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kreuzer_12_2016 - Letzte Seite

Zwischen den Zeilen: Mahmoud Dabdoub

Letzte Seite 114 1216 Spiel 032 Film 034 Musik 040 Theater 050 Literatur 058 Kunst 062 Termine 084 D er Westen hat seine Bruderländer mit Waffen unterstützt, die DDR ihre mit Stipendien.« Über so ein Stipen- dium des DDR-Künstlerverbandes, erzählt Mahmoud Dabdoub, sei er 1981 als paläs- tinensischer Flüchtling aus dem Libanon nach Leipzig gekommen. Er ist sehr gern Straßenbahn gefahren in diesen Jahren vor 1989 und ab und an auch »Schwarz-Taxi«. Orte und Tätigkeiten, die heute noch als Refugien der Erinnerung funkti- onierten, seien ebendiese Straßenbahnfahrten; auch die Nebenstraßen der Südvorstadt, links und rechts von der Karl-Liebknecht-Straße. Und ein Refugium der Erinnerung ist dabei das Dach auf einem Haus in einer dieser Nebenstra- ßen, der Arndtstraße, auf dem Dabdoub und seine Freunde im Sommer grillten. Und er foto- grafierte. Wie sah Leipzig damals aus? »Grau, aber herzlich. Für mich hat die Stadt Zufrieden- heit ausgestrahlt. Und die Menschen waren freundlich. Mich hat nicht interessiert, wie die Fassaden aussahen, mich haben nur die Men- schen interessiert.« Wären nicht die Flüchtlingscamps im Libanon Thema seiner Diplomarbeit gewesen, dann wäre es der Leipziger Bahnhof geworden. »Der Bahnhof ist eine Quelle von Themen und Bil- dern, wer das nicht verstanden hat, der hat nicht gesehen. Menschen, die dort verkehren, sind so unterschiedlich. Das war mehr als Zirkus, so viele Rollen, Gesichter, Ausdrücke, Wahnsinn – jetzt ist es nicht mehr so. Jetzt ist der Bahnhof nicht länger eine Quelle solcher Bilder wie da- mals zu DDR-Zeiten.« Dabdoub fotografierte auch in der Erfurter Gruppe »Arbeiterfotografie«. Am Tag, als »die Mauer fiel«, war er deshalb zufällig vor Ort, in Berlin. Aber »die Geschichte wollte nicht, dass ich dort Fotos machte«. Das bedauert er. Und ereignete sich während dieser Zeit um 1990 auch ein optisch bemerkbarer Prozess? »Fürs Auge war es interessant, man konnte sehen, wie viel Müll und Container auf den Straßen stehen, voll mit DDR-Möbeln und Zeug. Man denkt jetzt: Ich hätte sie gern alle für mich gehabt und heute auf dem Flohmarkt verkauft.« Er überlegt und lacht. »Es gab so viel zu sehen, ich musste arbeiten als Fotograf auf dem Fahrrad, ich hatte keine Zeit, solche Sachen zu sammeln.« Und die Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen und zu formulieren in der DDR, war das eine Sprache, die man erst lernen musste? »Am An- fang musste ich erst mal Deutsch lernen, am Herder-Institut. Es war kein Problem, zwischen den Zeilen unterzutauchen. Im Umfeld spra- chen sie miteinander in Symbolen, sie konnten nicht eindeutig Kritik üben. Man sprach natür- lich unterschwellig mit bestimmten Sprachen, an die man gewöhnt war – das wurde aber nicht am Herder-Institut unterrichtet. Ich habe Hoch- deutsch gelernt.« Wann drückte er den Auslöser seines Fotoapparates? »Ich war neugierig, ohne Anspruch, Chronist zu werden oder Dokumen- tarist. Mein Vorteil war, dass ich aus einer an- deren Welt kam, wir haben auch ganz verrückte Dinge: Kabelsalat. Hier sah ich andere ver- rückte Dinge: im Laden einer Schuhreparatur die Fahne der DDR! In einem Schuh! – Das macht man bei uns nicht. Bei uns kann man so was nicht machen, das macht man nie: die Fahne eines Landes in einem Schuh, das war komisch, skur- ril.« Solche irritierenden Eindrücke und Momente hielt er fest. Haben sich die Leute seither verändert? »Ja, mehr als die Gebäude.« Nach 14 Jahren erschien dann die erste Auflage seines Fotobandes »Alltag in der DDR«, das war 2003. Die Bilder wurden sehr gut angenommen, der Band ist beliebt, jetzt gibt es ihn schon in der dritten Auflage. Warum? »Mensch, 14 Jahre her! Waren wir so?«, staunen die Leute. »Das nehme ich! Das müssen meine Kinder sehen, wie wir gelebt haben!«, sagen sie – mutmaßt Dabdoub und ergänzt: »Für die Zukunft ist es ein Dokument. Es hat eine große emotionale Bedeutung für die Betrachter. Man hängt an Leipzig, wie ich auch. Das ist mein Zuhause, so betrachtet man es – ich habe mein Zuhause anders erlebt. Die Bilder sind eine optische Erinnerung.« KRISTIN VARDI Zwischen den Zeilen Mahmoud Dabdoub Orte und Räume, Künstler und Autoren: Diese Seite widmet sich der Erinnerung an Leipziger Intellektuelle, die sich einst zwi- schen den Zeilen zu Wort meldeten, und ihnen verbundene Stätten. Grau aber herz- lich: 1989 auf den Dächern der Arndtstraße MAHMOUD DABDOUB

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