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kreuzer_10_2013

Hau ihn weg, Digger: Leipzig boxt in der Theaterfabrik

036 Magazin 1013 Film 038 Spiel 044 Musik 046 Theater 058 Literatur 068 Kunst 072 Termine 084 Ron bekommt einen Ellbogen ins Gesicht und fällt. Doch Liegenbleiben ist nicht. Wenige Sekunden später trifft ihn hart ein Faust- hieb. Er stürzt in die Bande. Wieder aufrappeln. Sein Gesicht läuft rot an. Der schmächtige Kör- per glänzt vor Schweiß. Ron ist am Anfang der zweiten Runde. Noch nicht einmal die Hälfte geschafft. Der untersetzte, kahlköpfige Ring- richter, den alle nur den »Commander« nennen, muss ihn abzählen. Der Commander führt den Finger vor Rons Kopf hin und her und prüft seinen Gleichgewichtssinn. Auf die Frage, wo er sei, antwortet Ron achselzuckend: »Na, im Ring.« Das Publikum lacht. Ich sitze außen am Ring bei »Leipzig boxt« in der Theaterfabrik in Leutzsch. Max Schmelings Kultklassiker »Das Herz eines Boxers« hat das Turnier eingeläutet. Der erste Kampf läuft: Amateurboxen zwischen den Sechzehnjährigen Ron Kathert und Mustafa Al-Rabaiy. Tätowierte und aufgestylte Ringgirls laufen barfuß in den Pausen durch den Ring und halten ein Schild mit der Nummer der Runde empor. In den Ecken werden die Jungen versorgt: Jemand besprüht sie mit Wasser, ein anderer wedelt ihnen mit einem Handtuch Luft zu. Dann spült man ihnen den Mund aus. Mustafas Trainer, Matthias Eichler, kann stolz sein: Sein Schützling treibt den Kontrahenten vor sich her, während der schon torkelt wie ein Betrunkener. Eichler beugt sich in den Ring und ruft immer wieder belehrend: »Links-rechts, nicht bloß links!« Ein Fan ist da schon eupho- rischer: »Hau ihn weg, komm, Digger, Stolz von Leipzig!« Ein anderer ironisch: »Kann nur wehtun.« Ron pumpt. Der Zahnschutz ragt schon aus dem keuchenden Mund. Er schiebt ihn sich zurück. Auch sein Trainer brüllt, was er brüllen kann: »Das nennt sich Boxkampf? Los, Ron. Der dreht doch nur wie ein Brummkreisel!« In der dritten Runde fehlt die Kraft. Der Ringrichter muss ihn zu seinem Gegner hinziehen. Beide schlagen nur noch unmotiviert aufeinander. Der Commander wischt sich den Schweiß von der Glatze und schimpft: »Das hier nennt sich Boxkampf! Also Kopf hoch!« Da heißt es durch- ziehen bis zum bitteren Ende. Ron verliert durch RSC, das bedeutet: »Referee Stops Contest«. Ron hat zu viele Wirkungstreffer eingesteckt. Boxen ist hart. Das versichert mir heute Abend jeder. Klaus-Peter Reinhold, der leitende Not- arzt vor Ort, bezeichnet den Kampfsport als »rela- tiv gefährlich«. Vor allem mache er aber rie- sigen Spaß. Ruhig zählt er mir einige übliche Verletzungen auf: gebrochener Kiefer, angebro- chene Rippen, Cuts – meist über der Augenbraue. Nasenbluten ist an der Tagesordnung. Auch heute fliegt Blut durch den Ring. Im fünften Kampf wird Maik Täubig verletzt. Noch wäh- rend des Duells lässt der Ringrichter ihn in ein Taschentuch schnäuzen. Nahtlos geht es weiter, obwohl die Nase noch läuft. »Das ist alles noch kein Problem. Hin und wieder kippt jedoch einer weg«, meint Doktor Reinhold, »dann wird noch im Ring reanimiert.« Unter einem Tisch neben dem Ring haben Sanitäter eine Tragbahre verstaut mit Beatmungsgerät und anderen Utensilien. »Weggestorben«, setzt er beruhigend hinzu, »ist mir aber noch keiner.« Ich treffe Muslim Benkacimi. Sein Gesicht ist voller roter Striemen. »Von den Klettverschlüssen am Handschuh«, sagt er, »Aber nur wir Ama- teure tragen die.« Trotzdem strahlt er. Es geht ihm ausgezeichnet. Er studiert technische Informatik. Damals hat sein Vater ihn zum Boxen geführt – weil Muslim übergewichtig war. »Es hat mir aber auch so geholfen. Vorher war ich voller Adrenalin. Unkontrolliert. Jetzt ist das in die richtigen Bahnen gelenkt.« Jeden Abend geht er joggen für seinen Sport. Ausdauer auf- bauen. Muslims schlimmste Verletzung war bisher ein Muskelfaserriss. Er streckt seinen rechten Arm vor und deutet auf die Innenseite. »Da hab ich zu weit ausgeholt und der Gegner hat mir eine gegengedonnert.« Muslim steht im vierten Kampf mit Steve Emmer im Ring. Die Hardcore-Version von »Ein bisschen Frieden« dröhnt zu Beginn aus den Boxen. Dann beginnt das Kloppen. Gleich in den ersten Sekunden trifft Muslim seinen Gegner mit einer überraschend gut platzierten »Hin und wieder kippt hier einer um«, sagt der Notarzt am Ring. »Weggestorben ist mir aber noch keiner« »HAU IHN WEG, DIGGER« »Leipzig boxt«: Schweiß, Blut und Jubelschreie in der Theaterfabrik Von Robert Reimer SANDRANEUHAUS(7)

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