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kreuzer_10_2013

026 Titel 1013 Film 038 Spiel 044 Musik 046 Theater 058 Literatur 068 Kunst 072 Termine 084 Bereits im September wird das Friedhofsge- lände zum Lagerplatz für Verwundete und Gefangene ausersehen, da die in den Kirchen eingerichteten Lazarette nicht mehr ausrei- chen. Am 19.10. verschanzen sich französische Truppen auf dem Friedhof, der durch das Kampfgeschehen erheblich verwüstet wird.« – »Möchte der allerhöchste Weltregierer nie wieder wollen, dass die Menschheit dergleichen Angst und Schreckens Scenen auszuhalten haben sollte!!« Das erste Zitat stammt von der Besuchertafel des Alten Johannisfriedhofs (Chronik-Eintrag »1813«); mit dem zweiten beginnt der Bericht des Leipziger Totengräbers Johann Daniel Ahle- mann, den er auf den letzten Seiten des von ihm geführten Leichenbuches von 1813 der »Nach- welt bei ruhigen Zeiten« notiert hat. Allerdings bezieht sich sein Ausruf auf grauenhaftere »Schreckens Scenen«, als sie der Anblick eines »erheblich verwüsteten« Friedhofs bietet. Nicht nur die Ordnung des schönen Gottesackers ist nach der Schlacht dahin. Als nun auch die Alliierten ihre Gefangenen ab dem 20. Oktober dort einpferchen, liegen noch immer die vielen Toten und Halbtoten vom Gefecht am Vortag auf dem Gelände herum. »Man konnte kaum einige Schritte gehen«, beschreibt Ahlemann die Zustände, »ohne nicht auf einen Todten oder verwundeten Men- schen zu stoßen, und so lagen Gesunde, Ver- wundete und Todte, alles untereinander, und fast jeder Schwibbogen [überdachte Graban- lage] war davon angefüllet. Sterbend krochen die Menschen auf Händen und Füßen zu einem Ruhepunkt, wo sie ihren Geist aufgeben suchen; Halbtodt wurden sie von den Rußen [den Auf- sehern] Nackend ausgezogen, und mussten in Schlamm und Näße bei der kalten Jahreszeit, ohne alle Hülfe umkommen.« Während unter der französischen Besatzung die alliierten Gefangenen auf dem Johannis- friedhof wenn auch kein Obdach, doch zumindest Nahrung und Brennholz erhalten haben, sind die Gefangenen der Verbündeten sich nun gänzlich selbst überlassen. Ahlemann beobach- tet, wie zwei Pferde, die tot auf dem Friedhof herumliegen, von den Gefangenen vollständig verzehrt werden, ebenso vorbeistreunende Hunde und Katzen. Er sieht Menschen auf Grabhügeln, die vor entsetzlichem Hunger und Durst das letzte grüne Gras rupfen und essen, und hört verzweifeltes und wahnsinniges Gebrüll, wo die Gefangenen nicht »wie die Schatten« langsam, stumm und völlig entkräftet umherschleichen. Als einzige existenzielle Unterstützung dienen ihnen Feuer, die sie mit dem grünen Holz des Friedhofs, aber auch mit Sargbrettern, die sie aus den Gruften heraufholen, mühselig und notdürftig unterhalten. Einige Halbtote werden von ihren Mitgefangenen in dieselben Gruften geworfen, um sich ihrer zu entledigen. Im allgemeinen Chaos nach dem Ende der Schlacht sind unterdes noch tagelang napoleo- nische Soldaten – freilich entwaffnet und oft bis auf die Unterwäsche aller Kleidung und Habseligkeiten beraubt – auf freiem Fuß in der Stadt und den Vorstädten unterwegs. Doch ihnen geht es nicht viel besser. Auch sie sieht man, wie Ferdinand Heinrich Grautoff, der Theologiestudent, berichtet, um tote Pferde lagern, »mit Händen und Zähnen unter des Tieres dicker Haut fortwühlend«; mit etwas Glück finden sie Kartoffelschalen in den Kehrichthaufen vor den Bürgerhäusern. Im Hof der Pleißenburg, deren obere Säle zu einem Lazarett umfunktioniert sind, von denen eine breite Rinne herabführt, erblickt Grautoff gar voller Entsetzen eine Gruppe vollständig ver- zweifelter Hungernder: »Ein halber Arm glitt eben hinab; gierig ergriff ihn einer der Unglücklichen im Hof, und riß mit den Zähnen einen blutigen Bissen heraus. Doch ehe er ihn noch verschlingen konnte, warf er im Abscheu den Arm wieder weg zu den nackten Leichen, die hier hoch aufgehäuft lagen.« In unmittelbarer Nähe zum Alten Johannis- friedhof, am Anfang des Täubchenwegs, erin- nert ein Denkmal an den preußischen Landwehr- Major Carl Friccius, der als einer der Ersten durch das damals dort befindliche Äußere Grimmaische Tor in die Stadt Leipzig eindrang. Der Situation der Abertausenden Gefangenen gedenkt nicht ein einziger Satz. Auch hier spricht das Gedenken die Sprache der Sieger – oder derer, die sich dafür halten. 3. Alter Johannisfriedhof, Zentrum-Ost »Ein halber Arm glitt hinab; gierig riß einer der Unglücklichen einen blutigen Bissen heraus«

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