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kreuzer_10_2013

021 Titel1013 Termine 084 Kunst 072 Literatur 068 Theater 058 Musik 046 Spiel 044 Film 038 Da steht es nun also seit hundert Jahren, das Grauen als Kolossos: das Völkerschlacht- denkmal. Finster dräut es über der Stadt, entweder glotzt es einen an mit seinen drei Augen oder man hat es dunkel im Rücken. Vor Kurzem hat man es gereinigt und vom Industrieschmutz der DDR-Zeit befreit, seine innere Düsternis, sei- nen mystischen Totenpomp hat es behalten. Das Denkmal soll uns erinnern an die Schlacht im Oktober 1813, als sich hier eine halbe Million Soldaten gegenüberstanden. Vier Tage währte das Gemetzel, die Körper von 100.000 Menschen blieben zerschmettert, zerfetzt und zerschossen auf dem Feld liegen, vielleicht waren es 20.000 mehr oder weniger, so genau hat niemand nach- gezählt. Kann man sich so etwas vergegenwärti- gen? Pro Stunde starben 1.400 Soldaten, selbst wenn man voraussetzt, dass rund um die Uhr gekämpft wurde. Würde man die Getöteten auf- nehmen und sie liegend übereinanderstapeln, ergäben die 100.000 einen Leichenberg von 25 Kilometern Höhe. Ein Haufen Toter, hoch bis in die Stratosphäre – das ist das Vermächtnis der Völkerschlacht. Man sollte es mit Blut besudeln, das Denkmal, denn nur so würde deutlich, was sie wirklich war, diese »Völkerschlacht«. Sie war kein hero- ischer Kampf, kein Sieg der Freiheit, da wurde mit Kanonen in dicht gedrängte Menschenmassen gefeuert, selbst Raketen, gefüllt mit klebrig brennendem Harz, wurden eingesetzt. Neue Tech- nik machte eine industrielle Tötungseffizenz möglich – und war der Militärstrategie einen Schritt voraus. In Deckung gehen, Bunker, Schützengräben bauen, war damals noch nicht in Mode. Und so wurden die Menschen eben auf freiem Feld in Stücke geschossen. Da wurden Brücken gesprengt mit hunderten Männern darauf, da stauten Leichen den Fluss, die leblosen Körper standen aufrecht im Wasser, so eng beieinander waren die Soldaten, als sie in Panik, Horror und Schmerz starben. Am Ende zogen Horden geschundener und traumatisier- ter Kämpfer durch die Straßen der Stadt, halb wahnsinnig vor Hunger, so dass einige von ihnen Bissen rohen Fleisches von den herum- liegenden Leichen zehrten. Über Leipzig schwirrten in den Tagen und Wochen nach der Schlacht schwarze Wolken von Raben und Krähen, die nie wieder so fett sein sollten wie in jener Zeit im Oktober 1813. Wie kann man solch eines Geschehens gedenken? Man könnte – gleich der Stadt Leipzig und ihrer Marketing GmbH – so etwas Ähnliches wie einen Kindergeburtstag veranstalten: ein Bohei mit bunten Lampions, die auf dem Teich vor dem Denkmal, dem Meer der Tränen, schwim- men; mit lebensgroßen Zinnsoldaten, die Knallpulver verschießen und wenn sie »tot« sind, ein Bier trinken gehen, so steht es wohl im Drehbuch ihrer nachgespielten Schlacht, dem Reenactment. Man könnte – wie der Schrift- steller Erich Loest es tat – vom Völkerschlacht- denkmal als einem »moralischen Zentrum der Bundesrepublik« sprechen oder – auch dies ein Ausspruch des kürzlich verstorbenen Loest – verkünden, das Denkmal sei »in Idee und Aus- führung frei von Machtstolz, Siegesrausch und nationalistischem Überschwang, trotz seiner Wucht wirkt es nicht frei von Demut«. Man könnte, in völliger Ignoranz der blutigen Realität, das bis dato größte und gewalttätigste Gemetzel unter Europäern als den Grundstein der euro- päischen Idee zelebrieren und das Denkmal gleich zum »Friedensdenkmal« umwidmen, wie es Volker Rodenkamp, Leiter der »Steuerungsgruppe zum Doppeljubiläum«, tun will – um nebenbei gleich noch ein paar Reisen in die »Heldenstadt« zu verkaufen. »Höhepunkt der Feierlichkeiten ist eine Gedenkwoche im Oktober 2013, deren Strahlkraft im Geiste der Völkerverständigung weit über die Grenzen Leipzigs wirkt«, lässt Rodekamp auf die Webseite seiner »Steuerungs- gruppe« schreiben, ein »Bürgerfest« soll es sein, »ein großes europäisches Fest« will Roden- kamp feiern. Realisiert wird der Internetauf- tritt zum »Doppeljubiläum« übrigens