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kreuzer_12_2016

Heiter gegen die Schwerkraft: Das Wintervarieté "Café Melange" zwischen Witz, Akrobatik und Zaubertuch; Missbrauch des Abendlands: "Landschaft mit Königstöchtern" bringt ein Theoriewerk als ansehnliche Schau auf die Bühne; In den Sitz gedrückt: "Turandot" an der Oper

052 Theater 1216 Spiel 032 Film 034 Musik 040 Theater 050 Literatur 058 Kunst 062 Termine 084 Die Szenerie auf der Bühne ist klar: Ein Mann am Klavier, eine Aus- wahl an Torten und Kuchen, ein weiß gedecktes Tischchen wartet auf Gäste. Die Wiener Kaffeehausatmosphäre tragen die Künstler weiter, die – jeden- falls zunächst – mit Schürzchen und Kellnerfliege unter die Kronleuchter treten. »Mein Liebeslied muss ein ­ Walzer sein« setzt Auftakt wie Stim- mungsrahmen für die kleine Alltags- flucht. Helmut heißt der tollpatschige Sidekick, der nicht ganz so helle ist wie der Rest. Zwingend ist er an die Gesetze der Schwerkraft gebunden, so dass ihm die Kunststücke des Ensembles nicht gelingen können. Da wird eine Tasse Kaffee herumgeschleudert, ohne dass etwas verkippt, ein Gentle- man jongliert, mit dem Sprungseil wird Dynamik neu defi- niert, es gibt einhändige Handstände und Luftartistik am Kronleuchter, Tücher tanzen von selbst, Elfen lassen Tische schweben. Die Zaubernum- mern kommen gerne auf Metaebene um die Ecke: Während dem Publikum vermeintlich der Trick erklärt wird, wird es von einem anderen überrascht. Dafür kann Helmut sich samt Slap- stick-Zitaten in der Kiste zersägen lassen. Zwischendurch kriegt sogar Wien selbst sein Fett weg. Die Anklänge an lange vergangene Zeiten, in denen man noch Telegramme schickte, bilden die wenigen Momente zwischen Witz, Akrobatik und Zaubertuch, in denen das Programm einen leicht biederen Touch erhält. FRANZISKA REIF ▶ »Café Mélange«: 1.–4., 6.–11., 13.–18., 20.–22., 25.–30.12., Krystallpalast Varieté Im Märchen rauben Drachen die Prinzessinnen, laut antiken Mythen werden sie von Helden und (Halb-) Göttern vergewaltigt. Mit »verführt« wird da das Ignorieren der Nein- meint-Nein-Botschaft umschrieben. Von der Landaneignung durch Miss- brauch handelt Klaus Theweleits »Buch der Königstöchter«. Die Schau- bühne (Regie: René Reinhardt) hat ­ dieses Theoriewerk auf die Bühne gebracht. Es ist eine schöne Überraschung, wie gut das funktioniert. Theorie meint auch die Schau und so eröffnet sich dem Zuschauer nach einem Vorspiel am Pergamonaltar der Blick auf den Mittelmeerraum. Anschaulich werden die Sagen und ihre antiken Schauplätze geografisch verortet, entstehen allmählich die Küstenregionen aus Schlämmkreide, Säge- spänen und Plastikspielzeug. Mit Erzählelementen und sze- nischem Spiel gestalten die sechs Dar- stellenden den Text zwischen leise- eindringlich und laut-zudringlich; zum Teil auch sehr physisch. Das ist nie fad und aufgesagt, oft sehr bedrückend, wenn Vergewaltigung und Raub Hoch- kultur begründend sein sollen: wie der Missbrauch der Europa – Zeus als Stier getarnt verschleppt sie – an der Wiege der sogenannten abendlän- dischen Kultur steht. Kurz wird zu Poca- hontas herübergeschwenkt, in deren Legende die alten Land- nahmeaufhübschungen Widerhall fanden. Mit Comicstrips- und Popüberblendungen gelingt die kluge Übersetzung des noch klügeren Buchs, das mit ebensolchen Mitteln arbeitet – und zeigt auf der Bühne, wie tief das archai- sche Gewaltmotiv in der Populärkultur verankert ist. TOBIAS PRÜWER ▶ »Landschaft mit Königstöchtern«: 1.–3.12., 20 Uhr, Schaubühne Wer hätte gedacht, dass man nach dem medialen Durchgenudel von Paul Potts die Arie »Nessun dorma« noch einmal so genießen könnte? Wie die Handlung lebt die Inszenierung an der Oper von einer starken Frau. Die Sklavin Liù gibt ihr Leben, um den Namen des unbekannten Helden nicht zu verraten. Prinzessin Turandot will diesen unbedingt erfahren, um sich des Objekts ihrer uneingestan- denen Liebe zu entledigen. In Leipzig besticht Puccinis letzte Oper »Turandot« (Insze- nierung: Balázs Kovalik) vor allem in musikalischer Hinsicht. Wobei das futuristische Bühnenbild – ein Hybrid aus hexago- nalem Raumschiffmobiliar und maoistischem Personenkult – den Darstellenden größtmöglichen Spielraum lässt. Auch die Kostüme bis hin zu den verchromten Phaser-Schlagstöcken der Robocops-Einheiten fügen sich in die Science-Fiction-Anmutung. Die hübsche Optik täuscht gut darüber hin- weg, dass der Theaterteil in diesem Stück Musiktheater eher illustrativ aus- fällt. Bei der Wucht der Musik nimmt man das gern in Kauf. Olena Tokar als Liù ist der klare Star. Während Jennifer Wilsons Turandot vor allem laut ist, zeigt sich Tokar stimmlich differenzierter und berührt unmittelbar. Das trifft ebenso auf die Chöre zu. Gleich drei davon singen und agieren – zum Teil auch als Bewegungschor – auf der Bühne und entfesseln eine fast unheimlich-direkte Kraft. Das kollektive »Nessun dorma« im Schlussbild drückt den Zuschauer/Zuhörer schlichtweg überwältigend in den Sitz. TOBIAS PRÜWER ▶ »Turandot«: 23.12., 19 Uhr, Oper Das Wintervarieté »Café Mélange« zwischen Witz, Akrobatik und Zaubertuch »Landschaft mit Königstöchtern« bringt ein Theoriewerk als ansehnliche Schau auf die Bühne Starke Frau, bewegende Chöre: »Turandot« an der Oper Heiter gegen die Schwerkraft Missbrauch des Abendlands In den Sitz gedrückt Im alten Turm: Turandot unbound Rätsel der feinen Damen Beim Wanderzirkus TOM SCHULZE MARIE-LAN NGUYEN TOM SCHULZE DEZ 2016 SchaubühnE L I n D E n F E L S K NIGS- T CHTER SCHAU-ENSEMBLE: LAND- SCHAFT MIT KÖNIGSTÖCHTERN 1. BIS 3. DEZ | 20 UHR VORTRAG KLAUS THEWELEIT 3. DEZ | 17.30 UHR WENZEL & BAND WENN WIR WARTEN NEUES KONZERTPROGRAMM 10. DEZ | 20.30 UHR STEFAN SCHWARZ OBERKANTE UNTERLIPPE LESUNG | 13. DEZ | 20.30 UHR SECHSE KOMMEN DURCH DIE GANZE WELT | CIACCONNA CLOX NACH DEN BRÜDERN GRIMM 17. UND 18. DEZ | 16 UHR RUSSENBALL PETER WASSILJEWSKI & DAS LESCHENKO-ORCHESTER 26. DEZ | 20.30 UHR WWW.SCHAUBUEHNE.COM ANZEIGE | Rezension | | Rezension | | Rezension |

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