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kreuzer_10_2013

Teil eines männlichen Erlösungswahns: Wagner-Urenkel im Interview

010 Kreuzfahrt 1013 Film 038 Spiel 044 Musik 046 Theater 058 Literatur 068 Kunst 072 Termine 084 kreuzer: 2013 steht das Genie Richard Wagner wieder im Rampenlicht. Worüber sollte Ihrer Mei- nung nach im Wagner-Jahr geredet werden?  GOTTFRIED WAGNER: Auch im Wagner-Jahr bleibt es unerlässlich, über die Einheit von Leben, Opern und Weltanschauung Wagners zu sprechen. Über seinen Antisemitismus und seine Frauen- feindlichkeit beispielsweise. Auch sein Einfluss auf die deutsche und europäische Politik und Kultur ist heute keineswegs geklärt. Stattdessen ragen seine weltanschaulichen Manipulationen und Verfälschungen bis heute weit in die gegen- wärtige Rezeptionsgeschichte hinein und es boomt die Heile Wagner-Welt. Selbst die Bundeskanzlerin schmückt sich im Wahlkampf mit dem Wagner-Kult als deutschem Kultur-Exportschlager. kreuzer: Dass Wagner ein Antisemit war, ist doch eine Binsenweisheit. Mit Veranstaltungen und sogar in Auffüh- rungen versucht man dieser Problematik gerecht zu werden. Was gefällt Ihnen an der gegenwärtigen Auseinanderset- zung nicht?  WAGNER: Da täuschen Sie sich. Es ist im internationalen Diskurs über Wag- ner bis heute immer noch deutlich zu wiederholen, dass Wagner von 1850 bis 1881 militant-rassistisch-antisemi- tische Polemiken verfasste, die auch die Vernichtung der Juden beinhaltete. Das kann man einerseits nachlesen in seinem Aufsatz »Das Judentum in der Musik« und den Regenerations- schriften. Andererseits wird dies an seinen Judenfiguren Alberich und Mime im »Ring des Nibelungen«, seinem Beckmesser in den »Meistersingern von Nürnberg« und Kundry deutlich. Auch in seiner arischen End- zeitvision »Parsifal« setzt er seinen Antisemi- tismus auf der Opernbühne um. Das hat Hitler ganz genau verstanden. In der internationalen Wagner-Forschung haben sich diese Erkennt- nisse immer noch nicht als Lehrmeinung durchgesetzt. Aber das ändert sich, dank seriöser Wagner-Forscher wie Jens Malte Fischer, Paul L. Rose, Ulrich Drüner und anderen. Gegenwärtig sehen die sich allerdings oft üblen Verleum- dungen ausgesetzt. kreuzer: Weniger hat man bisher über den »Frau- enverächter« Wagner gehört, dem Sie in Ihrem Buch ein ganzes Kapitel widmen. Woran machen Sie diese Verachtung fest?  WAGNER: Wer Wagners destruktives Verhalten am Beispiel seiner ersten Frau Minna Wagner und das Schicksal aller weiblichen Protagonisten seiner Opern kennt, wird nicht mehr nur von der rein musikalischen Schönheit seiner Opern reden können. Die Selbstmorde der Frauen in seinen Werken sind Teil eines männlichen Erlö- sungswahns. Eine kritische Sicht darauf trifft ebenfalls bis heute auf Widerstand, da sie den male chauvinist-Mythos des hehren deutschen Künstlers Wagner in Frage stellt. kreuzer: Was meinen Sie mit »male chauvinist- Mythos«? WAGNER: Ich meine eine paternalistische Per- spektive auf Frauen, hinter der letztlich der Glaube an die Unterlegenheit der Frauen gegen- über Männern steht. Wagners Frauen sind untertänig, werden unterworfen und opfern sich letztlich für die Männer. Auch hier möchte ich auf »Parsifal« verweisen. Wagners neurotische Erlösungs-Idee pervertiert hier zum frauen- feindlichen Männerbund-Rassenkult. Es gab und gibt in diesem Jahr in Deutschland unzählige Veranstaltungen zu Richard Wagner, selten wird sich wirklich mit dem ideologischen Kern seines Werks auseinandergesetzt. Das gilt vor allem für seine frauenfeindliche Haltung, die bis heute an vielen Stellen nicht mal thematisiert wird. kreuzer: Viele würden sicher entgegnen: Weil Wagners wunderbares musikalisches Werk im Vordergrund steht. Woran liegt das Ihrer Mei- nung nach, warum zieht seine Musik bis heute viele Leute in seinen Bann? WAGNER: Leitmotive, endlose Melodien und viele andere musikalische Manipulationen erweisen sich als Gedanken- und Gefühlswäsche des Publikums, denen man, je schöner sie klingen, zu misstrauen hat. Seine Musik ent- puppt sich bei näherer Analyse als ästhetischer Terrorismus, als Begleitmusik einer empathie- losen Weltanschauung. Allerdings wird im Allgemeinen der ehrliche Austausch über die Folgen dieses Drogengenusses – der Droge Musik – verweigert. kreuzer: Man müsse den politischen Wagner und das Werk des musika- lischen Genies trennen, hört man oft. Geht das?  WAGNER: Ein gefährlicher, unhaltbarer Unsinn mit beunruhigenden Folgen, wie man auch an den diesjährigen verwaschenen Wagner-Diskussionen besonders in Deutschland gesehen hat. Wer Rassenantisemitismus, Frauen- feindlichkeit und Selbstvergötterung bei Wagner als unwichtiges Neben- produkt abtut und nicht als program- matische Kernstücke anerkennt, macht sich der massiven Geschichts- klitterung schuldig. Wagners weltan- schauliches Erbe ist anachronistisch, antieuropäisch und in seiner Empathielosig- keit inhuman. Das muss endlich bei Wagner- Interpretationen in den Opernhäusern und Universitäten Folgen haben. Auch in seiner Geburtsstadt Leipzig. Dort, in Bayreuth, Zürich und anderswo ging man 2013 weit über die Grenzen eines erträglichen Wagner-Tourismus hinaus. Es bleibt aber viel Aufklärungsarbeit und die bohrende Frage: Ist man dazu wirklich bereit? INTERVIEW: JENNIFER STANGE ▶ Diskussion: »Richard Wagner – ein Minenfeld« mit Gottfried Wagner, 3.10., 20 Uhr, Galerie KUB, Kantstr. 18 ▶ Gottfried Wagner: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Berlin: Propyläen Verlag 2013. 304 S., 19,99 € »Teil eines männlichen Erlösungswahns« Gottfried Wagner, Urenkel von Richard Wagner, über dessen Chauvinismus und sein Wagner-Schmäh-Buch ▶ Mehr kreuzer-Comics auf www.kreuzer-leipzig.de/comic Aufklärungsarbeit zum Erbe seines Urgroßvaters: Gottfried Wagner PROPYLÄENVERLAG

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