von LVZ- Online im Auftrag des Leipziger Stadtmarketings. Doch der Jahrestag der Völkerschlacht kann kein Bürger- oder Friedensfest sein, weil es im Zusammenhang mit den Schlachttagen nichts zu feiern gibt, schon gar keinen Frieden. Denn Frieden gab es nicht in Leipzig im Herbst 1813. Wer die Völkerschlacht zum Startpunkt der europäischen Einigung (die ja erst nach dem 2. Weltkrieg, besser: nach dem Fall der Mauer ein- setzte) verklärt, der akzeptiert stillschweigend den Krieg als Mittel der Politik. Und das darf nicht sein. Krieg, egal wie grausam, sei eigentlich ganz gut, denn immerhin hat er uns den Frieden gebracht: Diese vor Naivität strotzende Bot- schaft schwingt mit in den Bestrebungen, das Völkerschlachtdenkmal zum Friedensdenk- mal umzumünzen, ob das den Machern dieser inszenierten Transformation nun bewusst ist oder nicht. Menschen neigen ja dazu, das Negative zu ver- drängen und lieber das Positive zu sehen, oder gar, Negatives in Positives umzuinterpretieren, das gilt ganz besonders für das Bild von der Vergangenheit. Geschichtswissenschaft und allgemeine Bildung sollten dem entgegenwirken. Was hier hilft, ist nur Wahrheit; Wahrheit über die Schlacht – soweit sie rekonstruierbar ist und noch nicht überlagert von Geschichtsklitterung, Nationalismus, Heroisierung, Verniedlichung und schwülstig-militaristischer Emotiona- lisierung. Eben darum ist allein der Gedanke an eine ernsthafte Nutzung des Völkerschlacht- denkmals als Friedenssymbol geradezu die Anti- these des Gedenkens, da das Denkmal schon in seiner Anlage die oberen Punkte – Vernied- lichung vielleicht ausgenommen – konsequent repräsentiert. Das Denkmal kann kein Friedensdenkmal sein, wie die Leipzig Tourismus und Marketing GmbH es plant – es taugt noch nicht einmal zum Wahrzeichen. Das Völkerschlachtdenkmal ist nicht der Berliner Fernsehturm, es ist ein Leichenstein, und eigentlich ist es mit seiner völkisch-gewalttätigen Ästhetik noch nicht einmal dazu gut. An ihm, diesem Schmerzkoloss, kann nichts Gutes wachsen. Wir sollten das akzeptieren. Doch wie könnte so ein Gedenken nun ausse- hen? Es sollte zunächst einmal still sein. Und es sollte vergegenwärtigen, was damals wirklich geschah. Also weg vom Pathos hin zu konkretem Gedenken. So könnten 100.000 Gedenkgäste sich versammeln und schweigend die Opfer der Schlacht repräsentieren. Auch der offensicht- liche nationalistische Gehalt des Denkmals müsste offengelegt und nicht nur, wie bei den jetzigen Festivitäten, ignoriert werden. Wenn dieser Bau etwas bedeuten soll, dann kann es nur der Schrecken sein: die 100.000 Toten, der Gestank der Leichen, die Verletzten, abgerissene Gliedmaßen, die Überlebenden, die zu Menschenfressern wurden. Ihr Schmerz vereinigt sich in dem Koloss. Vielleicht sollten wir das Völkerschlachtdenkmal so sehen: als Mahnmal, als Schmerzkoloss, als einen riesigen Grabstein, einen Kriegsleichenstein, ein Monument der Verzweiflung, das uns an die Dummheit vergangener Jahrhunderte erin- nert, an die Hybris jener Männer, deren Drang nach Macht, Stolz und Ehre regelmäßig im Massaker endete – an das Leiden der Menschen, ihr selbstverschuldetes Leiden. Und daran, dass Krieg ein Gräuel ist. Keinesfalls jedoch darf die Erinnerung an den Krieg ein Opfer des Stadtmarketings sein. Geschichte wiederholt sich – und so wird nach der Vereinnahmung des Grauens durch völ- kische Patrioten, durch Nazis und Kommunisten nun die Deutungshoheit über die Schlacht, die so viele Tote forderte, von den neuen Usur- patoren übernommen: den Vermarktern, die sich nicht scheuen, auch aus der größten Ver- höhnung der Kriegsgräuel Geld zu schlagen – 40 Euro kostet einer der 7.200 Tribünenplätze zur großen Kriegsshow, der »historischen Gefechtsdarstellung« bei Markkleeberg. Die Tickets sind ausverkauft, aber für 15 Euro sind noch Stehplätze zu haben. Kinder unter 1,20 Meter zahlen keinen Eintritt. An diesem Schmerzkoloss, dem Kriegsleichenstein, kann nichts Gutes wach- sen. Wir sollten das akzeptieren

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