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kreuzer_10_2013

Mieter raus, Mieten rauf: Kampf um die Kochstraße 114

012 Kreuzfahrt 1013 Film 038 Spiel 044 Musik 046 Theater 058 Literatur 068 Kunst 072 Termine 084 Ein handgeschriebenes Schild an der Haustür der Kochstraße 114 in Leipzig behauptet in Großbuchstaben, das Haus sei »BEWOHNT«. Warum auch nicht? Die Lage des Mehrfamilienhauses aus der Gründerzeit ist gut und immerhin ist es teilsaniert. Tatsächlich fehlen jedoch an vielen Wohnungstüren Schlösser und Türklinken, zum Teil stehen sie offen, dahinter herrscht gähnende Leere. Nur drei Mietparteien harren hier noch aus. Denn die meisten Mieter hatten nach einer angekündigten Modernisierung und den prognostizierten Mieterhö- hungen Reißaus genommen. Grit B. ist geblieben, seit mehr als zehn Jahren lebt die angehende Bibliothekarin hier in einer Zweiraumwohnung im vierten Stock. Der Weg dorthin führt durch ein ziemlich abgerocktes Treppenhaus. Obwohl die neuen Hauseigentümer im Jahr 2009 eine umfassende Modernisie- rung angekündigt hatten, ist bisher nicht viel mehr passiert, als dass der Putz von den Treppenhauswänden geschlagen wurde und so lange liegen blieb, bis die Bewohner den Schutt selbst wegräumten. Die Hausverwaltung hatte nicht reagiert. Die Mieter des Hauses haben einige seltsame Geschichten auf Lager, die sich seit dem Eigentümerwechsel 2008 er- eigneten: Eines Tages flogen die Öfen aus den leer stehenden Wohnungen ohne Vorwarnung in den Hinterhof, bis die Polizei das Räumkommando stoppte. Später mauerten Handwerker die Tür zum Hinterhof einfach zu. Schriftlich wurden die Bewohner dazu angehalten, Keller und Dachboden nicht mehr zu betreten. Das warme Wasser in den ver- bliebenen Wohnungen musste 2009 abgestellt werden. Bei einer routinemä- ßigen Untersuchung wurde festgestellt, dass die Durchlauferhitzer defekt und außerdem irrepa- rabel seien. Das sind sie bis heute, denn größere Reparaturen seien vor der Modernisierung nicht möglich, aber Frau B. könne jederzeit aus- ziehen, schrieb die Hausverwaltung. Offenbar sollte die Modernisierung ohne die verbliebenen Mieter stattfinden. Diesen Ein- druck hatte jedenfalls Stefan W. aus dem Erdge- schoss, als er sich für einen Moment einer Gruppe Kaufinteressenten anschloss, die eines Tages durch das Haus geführt wurden. »Einer von denen hat dann auch mal gefragt, was denn mit den Leuten ist, die hier noch wohnen. Und da hat dann die Person, die die Leute rumführte, gesagt: Der Bauträger kümmert sich darum, dass die gekündigt werden.« Stefan W. staunte nicht schlecht, als er das hörte – und später dann noch mehr, weil die Sache in der virtuellen Welt schon wesentlich weiter vorangeschritten war: Im Internet wurde seine Wohnung bereits als frei angegeben. Sehr lange passierte nichts, abgesehen von der Reihe seltsamer Zufälle, die allesamt das Leben der verbliebenen Bewohner immer ein Stück mieser machten. Ein nicht unbekannter Effekt im Zusammenhang mit großen Modernisierungs- maßnahmen. »Es gibt Eigentümer, die versu- chen, im Gütlichen mit dem Mieter auseinan- derzukommen, damit sie dort ohne Probleme sanieren und modernisieren können. Es gibt aber auch Fälle, davon haben wir jedoch nur wenige, wo der Vermieter dann eben mit anderen, unlau- teren Mitteln versucht, die Mieter aus dem Haus zu bekommen«, sagt die Vorsitzende des Leipziger Mietervereins Anke Matejka. Denn das Mietrecht in Deutschland ist streng, es gibt rein rechtlich nur wenige Gründe, die Kündi- gung der Mieter zu rechtfertigen: