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Logbuch_2015

"Das stille Land" Tom Drury; "Richtung" und "Die Verschiebung" Marc-Antoine Mathieu

www.kreuzer-leipzig.de | Bücher 40 Schwarze Bildblöcke, monochrome Flächen. Irgendwann taucht ein Pfeil auf, erst grau, dann hell-weiß. Der wird zum Schlüsselloch einer Tür, die ein Mann aufstößt. Schon ist er in einer Sandwüste – alle Himmelsrichtungen stehen ihm offen. Auf der Suche nach Orientierung läuft er los. Mit »Richtung« versucht Zeichner Marc- Antoine Mathieu erneut, die Grenzen der Comic- erzählung auszuweiten. Wortlos – wie schon beim vorangegangenen Album »Gott höchst- selbst« – schickt Mathieu seinen Protagonisten ins Sinnaufspüren. Seine Zeichnungen, ein Kom- pass in Graustufen, zeigen sich als ein mannigfal- tiges Spiel mit Perspektiven und Fluchtpunkten, Spiegelungen und Brechungen: Immer dem Pfeil nach. Erinnerungen an Genregröße Mœbius wer- den wach, der auch intensiv mit Erzähltechniken experimentierte. Da ist es kein Wunder, dass auch hier eine endlose Möbiusschleife auftaucht – ein verdrehter zusammengeklebter Papierstreifen, der keine Orientierung bietet, weil oben und un- ten, hinten und vorne nicht bestimmbar sind. Zur Ruhe in diesen Bildern steht das zeitgleich erscheinende »Die Verschiebung«, sechster Band der kafkaesken Serie »Julius Corentin Acquefac- ques, Gefangener der Träume«, in einem chaoti- schen Gegensatz. Mit einer Bettfahrt à la kleiner Häwelmann brettern der Humorbeamte Acque- facques wie der Leser in die Story und plautzen gleich ins zweite Kapitel, während die Paneele des ersten vorbeirauschen. Beide finden sich im Un- bekannten wieder, in einer Geschichte, die sich für sie hin- und herspringend entwickelt. In kraft- vollem Strich tut sich hier ein schwarz-weißer Alb- traum auf, der nicht weniger mit den Konventio- nen des Narrativen spielt wie »Richtung«, weshalb es spannend ist, beide zusammen zu lesen. Weg- weiser und Sandleeren bilden auch hier Teile des Interieurs. Die Blickpunkte wechseln im Verwirr- spiel um Wirklichkeit und Wahrheit, es fehlen Seiten, das Cover taucht erst zum Schluss auf und eine Wörterwüste später wartet ein Abstecher in die Unendlichkeit. »Diese Abwesenheit von Kon- text, dieser Mangel an Perspektive, es ist evident: Wir sind im Nichts.« – »Was für ein Panorama.« TOBiAS PrüWer ▶ Marc-Antoine Mathieu: Richtung. Berlin: Reprodukt 21. 2 S., 2 € ▶ Marc-Antoine Mathieu: Die Verschiebung. Aus dem Französischen von Martin Budde. Berlin: Reprodukt 21.  S., 1 € Wegweiser und Wüstensand in zwei Alben sprengt Marc-Antoine Mathieu die grenzen der Bildgeschichtenerzählung Was für William Faulkner das von einem rea- len Raum inspirierte Yoknapatawpha war, ist für seinen Kollegen Tom Drury Grouse County, die Weiten des Mittleren Westens in Iowa. Der Held des Romans heißt Pierre Hunter, der nach einem durchgewurschtelten Studium sein Geld als Barmann verdient. Eines Tages bricht er beim Schlittschuhlaufen auf dem See im Eis ein. Er kann sich nicht selbst befreien, da taucht die schöne Stella Rosmarin auf und rettet ihn. Pierre verliebt sich in sie und sie sich in ihn. Dann be- sucht Pierre Verwandte in Kalifornien, er reist per Anhalter. Auf der Rückfahrt steigt er in einen Wagen, der von Shane, einem Kriminellen, ge- steuert wird. Der versucht, ihm den Rucksack zu klauen, wird aber von einem unglaublichen Stein- wurf Pierres außer Gefecht gesetzt. Als Pierre die Zündkabel zerstören will, findet er unter der Mo- torhaube 77.000 Dollar. Die nimmt er mit. Shane wird sich mit weiteren Spießgesellen auf Pierres Spur setzen, und es kommt zum großen Show- down. Der lakonische Realismus des Romans mit sei- nen großartigen Dialogen wird konterkariert durch Fantastisches und Übersinnliches. Dass mit Stella etwas nicht stimmt, ahnen wir schon vor Pierres Eiseinbruch. Sie scheint die Zukunft manipulieren zu können. Im wahren Leben fiel sie einmal von der Leiter und auf den Kopf. Seit- dem glaubt sie, dass sie früher jemand anderes war und wiedergeboren wurde. Die Frau, die sie einmal war, starb bei einem Brand, der von Shane gelegt wurde. Sie heckt einen Racheplan aus, Pierre wird zu ihrem Werkzeug. Nachdem man den sehr ruhig erzählten und dabei spannenden Roman sehr angetan gelesen hat, fragt man sich unwillkürlich, warum man die dramaturgisch äußerst geschickt eingefügten paranormalen Elemente am Ende vollkommen logisch findet und akzeptiert. Das liegt daran, dass Drury ein Meister der Ironie ist. Und ein Menschenfreund. Denn am Ende leben die guten Menschen weiter und finden möglicherweise ihr Glück, was den Bösen nicht vergönnt sein wird. JürGen LenTeS ▶ Tom Drury: Das stille Land. Aus dem englischen von gerhard Falkner und Nora Matocza. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 21. 21 S., 1, € Meister der Ironie und Menschenfreund großartig: Tom Drurys Roman »Das stille Land«

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