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kreuzer_12_2016 - Film-Rezensionen

"Alipato – The Very Brief Life Of An Ember", "Einfach das Ende der Welt", "Jacques – Entdecker der Ozeane", "Marketa Lazarová"

036 Film Rezensionen Spiel 032 Musik 040 Theater 050 Literatur 058 Kunst 062 Termine 084 1216 01 02 03 04 01 ALIPATO – THE VERY BRIEF LIFE OF AN EMBER VERWAHRLOSUNG UND GEWALT PH/D 2016, OmU, 87 min, R: Khavn de la Cruz, D: Khavn de la Cruz, Dido de la Paz, Bing Austria KKKKK In Mondomanila, einem Slum der philippinischen Hauptstadt – der bereits im gleichnamigen Exploita- tionstreifen von Regisseur Khavns De La Cruz Ort des Geschehens war –, sind die Bewohner, meist Jugend- liche und Kinder, sich selbst und einer Fressen-oder-gefressen-wer- den-Moral überlassen. Gemein- sam bilden sie die Kostka-Gang, die raubt und alle ermordet, die sich ihr in den Weg stellen. Die Bande scheitert beim vermeintlich per- fekten Coup, eine Bank zu über- fallen. Ihr Anführer, schlicht Boss genannt, muss als einziger Straf- mündiger für mehr als 30 Jahre in den Knast. Als Boss zurückkehrt, trifft er die alten Mitstreiter wieder, die ihm auf einen Teil der damali- gen Beute hoffend die Treue halten. Als einer nach dem anderen einem scheinbar rachsüchtigen Mörder zum Opfer fällt, verdächtigt jeder jeden und die Gewaltspirale nimmt noch mehr an Fahrt auf. Die Bruta- lität, mit der Khavn die Crime-Story inszeniert, ist grell und zerfetzt die Nerven wie ein Bauchschuss die Eingeweide. Grund dafür sind nicht allein die Bilder von Verwahrlo- sung und Gewalt, von geschunde- nen und zerstörten Körpern. Auch der hoch getaktete Erzählrhythmus und die Musikauswahl (die von Ste- reo Total grandios getroffen wurde) fordern dem Zuschauer alle Auf- merksamkeit ab. Sofern man das aushält, wird man die formale Avan- ciertheit des Films erkennen. Hinter Punk-Attitüde und Guerilla-Optik verbergen sich etwa ausgeklügelte Wechsel zwischen dokumentari- schem Erzählen und einer skurri- len, überaffirmativen Musikclipäs- thetik, die klarmachen: Dass diese Verhältnisse nicht als Sozialkitsch erzählt, nicht einmal ansatzweise seriös thematisiert werden können, liegt an diesen Verhältnissen selbst. Erst sie haben Khavns Kino hervor- gebracht. SEBASTIAN GEBELER ▶ Cineding, 1., 3., 6./7.12. 02 EINFACH DAS ENDE DER WELT DIE LIEBE FAMILIE CAN/F 2016, 95 min, R: Xavier Dolan, D: Marion Cotillard, Léa Seydoux, Nathalie Baye KKKKK Seit seinem ersten Film beschäf- tigte sich der kanadische Regisseur Xavier Dolan mit seinen schwie- rigen Familienverhältnissen. Die Hassliebe zu seiner dominanten Mutter hat er immer wieder in auto- biografisch angehauchten Filmen thematisiert. Sein neuester Film basiert nun auf einem Bühnenstück aus der Feder von Jean-Luc Lagarce. Dennoch enthält auch dieses über- schaubare Familiendrama die Lieb- lingsthemen Xavier Dolans, wes- wegen er sich wohl von dem Stoff angezogen fühlte und ihn sich ganz zu eigen gemacht hat. In der ersten Szene erzählt uns Protagonist Louis als Off-Sprecher, dass er nach zwölf Jahren Abwesenheit zu seiner Fami- lie zurückkehrt, um sie von seinem baldigen Tod zu unterrichten. Eine schwere Bürde, die es im richtigen Moment auszusprechen gilt. Aber zunächst einmal muss er wieder warm werden mit seiner dominan- ten Mutter, seinem missmutigen älteren Bruder samt ihm bislang noch unbekannter Ehefrau und mit seiner jüngeren Schwester Suzanne, die Louis auch kaum kennt. Man unterhält sich über Banalitäten und Alltägliches, versucht, die ent- standene Lücke und Distanzierung zu überbrücken, und gerät recht schnell wieder in aggressivem Ton aneinander. Wann ist der richtige Zeitpunkt, um mit der erschüttern- denNeuigkeitherauszurücken?Den Bühnenursprung des Stoffs lässt uns Xavier Dolan bald schon ver- gessen, denn sein Inszenierungsstil ist auch hier wieder einfalls- und abwechslungsreich. Die Familien- mitglieder gehen auf unterschied- liche Weise mit der jahrelangen Abwesenheit des verlorenen Sohnes um, verzeihen ihm, wagen vorsich- tig neue oder erste Annäherungen oder machen ihm bittere Vorwürfe. All diese Reaktionen sind authen- tisch und nachvollziehbar entwi- ckelt. Ein symbolträchtiges und intensives Drama, das mit einer erstaunlichen Schlussszene wir- kungsvoll endet. FRANK BRENNER ▶ Passage Kinos, ab 29.12. 