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kreuzer_12_2016 - Theater

Dodo Mensch: "Zooropa" verspricht, unheimlich lustig zu werden

050 Theater 1216 Spiel 032 Film 034 Musik 040 Theater 050 Literatur 058 Kunst 062 Termine 084 Europa ist kein Ponyhof. Das erfährt jeder, der die EU-Grenzen überschreiten will und den falschen Pass hat. Unsolidarisch gehen die einzelnen Länder miteinander um. Von irgend- einem europäischen Gedanken oder gar Geist ist nichts zu spüren. Und auch innerhalb der Lan- desgrenzen schlagen sich die Leute die Köpfe ein. Es herrscht ein Hauen und Stechen auf dem entmenschlichten Abstraktum namens Markt – und alle schauen zu. Willkommen im Wilden­ leben, im Safaripark Europa. Willkommen in »Zooropa«. »Bitte nicht füttern!« – Vor Käsekuchen und Kaffee erwartet die Gesandtschaft von Friendly Fire den verspäteten Journalisten im Süß und Salzig. Zum Performancekollektiv gehören unter anderem Melanie Albrecht, Isabel Soares, Helena Wölfl und Michael Wehren. Die vier reden hübsch durcheinander, als der kreuzer sie vor einer Probe trifft. Ganz so, als ob sie sich für diese warmreden müssen, sprüht die Begeiste- rung in englischsprachigen Kaskaden – Soares stammt aus Brasilien. Deshalb sollen an dieser Stelle alle Zitate als kollektive Aussagen wie- dergegeben werden, um die Verwirrung gering zu halten. Worum also geht es in »Zooropa«? »Basis ist die Idee, Europa als Zoo zu sehen. Die Tiere der Zukunft, Übertiere, kommen hierher, um sich das Mensch anzuschauen. Das Mensch lebt in einer künstlichen Umwelt, die aber einen natür- lichen Anschein hat.« Das Mensch entdeckt die Tiere und es entsteht die Frage, wer nun wen anglotzt, beobachtet, studiert. Sind die Tiere des 22. Jahrhunderts auf Verhaltensforschung unterwegs oder suchen auch sie wie alle Zoobe- sucher nur als Bildung etikettierte Zerstreu- ung? Welchen typisch menschlichen Gesten, Posen, Haltungen werden sie begegnen? Immer- hin gilt ihnen, der weit entwickelten Spezies, der Homo sapiens sapiens als ausgestorben. Dodo Mensch: Ob es ihn wirklich gab, wollen sie sich vergewissern. Und wie ist das so, dieses Menschsein? »Unsere Bühne ist Ausstellungsraum, Spiel- platz, Labor. Drei Guides werden die Zuschauer durch unsere Version des Gondwanalandes führen, eine Art Traum von Europa.« Die Konstel- lation ermögliche, dass alle hier als Spiegel der anderen fungieren können. Einmal mehr nutzt die Gruppe Friendly Fire das Medium der aus vielen Fragmenten zusam- mengesetzten performativen Installation. Man könnte von einer »nichtexistenten Trilogie« sprechen, meinen sie. »Cantos. And America likes Me« widmete sich frei nach Ezra Pound dem Moloch 20. Jahrhundert und seiner alles ver- schlingenden Macht. Ernst Jünger und die Bie- nenfabel verschmolz »Secret Secrets of the ­ Beehive« zur Frage nach dem Schicksal als Fleiß- bienchen und dem Zuviel Honig im Kopf. Nun geht es der Kontrollgesellschaft an den Kragen. War das Lager das Symbol für das letzte Jahr- hundert, so könnte der moderne Zoo als künst- liche Natur das neue Paradigma sein. Der Zoo als Ort der Schau und des Zurschau- stellens nicht nur von Tieren hat eine lange euro- päische Tradition. Natürlich greift »Zooropa« auch die sogenannten Menschenschauen auf, wie sie nicht nur im Leipziger Zoo vor 100 Jahren populär waren: Als völkerkundliches Vergnügen kaschiert, wurden Menschengruppen nichteu- ropäischer Ethnien dem voyeuristisch-exoti- sierenden Blick ausgesetzt. Das ist aber nur ein Element, Friendly Fire arbeiten erneut mit geschickter Überfrachtung, einem fröhlichen Assoziationsreigen, was zumindest in den letzten Produktionen gut aufging. Wie man wird, was man ist: Ein bisschen Friedrich Nietzsche schwingt mit und dessen Tasten nach dem letzten Menschen. Ins fanta­ sievoll-ethnologische Visier geraten die sicht- baren und unsichtbaren Grenzen unserer ­ Kontrollgesellschaft. Wie hat der Jetztmensch gesellschaftliche Anforderungen und Anma- ßungen internalisiert, ihnen sich selbst ohne Zwang unterworfen? Wie lebt es sich in einer Gemeinschaft, die den Charakter einer Gated Community trägt? Wie viel Pongoland steckt im öffentlichen Raum? Und wie kommt man da wieder lebendig heraus? Nicht nur verkopft wird es zugehen, verspre- chen Friendly Fire: »Das wird unheimlich lustig – im wahrsten Wortsinn.« Dann stimmen sie Bee Gees’ »Night Fever« an: »Listen to the ground / There is movement all around / There is something goin’ down / And I can feel it.« Ein doppelbödiges Spiel auf mehreren Ebenen erwartet die Zuschauer. Es soll und darf getanzt und gelacht werden, wenn der Abgrund in die Performance hineinlugt. Menschentheater unter Eigenbeschuss, Ausgang offen: »Der Mensch fragt wohl einmal das Tier: warum redest du mir nicht von deinem Glücke und siehst mich nur an?« (Friedrich Nietzsche). TOBIAS PRÜWER ▶ »Zooropa«: 8.12., 20 Uhr (Premiere), 10.12., 20 Uhr, 11.12., 18 Uhr, Lofft Tiere, die auf Menschen starren. »Zooropa« verspricht, unheimlich lustig zu werden Wie viel Pongoland steckt im öffentlichen Raum? Auf geheimnisvollen Spuren: Wo ist das Mensch? MICHI MAYA Dodo Mensch

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