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Logbuch_2015

"Vater" Miljenko Jergović; "89/90" Peter Richter

www.kreuzer-leipzig.de | Bücher 34 ein Vater stirbt. Der Sohn, selbst kinderlos, sieht das Ende dieser Familienlinie gekom- men. Es scheint ihn nicht zu stören, doch die verhinderte Zukunft veranlasst ihn zu einer Reise in die Vergangenheit. Es ist eine fruchtbare Reise, denn neben der Biografie des Vaters findet er ein knappes Jahrhundert pralle Balkange- schichte. Miljenko Jergovic´, bosnischer Kroate, wohnhaft in Zagreb, 1966 in Sarajevo geboren, Schriftsteller und politischer Essayist, legt mit seinem neuen Buch »Vater« weit mehr als eine autobiografi- sche Familiengeschichte vor. »Vater« ist vor allem ein Zeugnis seiner Haltung gegenüber Krieg, Na- tionalismus und Schuld, dabei glänzend erzählt und voller Sprachwitz – ein großes Lesevergnü- gen. Jergovic´ ist ein Unbequemer in seinem Land. Auch in seinem neuen Buch hält er Wunden of- fen: »Auf jeden Fall findet man derzeit kaum ei- nen erwachsenen […] Kroaten, der […] bereit wäre, bis zur letzten Konsequenz über den spezi- fisch kroatischen, handwerklichen Nazifaschis- mus zu sprechen, ohne die Diskussion mit Ein- wänden abzuschneiden.« Gemeint sind die Verbrechen der 1929 gegründeten Ustascha, je- ner kroatisch-nationalistisch-terroristischen Be- wegung, der Hunderttausende zum Opfer fielen. Jergovic´s eigene Großmutter war glühende An- hängerin gewesen. Anhand persönlicher Erinnerungen und Erleb- nisse seines Vaters zeigt er, wie privat das Politi- sche sein kann. Da kommt sein Vater als 17-Jähri- ger 1945 schwerkrank aus dem Krieg zurück und die von der Ustascha begeisterte Mutter verwei- gert ihm die Hilfe, weil er nicht auf der Seite der kroatischen Nationalisten gekämpft hat, sondern zu den Partisanen, den gottlosen Kommunisten, gegangen war. Nicht einmal ein Glas Wasser reich- te sie dem Typhuskranken. Ohne Larmoyanz erzählt Jergovic´ davon, wie Politik und Krieg ins Privateste eingreifen und Familien entzweien. Die biografischen Eckpfeiler des Vaters dienen in diesem Buch vor allem dazu, größere politische Ereignisse in den Kontext der Familie einzuordnen und auf diese Weise immer wieder die Untrennbarkeit zwischen Gesellschaft und Einzelnem aufzuzeigen. Er unternimmt zahl- reiche Diskurse, mäandert, driftet manchmal ab, jedoch nie unsinnig oder geschwätzig. Da ist zum Beispiel die groteske Aussage eines kroatischen Intellektuellen, der in einer Fernsehsendung ge- sagt hatte: »Die Messlatte für Genozid hängt jetzt sehr hoch.« Damit hatte er ausdrücken wollen, dass die internationale Gemeinschaft die juristi- sche Interpretation des Begriffs Völkermord ge- ändert habe und nach der neuen Definition zu wenig Tote auf das serbische Kriegskonto gingen. Ob das nun hieße, fragt sich Jergovic´, »dass uns die Serben schon wieder übers Ohr gehauen und ein paar Leute zu wenig umgebracht haben?