03 JACQUES – ENT- DECKER DER OZEANE ABGETAUCHT F 2016, 122 min, R: Jérôme Salle, D: Lambert Wilson, Pierre Niney, Audrey Tautou KKKKK Jacques-Yves Cousteau war ein rast- loser Visionär. Als erster Dokumen- tarfilmer erhielt er die Goldene Palme von Cannes. Dreimal wur- den seine Filme mit dem Oscar aus- gezeichnet. Cousteau war ein Ent- decker und das letzte unerforschte Land waren die Tiefen der Ozeane. Also möbelte er mit seinen Weg- begleitern einen alten Kahn auf, aus dem die legendäre »Calypso« wurde, und schipperte mit ihm über die Weltmeere. Seine Frau Simone begleitete ihn, die Kinder Philippe und Jean-Michel schoben sie ins Heim ab. Aus der Perspek- tive des Jüngeren, Philippe, erzählt Regisseur Jérôme Salle die Biogra- fie des Tiefseetauchers mit der mar- kanten roten Mütze. Das schwierige Verhältnis des Sohns zum Vater bil- det den Grundpfeiler seines Biopics, das zu weiten Teilen auf dem Buch »Mein abenteuerliches Leben auf der Calypso« von Albert Falco und Yves Paccalet und den zahlreichen Aufzeichnungen Cousteaus basiert. Etwas hastig arbeitet Salle wichtige Ereignisse in der Vita des Vaters ab und ergänzt sie durch die Perspek- tive des Sohnes. Der Aufbruch und Abschied Anfang der fünfziger Jahre, der internationale Erfolg und der finanzielle Kollaps – die zwei Stunden Laufzeit wirken mitun- ter etwas überfrachtet. Gerade die schwierige Beziehung des Frauen- helden Jacques-Yves zu seiner Frau Simone, ausdrucksstark verkör- pert von Audrey Tautou, bleibt an der Oberfläche. Schauspielerisch überzeugt »Jacques – Entdecker der Ozeane« aber auf ganzer Linie. Das Vater-Sohn-Gespann wird glänzend verkörpert von den Charakterdar- stellern Lambert Wilson und Pierre Niney. Sie verleihen dem Porträt die nötigen Nuancen. »Jacques« ist gro- ßes Unterhaltungskino mit berau- schend gefilmten Unterwasserauf- nahmen von Matias Boucard, die denen Cousteaus in nichts nachste- hen. LARS TUNÇAY ▶ Passage Kinos, ab 8.12. 04 MARKETA LAZAROVÁ LUST AM ERZÄHLEN CZ 1967, OmU, 162 min, R: Frantisek Vlácil; D: Josef Kemr, Magda Vásáryová, Nada Hejná KKKKK »Der beste tschechische Film aller Zeiten« – Superlative um »Marketa Lazarová« gibt es viele. Umso mehr lohnt ein Blick auf die Tatsachen: Drop Out Cinema bringt den bereits 1967 fertiggestellten Film des tsche- chischen Regisseurs František Vlᡠcil in die Kinos. Die bildgewaltige und düstere Geschichte des gleichnami- gen Romans von Vladislav Vanˇ cura um zwei im Mittelalter miteinander verfeindete Clans, die sich nichts zu vergeben haben, muss auch fraglos im Kino gesehen werden. Nur hier können die satten Schwarz-Weiß- Bilder den Sog entfalten, für den sie komponiert wurden. Vlᡠcil fängt die Zeit des sich gerade etablieren- den Christentums ein. Beide Wel- ten – die noch nicht gänzlich ver- schwundenen heidnischen Bräuche und das immer vordringlicher wer- dende Christentum – werden in rauschhaften Bildern immer wieder miteinander vermischt und erhal- ten durch etliche Anspielungen Referenz. Die zugrunde liegende Geschichte ist dabei recht über- schaubar und schafft es dennoch, über 162 Minuten zu fesseln: Miko- lás und sein Bruder Adam entfüh- ren eines Tages den jungen Chris- tian. Dessen Vater entkommt und berichtet dem König vom Raub und der Entführung. Der König wird die Auseinandersetzung suchen und es wäre kein Mittelalterepos, wenn nicht eine Jungfrau entführt würde. Aber das ist nur das Gerüst, zwi- schen dessen Szenen sich über die gesamte Spielzeit immer neue Figu- ren tummeln, immer neue Kon- flikte verhandelt werden und auf alte in wilden Sprüngen verwiesen wird. Ein launiger Erzähler bleibt dabei die ganze Zeit an der Seite der Zuschauer und führt durch die Handlung. »Marketa Lazarová« ist ein gewaltiger Brocken Film: dre- ckig und düster, mit praller Lust am Geschichtenerzählen, derb genug, um Angst einzuflößen, aber trotz- dem oft überraschend schön. INGA BRANTIN ▶ Luru-Kino in der Spinnerei, ab 1.12. 01020304

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