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Logbuch_2015

"Die ersten Suchmaschinen" Anton Tantner; "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" Frank Witzel

Bücher | www.kreuzer-leipzig.de 39 Vieles, was unsere Gegenwart bestimmt, das hat seine Ursprünge in der Frühen Neuzeit. Anton Tantner, Wiener Historiker, der sich schon sehr produktiv mit der nur scheinbar marginalen Geschichte der Hausnummer beschäftigt hat, legt mit »Die ersten Suchmaschinen« eine weitere Pionierarbeit vor. Die Orte, um die es geht, hießen Adresshaus, Adresscomptoir, Frag- und Kundschaftsamt, Be- richthaus, Intelligenzbüro oder -amt, Bericht- haus, bureau d’adresse intelligence oder registry/ register office. Das erste bekannte Institut dieser Art eröffnete 1630 ein gewisser Théophraste Ren- audot, nachdem ihm das Patent verliehen war, sein »bureau d’adresse«. Renaudot hatte einiges vor: Wie ein Fernrohr sollte sein Büro die »ver- streuten Teile der Gesellschaft sammeln«. Arbeits- amt und -vermittlung, kostenlose Hilfe für die Armen, vor allem auch im medizinischen Bereich, Vermittlung von Waren und Immobilien aller Art, Pfandhaus, Wissensvermittlung, Servicean- gebote von der Geburt bis zur Beerdigung, Mel- deamt und vieles mehr. Renaudot kannte auch schon das Prinzip des »serendipity« – die Kunst, etwas zu finden, das man gar nicht gesucht hat (»Das könnte Sie auch interessieren«) sowie den Versuch der Anonymisierung von Kunden. Die Obrigkeit war damals schon, etwa bei dem Melde- register, sehr an den Informationen interessiert. Viele Hunde sind des Hasen Tod. Zahlreiche Lobbyorganisationen machten Renaudot das Leben schwer. Vor allem die Ärzteschaft nutzte jede propagandistische Möglichkeit, das Büro und seinen Leiter aufs Übelste zu verleumden. Seine Söhne verpachteten später das Patent. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde die Idee in ganz Europa vielfach umgesetzt, bis diese Institutio- nen nach und nach verschwanden. Ihre Funktio- nen wurden von Spezialisten übernommen. Die Quellen für die Forschung sind laut Tantner sehr dünn gesät, ihm ist es jedoch gelungen, eine erste Schneise zu schlagen. JürGen LenTeS ▶ Anton Tantner: Die ersten Suchmaschinen. Adressbüros, Fragämter, intelligenz-Comptoirs. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 21. 13 S., 1, € »Das könnte Sie auch interessieren« informativ: Anton Tantners »Die ersten Suchmaschinen« Oops, he did it again! Frank Witzel hat den nächsten Montageroman zusammenge- puzzelt – so aberwitzig, dass ihm mit keiner dis- tanzierten Kritik Genüge getan werden kann. Das nennt man wohl Postmoderne, was Witzel da als Reflexivwerden der Lektüre veranstaltet. Kann mir mal einer die Wasserpistole reichen: Als Teenager gründet er mit Claudia und Bernd die RAF – mit dem Logo eines Turnvereins. Fast geht alles schief, weil sie nicht Achims Luftge- wehr mitgenommen haben. Die Frau von der Ca- ritas wittert Linksterrorismus, plötzlich ist man in der Psychiatrie, 20 Jahre später oder so, wird verhört. Bleierne Frage-Antwort-Spiele, Deutsch- land im Schweineherbst. Die Grenzen seiner Sprache bedeuteten die Grenzen seiner Welt – frei nach Wittgenstein. Auf der Flucht vor Schleyer-Fahndung und Horror vacui filzt Witzel ins Episoden-Hopping kleine Pop- und Philosophiediskurse zum mäandern- den Bewusstseinsstrom mit Flusen und Flausen. Dabei flicht er schillernde Strähnchen in die fus- seligen Bärte der Tupamaros und Stadtindianer. Permanent ploppen religiöse Bilder auf, schreibt der offenbar(ende) Offenbacher eine Hagiografie für den solipsistischen Geist, verewigt diesen in einer Legenda aurea. Denn Reden ist Silber, Schwelgen ist Gold. Obendrein inszeniert er den Tod des Autors, fährt die Serpentinen der Semio- tik ab, mobilisiert Bloch und Adorno, um mit al- len Möglichkeitssinnen nach der konkreten Uto- pie zu tasten. Kurzum: Dieses Buch ist ein Wahnsinn. »Nah ist / Und schwer zu fassen er flott. / Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.« TOBiAS PrüWer ▶ Frank Witzel: Die erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1. Berlin: Matthes & Seitz 21.  S., 2, € Baader-Meinhof-Gag Mit Witz und Wasserpistole: Frank Witzels Wahnsinnswerk – keine Rezension

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