« Was das mit dem Vater zu tun hat? Jergovi sah die Sendung kurz nach dem Tod des Vaters. Wieder nahm er ein familiär-biografisches Datum als Gelegenheit, um über Größeres als das persönli- che Schicksal zu schreiben. Sein eigentliches An- liegen ist schwer zu übersehen: Jergovic´ ist nicht interessiert an Schuldzuweisungen oder Abgren- zungen, er ist ein Botschafter des Friedens. Die Erfahrung des Krieges nannte er in einem Inter- view »banal und völlig unnütz« und erinnert mit dieser Aussage an Hannah Arendts »Bericht von der Banalität des Bösen«. Im Übrigen schlägt er den Bogen immer wieder zurück zum Vater, dem Arzt, dem Leukämieexperten, der nach der Schei- dung von Jergovic´s Mutter keine große Rolle mehr im Leben des Sohnes spielte. Er kenne sei- nen Vater kaum, stellt Jergovic´ fest. Vermutlich bedurfte es dieses Buches, um ihn endlich ken- nenzulernen. »Vater« ist Jergovic´s sechstes Buch beim Schöffling Verlag. Wie auch schon im hochgelob- ten »Sarajevo Marlboro«, in »Freelander« und »Wolga, Wolga« sind die Balkankonflikte im All- gemeinen und die kroatische Rolle im Speziel- len Jergovic´s eigentliches Thema. »Vater« ist gleichzeitig Erinnerungsdokument und Plädoyer für kollektive Verantwortung und Verständigung zwischen den Völkern. »Die Zukunft gehört den Selbstsicheren und Gedankenlosen«, resümiert Jergovic´ zum Schluss. Die Vorstellung, dass sich gerade einer wie er durch Kinderlosigkeit konsequent der Zukunft verweigert, lässt den Leser am Ende nicht un- bedingt hoffnungsfroh zurück. dAnieLA Krien ▶ Miljenko Jergović: Vater. Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert. Frankfurt am Main: Schöffling & Co. 21. 2 S., 1, € Wen interessiert die Zukunft? Nicht unbedingt hoffnungsfroh: Miljenko Jergovićs neuer Roman »Vater« Nicht weniger als seine Geschichte zu erzählen, die Geschichtserzählung zu ergänzen und zugleich eine Einführung ins Alltagsle- ben am Ende der DDR zu geben, ist Peter Richters An- sinnen. »89/90« handelt vom Leben zahlloser Jugendlicher im Dresden der Vor- und Wendezeit. Überbordend ist die Zahl von Protagonisten, wenn sie nicht Spitzna- men wie Schimmelhannes tragen, werden sie einfach als S. oder N. abgekürzt. Beim nächtlichen Kollektiveinbruch ins Freibad beginnend, ent- spannt sich die Geschichte übers Wehrlager hin zu den Demonstrationen im Herbst 89 und dem Ankommen in der vermeintlich besseren Welt. Besonders interessant sind dabei die Beobach- tungen auf den Demos, wie sich Stimmung und Akteure allmählich verändern, nationale Parolen und offenkundige Neonazis auftauchen – die doch früher zum Freundeskreis gehörten. Rich- ter bezieht klar Stellung, wie er das alles fand und findet, und diese nicht verwischte subjektive Sicht bildet seine Stärke. Das alles ist sprachlich hübsch erzählt und epi- sodenhaft kurzweilig und pointiert, in Roman- gänze aber erschöpfend. Denn das Buch gibt sich einfach zu unkonzentriert und geschwätzig. Ge- wiss, es hat autobiografischen Hintergrund, aber müssen darum wirklich all die tagebuchhaften Züge sein? Wer mit wem mal genau jenes erlebt hat, erschließt sich dem Leser nicht immer als wichtige und handlungstragende Mitteilung. Zusätzlich wartet das Buch mit 134 Fußnoten auf, die den Unkundigen DDR-Begriffe und -Eigen- heiten erklären oder einfach noch ein paar Erin- nerungen mehr unterbringen. Zur schlechten Lektüre macht das »89/90« nicht, zumal es Richter nach Abschweifungen und Verästelungen immer wieder gelingt, die Span- nung und damit das Interesse des Lesers zurück- zuholen. Er punktet mit Humor und souverän kommentierender Subjektivität, so dass die Schwächen der Geschwätzigkeit in toto weniger ins Gewicht fallen. TOBiAS PrüWer ▶ Peter Richter: /. München: Luchterhand Verlag 21. 41 S., 1, € Ende, aus, neu Leicht verhoben, doch gut lesbar: Peter Richters »/«

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