Weder der Ver- kauf des Hauses noch Modernisierung eines Gebäudes zählen dazu, weiß Matejka. Und dann kam sie doch: Alle Mieter der Koch- straße 114 erhielten im Dezember 2011 eine Kündigung. Knapp ein Jahr später zog die Immo- bilienfirma Rubin 24 GmbH mit einer Räumungs- klage vor Gericht. Die Mieter würden die Firma an einer »angemessenen wirtschaftlichen Ver- wertung hindern«, heißt es in der Begründung. Um das Gebäude wieder »konkurrenzfähig« zu machen, müsse umfassend saniert werden. Grits und Stefans Wohnungen soll es nach der Modernisierung schlichtweg nicht mehr geben. Der Anwalt Patrice Castillo hält diese Klage aber für aussichtslos. »Die Vermie- ter haben die Möglichkeit, die Wohnung zu modernisieren und damit höhere Ein- nahmen zu erzielen« – und zwar ohne die Mieter rauszuwerfen. Für zwei Miet- parteien der Kochstraße gab das Amts- gericht Leipzig dem Anwalt bereits recht und wies die Räumungsklage zurück. Doch der Eigentümer legte Berufung ein und bleibt dabei: Solange die Altmieter hier wohnen, stimmt die Rendite nicht. Eine Stellungnahme hierzu lehnt die Immobilienfirma ab. Die Rubin 24 GmbH ist eine Tochterfirma der Stadtbau AG Leipzig. Zusammen mit dem angrenzenden, bereits entmieteten Gebäude stand die Kochstraße 114 auch auf der Internetseite der Aktiengesellschaft zum Verkauf. Der Immobilienhandel ist ein lukratives Geschäft. Seit der Euro- und Finanzkrise flüchtet das Kapital in den Immobilien- markt, wo sich seither die Anleger gegen- seitig überbieten. Das Handelsblatt zählt Leipzig Ende 2012 zu den heißesten Immobilienmärkten Deutschlands. Der Wirtschaftsjournalist Martin Kraushaar analysiert für den Immobilienkompass des Magazins Capital seit Jahren den Immobilienmarkt in Leipzig und bestätigt diese Entwicklung: »Die Investoren- nachfrage ist einfach sehr groß. Wir erle- ben etwa seit 2008 einen Preisanstieg von etwa zehn Prozent pro Jahr.« Bauträger wie die Stadtbau AG Leipzig können derzeit also traumhafte Gewinne einstreichen, das Prinzip ist einfach: Kaufen – sanieren – verkaufen. Allerdings sind Altsubstanzobjekte im Süden und auch in anderen beliebten Bezirken Leip- zigs mittlerweile rar. Die Gebäude in der Kochstraße gehören zu den wenigen in dieser Lage, die noch Sonderabschreibungen bieten, erklärt Kraushaar: »Für eine denkmal- geschützte Modernisierung gibt es Steuervor- teile, Anleger sind deshalb bereit, noch höhere Preise für solche Objekte zu zahlen.« Damit dieses Geschäft gewinnbringend bleibt, wird dann zunehmend aufwendig saniert, damit später teuer verkauft oder vermietet wer- den kann. Laut Prognosen des Eigentümers würde sich nach der Modernisierung die Miete für Grit B. verdreifachen. Sie ist nicht gegen eine Modernisierung und sie wäre auch bereit, mehr Miete zu bezahlen, einen Quadrat- meterpreis von mehr als 9 Euro kann sie sich allerdings nicht leisten. Da ist sie nicht die Einzige. Auch Anke Matejka sieht diese Entwick- lung am Immobilienmarkt mit Sorge: »Wir stellen uns gegen Modernisierungsmaßnahmen, die letztlich darauf ausgerichtet sind, Mieter aus ihren Wohnungen zu verdrängen, um dann eben eine Miete verlangen zu können, die nur noch von Menschen gezahlt werden kann, die sich in den oberen Einkommensgrößen bewegen.« JENNIFER STANGE Mieter raus, Mieten rauf In der Kochstraße 114 kämpfen Mieter gegen eine Räumungsklage und erleben seltsame Dinge in ihrem Haus Kochstraße 114: »Angemessene wirtschaftliche Verwertung« verhindert CHARLOTTESATTLER(2)

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