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Logbuch_2015 - Rezensionen: Belletristik & Sachbücher

"Zeiden, im Januar" Ursula Ackrill; "Planet Magnon" Leif Randt

www.kreuzer-leipzig.de | Bücher 32 Siebenbürgen in den Kriegsjahren 1940/41: Die Mehrheit der Sachsen, die hier am Fuß der Karpaten ansässig sind, begeistert sich für die großspurige Deutschtümelei im »Mutterland«. Abstammend von sesshaft gewordenen Kreuz- züglern, mal unter osmanischer, mal unter unga- rischer und nun unter rumänischer Herrschaft, sind sie stets unter sich geblieben und stolz dar- auf. Nun schicken sie ihre jungen Männer zur Waffen-SS und erwarten dafür Schutz und Aner- kennung des Reiches. Es ist kein schmeichelhaftes Bild, das Ursula Ackrill, selbst im rumänischen Teil Siebenbür- gens geboren, in ihrem Roman »Zeiden, im Ja- nuar« von ihren Vorfahren zeichnet. Mitleidlos führt sie deren aufgekratzten Eifer für die hitler- deutschen Großmachtfantasien vor. Eine Erklä- rung liefert sie immerhin mit: »Woran es den Sachsen mangelt […], ist indigene Selbstverständ- lichkeit. Dass wir endlich einmal nicht mehr rechtfertigen, unsere Existenz erklären und Mel- dung erstatten müssen, wer wir sind.« Das ist die Stimme der einzigen Mahnerin in Ackrills Roman: Leontine, eine alleinstehende Frau unklaren Alters und bislang geachtete Be- wohnerin des titelgebenden Örtchens Zeiden bei Kronstadt. Sie verachtet die »deutschuniformier- ten Paraden« und legt, kühl argumentierend, den Finger in die Wunde: Ob die Deutschen ihre ver- meintlichen Volksgenossen im Ernstfall nicht ohne Zögern fallen lassen werden? Das freilich will kaum einer ihrer euphorisierten Nachbarn hören, und so findet sich Leontine erst in der Iso- lation und dann auf der Flucht vor den eigenen Landsleuten wieder. Ackrills Debüt ist ein enorm kenntnisreicher, reflektierter, klug und geschickt konstruierter Roman, der außerdem mit sprachlicher Treffsi- cherheit und Bildern von spröder Schönheit überzeugt. Allerdings setzt er auch ein großes Vorwissen über die Geschichte Siebenbürgens voraus. Selbst historisch bewanderte Leser wer- den da nicht immer folgen können, und der tie- fere Sinn mancher Episode bleibt leider ver- borgen. YVOnne FiedLer ▶ Ursula Ackrill: Zeiden, im Januar. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 21. 2 S., 1, € Deutschtümelei in den Karpaten Ursula Ackrill taucht mit ihrem Debüt tief in die Seele der Siebenbürger Sachsen ab Du wirst ein gro- ßer Dolfin sein, Marten. […] Du bringst den Neube- ginn. Bleib jedoch wachsam. Man wird dich benei- den, man wird versuchen, dich aufzuhalten. Be- obachte die, die dir am nächsten stehen, und spiele immer dein eigenes Spiel.« Es sind kryptische Worte, die der Lehrer dem jungen Marten Eliot mit auf den Weg gibt. Und es sind große Erwartungen, die diesen Weg begleiten, als Mar- ten Spitzenfellow der »Dolfins« wird und ge- meinsam mit seiner Kollegin Emma in den Wei- ten des Weltraums neue Mitglieder für sein Kollektiv anwerben soll. Leif Randts »Planet Magnon« führt in fremde Welten und ferne Zeiten, die, wie es sich für eine gute Dystopie gehört, zugleich sehr viel über das Hier und Jetzt des Lesers aussagen. Wir befin- den uns in der »Neuen Zeit«: Vom idyllischen Einsiedlerplaneten Blink über den urbanen Blos- som bis hin zum Müllplaneten Toadstool herrscht postdemokratischer Frieden. Garantiert wird dieser durch »ActualSanity«, die zentrale Computervernunft des Sonnensystems, die die beste aller möglichen Welten statistisch berech- net und deren Einführung vor einem halben Jahrhundert eine neue Epoche einleitete. Eth- nien, Religionen, Parteien? Gibt es nicht. Statt- dessen organisieren sich die Menschen in Kollek- tiven, die einen gemeinsamen Lebensstil (im Roman: »Ästhetik«) verfolgen – alles im Zeichen interstellarer Glückseligkeit und steter Selbstop- timierung. Die Begriffe Manipulation oder Ideo- logie fallen im Text kein einziges Mal. Plötzlich jedoch kommt es zu rätselhaften Anschlägen, und das neue »Kollektiv der gebrochenen Her- zen« bringt nicht nur Martens Pläne, sondern auch die wohltarierte Ordnung durcheinander. »Planet Magnon« erzählt vom Suchen und Sich-Verlieren, von Kontrolle und Chaos und betreibt zugleich ein kalkuliertes Spiel mit dem Misstrauen des Lesers. Bis ins kleinste Detail durchkomponiert, überzeugt Randts dritter Roman nicht nur mit zahlreichen originellen Ideen – neben der archaisch-reptiloiden Fauna und diversen Techniken der Selbstversenkung ist hier vor allem die titelgebende Designerdroge »Mag- non« zu nennen –, sondern vor allem durch die planvolle Konzeption des Ich-Erzählers. Unnah- bar, kontrolliert und zugleich auf erschütternde Weise orientierungslos, spiegelt Marten Eliots Sprache den Rausch der »sphärischen Versachli- chung« sowie die Einsamkeit und Kälte des »postpragmatic joy« wider und lässt nach und nach feine Risse in der glatten, formstrengen Er- zähloberfläche entstehen. »Vielleicht müssen wir uns gar nicht befreien, um glücklich zu wer- den«, sinniert Marten einmal. »Vielleicht reicht es ja, wenn wir uns die Unfreiheit immer nur klar vor Augen führen.« STePhAnie BreMerich ▶ Leif Randt: Planet Magnon. Köln: Kiepenheuer & Witsch 21. 34 S., 1, € Eiskalter Trip in ferne Sonnensysteme Kalkuliertes Spiel mit dem Misstrauen des Lesers: Leif Randts »Planet Magnon«

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