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Logbuch_2015

Menschenfresser und Negerkönige: Die Darstellung fremder Lebenswelten in Kinderbüchern ist im Ansatz oft rassistisch

www.kreuzer-leipzig.de54 | Kinderbücher Reisen, Kennenlernen fremder Kulturen: Wer in der modernen westlichen Welt aufwächst, wird schon früh damit konfrontiert, dass Welter- fahrung, Abenteuerlust und Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Lebenswelten zum guten Ton gehörten. Unzählige Kinderbücher laden zum Aufbruch in die Fremde ein, indem sie die Leser auf fantastische Entdeckungsfahrten oder rund um den Globus schicken. Aber wie sieht dann der Kontakt mit anderen Kulturen aus? Gibt es so etwas wie ein echtes gegenseitiges Kennenler- nen? Geht man davon aus, dass Kinderliteratur als un­bewusst konstituierte kulturelle Äußerungen der eigenen Gesellschaft zu deuten sind, lässt sich schnell ermitteln, wie es um das Verhältnis der westlichen Welt zum Rest steht. Buchtitel wie: »Entdecke die Welt mit Polo Propeller« (Verlag Oetinger 2012) oder »Die große Reise des kleinen Mouk« (Reprodukt Verlag 2014) überschwem­ men derzeit den Markt und weisen hier die ­Richtung. Auch in Sachbüchern ist europäische ­Entdeckungsgeschichte ein beliebtes Thema. Hier sind es immer die »furchtlosen«, »kühnen« und »wissbegierigen« Europäer, die sich auf den Weg machten, andere Völker zu entdecken. Die anderen bleiben nur Statisten. Der Star unter den Weltenbummlern ist seit Jah­ren Kuschelhase Felix. In »Briefe von Felix« (Annette Langen/Constanza Droop) macht er vor, wie Reisen geht: Man stellt sich einfach in ­einem Museum neben ein Ausstellungsstück und wird augenblicklich ins Mittelalter, nach Japan oder in die Steinzeit gebeamt. Zwar benutzt Hase Felix im ersten Band der Buchserie wenigstens noch ein Flugzeug, um an den Zielort zu gelan- gen, doch von seiner nachfolgenden Reise schrei­bt er nach Hause: »Ich weiß auch nicht, wie es pas- siert ist, aber jetzt bin ich bei den Indianern. Und dies hier sind die echten!« Die Eindrücke des Ha- sen sind nicht mehr als ein touristischer Schnapp­ schuss, dann hetzt er weiter zur nächsten Sehens- würdigkeit. Die daheimgebliebene Familie erhält regelmäßig einen Brief von Felix, diskutiert ihn kurz, kocht vielleicht noch ein landestypisches Gericht im Gedenken an ihren Abenteurer und freut sich auf den nächsten Brief. Sich tiefer auf das Fremde einzulassen, ist nicht vorgesehen. Denn bevor sich der Protagonist mit jenen Emo- tionen auseinandergesetzt hat, die das unbe- kannte Andere in ihm ausgelöst hat, ist er auch schon wieder weg. Oberflächliche Darstellungen des Reisens und die Aufrechterhaltung von Vorurteilen und Klischee- vorstellungen über die Bewohner anderer Erdteile haben auch schon die Kindheit vorangegangener Generationen beeinflusst. »Bei mir war es erst- mals Karl May, der mich mit Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar durch die Schluchten und Weiten Anatoliens und des Nahen Ostens ziehen ließ«, sagt Wolfgang Schäuble im Jahr 2008 in ­einer Rede, die er auf einer Fachkonferenz zum Islambild in Deutschland in Berlin hält. Als es Ende der siebziger Jahre im deutschspra- chigen Raum zu einem Diskurs über die Darstel- lung fremder Lebenswelten in der Kinder- und Jugendliteratur kam, untersuchten Ethnologen über 900 Kinderbücher auf ihren ideologischen Inhalt und präsentierten das Ergebnis in dem Sammelband »Die 3. Welt im Kinderbuch« ­ (hrsg. von Jörg Becker). Fast alle Bücher wiesen pa- ternalistische und rassistische Tendenzen auf. Ab­ gesehen von wenigen positiven Einzelfällen hat sich bis heute nichts an der Situation geändert. Immer noch finden wir in der deutschsprachigen Kinderliteratur ein zivilisiertes hoch entwickel­ tes Europa, demgegenüber der naive Wilde, der hinterhältige Orientale, der rätselhafte Asiate und der fröhliche Afrikaner steht. Die Darstel- lung der anderen in der Kinderliteratur bleibt verallgemeinernd, kulturelle Unterschiede wer- den nicht berücksichtigt und eine wirkliche ­Begegnung mit dem Leben der anderen findet nicht statt. Auch der Sprachgebrauch ist geprä­gt von Kulturimperialismus und einem eurozentri- schen Blick auf historische Ereignisse. Über Ge- biete wie Australien, Afrika und den Regenwald erfahren die jungen Leser ausschließlich etwas im Hinblick auf deren Flora und Fauna und ge­ win­nen so den Eindruck, dass die dort lebenden Menschen Teil einer bunten Tierwelt sind. Auch der reisende Hase Felix trifft in Afrika Ze- bras und Elefanten, in welchem Land er sich auf- hält, erfährt der Leser nicht. In seinem Brief an Freundin Sofie berichtet er davon, dass im No- vember die Sonne scheint, es endlose Sand- strände und türkisblaues Wasser gibt. »Aber so allein macht es keinen Spaß«, schreibt er, und Menschenfresser und Negerkönige Die Darstellung fremder Lebenswelten in Kinderbüchern ist im Ansatz oft rassistisch »Braune Haut wie Milchschokolade« SandraNeuhaus

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