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kreuzer_10_2013

037 Magazin1013 Termine 084 Kunst 072 Literatur 068 Theater 058 Musik 046 Spiel 044 Film 038 Linken. Von Weitem klingt der Aufschlag unge- fährlich. Nur das Entweichen der Luft aus dem gepolsterten Handschuh ist zu hören. Kein Knallen und Krachen wie in den Rocky-Filmen. Trotzdem plumpst Emmer hilflos zu Boden und verliert beinahe die Besinnung. Muslim wird von Matthias Eichler, dem Vereins- manager von Box Gym Leipzig, trainiert, genau wie Mustafa. Ich treffe Matthias backstage in den Umkleideräumen. Die wartenden Kämpfer lehnen oberkörperfrei an den Requisiten aus dem Theaterbetrieb. Sie unterbrechen ihre Gespräche und beäugen mich misstrauisch. Einige boxen gegen die Luft und schauen sich dabei in den Spiegeln an, vor denen normalerweise die Dar- steller geschminkt werden. Der eher schmäch- tige Matthias fällt auf inmitten der Muskelbe- packten. Dabei hat er früher selbst geboxt. Ab 40 habe das aber keinen Sinn mehr gehabt und seitdem trainiert er andere. »Boxen ist nicht so wie im Fernsehen: zwei Männer, die sich den Schädel einschlagen. Henry Maske hat mal gesagt: ›Boxen ist wie Schach im Ring.‹ Das stimmt. Na ja, zumindest teilweise.« »Es tut halt weh«, setze ich hinzu. Der Club hat seinen Sitz in der Eisenbahnstraße. »Das sollte alles sagen«, kalauert Matthias. Ähnlich liebevoll betitelt er seinen Verein: »Wir sind das böse Kanackenboxstudio. Schreib das ruhig auf!« Viele der Mitglieder kommen aus der Förderschule. Matthias hat sich bewusst für diese Klientel ent- schieden: »Diese Kinder sind mir lieb. Manch- mal ist nur ein Handschuh zwischen mir und ihnen. Aber es ist schwer. Einmal kam eins mit einem Brief vom Amt zu mir, weil keiner in der Familie ihn verstand. Da musste ich dann übersetzen, dass ab morgen die Sozialzahlungen eingestellt werden sollten. Toll, nicht?« Oft hilft Matthias ihnen auch bei der Ausbildungssuche. Da muss er immer einschärfen: »Lehre geht vor.« Das Boxen sei für sie zwar eine Perspek- tive, aber den Beruf wird es nie erübrigen. Selbst die Profiboxer würden nicht ausreichend verdienen. »Verlierer und Gewinner bekommen übrigens gleich viel. Deswegen warte ich auch auf einen Brief von Klitschko. Für den gehe ich gern noch mal in den Ring und lass mich vermöbeln.« Matthias muss lachen. Die Pause vor dem finalen Kampf: Im Foyer steht eine braun gebrannte Frau mit glatten schwarzen Haaren und Tattoos am Arm vor einem Tisch und verkauft Boxhandschuhe, Zahn- schutz und Trainingsgeräte. Auf roten Sofas räkeln sich noch mehr Frauen und lachen. Fans von »Sin City Box Gym Leipzig« posieren mit ihren Boxern vor Kameras. Bier wird getankt und Bockwürste gehen über die Theke der Bar. Schließlich ist es so weit. Das Licht geht aus. Nur vier Scheinwerfer sind auf den Ring gerichtet. Nebel strömt in den Saal. Lokalmatador Maik Kurzweil aus Leipzig und Daniel Zimmermann vom Box-Gym Coepenick laufen ein. Europa- meisterschaft. Weil sie schon Handschuhe tra- gen, müssen ihre Trainer ihnen das T-Shirt aus- ziehen. Die erste Runde beginnt ruhig. Ab der zweiten johlt das Publikum. »Mensch, Maik, wir wollen trinken gehen. Hau den um!« Eine Frau ruft: »Mach Mutti stolz!« Die Ringgirls lassen immer mehr Hüllen fallen. Metropolis, die Tabledancebar, hat die Damen gesponsert. In der Pause meditiert Maik in seiner Ecke. Auf seinen kahlen Kopf hat ihm der Trainer einen nassen Schwamm gelegt. Zurück zum Kampf: Maik knackt die Verteidigung. Es wird gegrölt. »Der ist nicht mehr sicher auf den Beinen, Maik. Der hat Zucker.« »Der soll Currywurst fressen!« In der fünften Runde geht Daniel zu Boden. Die Fans springen von den Stühlen auf. Während Maik durch die Ringseile Hände schüttelt, lässt Trainer Eichler Wasser über sei- nen erhitzten Kopf laufen. Der Siegergürtel gehört ihm. Ich verfolge Maik zurück in die Kabine. Kom- mentarlos verschwindet er auf der Toilette und beugt sich über das Waschbecken. Hinter uns der Ringsprecher. »Maik, brauchst du was?« »Neues Trommelfell«, sagt er nüchtern. »Jut. Kriegste.« Ich sitze und warte. Als er wieder- kommt, lässt er sich auf einen Stuhl fallen und breitet ein Handtuch über seinen Kopf. Ich frage ihn nach seinen Verfassung. »Beschis- sen«, antwortet er, »Kreislauf komplett im Keller.« Wieder springt er auf und rennt auf die Toilette. Vielleicht kotzt er. Der Ringsprecher bittet mich zum Sofa zurück. Ich erkundige mich nach den doch recht harten Parolen aus dem Publikum. »Die Emotion ist heute von der Decke getropft, oder? Aber die Fans sind keine Fanatiker. Die Rufe sind Gefühlsausbrüche.« Ich warte. Matthias Eichler kommt hinzu und schüttelt den Kopf. »Das mit dem Interview wird nichts. Das Gleichgewichtsorgan ist kaputt. Auf der Straße wird man sagen: Der hat einen gekippt. Wenn das Adrenalin nachlässt, wird er es merken. Mor- gen soll er zum Arzt.« Er senkt den Kopf. »Boxen ist gefährlich. Im März hatten wir erst einen Unfall: KO plus Koma. Das gibt mir zu denken und ich leide mit. Boxen ist eine absolute Willens- sportart. Meine Jungs hätte ich sofort aus dem Ring geholt, aber wenn es um die EM geht, lasse ich mich nicht von einem Trommelfell abhal- ten.« Er setzt sich hin. »Dumm bloß: Die Versi- cherung zahlt nicht für die Rissbehandlung. Jetzt ist Maik für die nächsten Kämpfe erst mal gesperrt. Da geht es aber um viel Geld.« Ich folge Matthias durch den Saal, in dem schon die Stühle abgebaut werden. Maik steht noch im Foyer, von Fans bedrängt. Scheinbar unbe- rührt und gefasst wie vor dem Kampf.

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