wähnt bleiben. Es gibt noch weitaus mehr Leuchttürme in die- sem sehr anregenden Buch. Schnitzler und Graf Kessler, Zeitzeugen ersten Ranges, muss man un- bedingt lesen, sagt man sich. Und immer wieder stößt man auf großartige Zitate, wie das von Su- san Sontag, eine Anekdote um den kriegsversehr- ten Action-Painting-Erfinder Harold Rosenberg: Dessen Frau kommt überraschend nach Hause, »stepping over nacked one-legged Harold Rosen- berg fucking girl on living room floor.« Zu ihrem Ehemann sagt sie nur: »Dinner in one hour.« JürGen LenTeS ▶ Michael Maar: Heute bedeckt und kühl. große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf. München: C. H. Beck Verlag 213. 2 S., 1, € Beschwerdestelle, deren Schalter nie geschlossen ist in »Heute bedeckt und kühl« widmet sich Michael Maar dem Tagebuch iLiteraturkritiker und Maar durch die uner- gRiMM'SCHeR RAMSCH

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