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kreuzer_10_2013

Geschichte wird gedacht: Veranstaltungen zur Völkerschlacht

027 Titel1013 Termine 084 Kunst 072 Literatur 068 Theater 058 Musik 046 Spiel 044 Film 038 Das Schlachten hat ja nie aufgehört«, erklärte Schaubühnenvorstand René Reinhardt bei der Präsentation von »Völkerschlachten« im Mai. Für den Gegenentwurf zur touristischen und lokalpatriotischen »Ausschlachtung« des Kriegsereignisses hatten sich die Theaterma- cher als fiktives ewiges Fronttheater auf dem Jahrtausendfeld eingegraben. Neun Autoren verschiedener Herkünfte schrieben in ihrem Heerlager Texte und erprobten sie mit Schau- spielern. Im Oktober zeigt die Schaubühne Zwi- schenergebnisse, 2014 schließlich verschmilzt das multinationale Zusammenwirken zu thea- tralen Schlachttableaus, wenn eines anderen Blutbads gedacht wird: des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Der Umgang mit dem Doppeljubiläum Völker- schlacht/Völkerschlachtdenkmal treibt viele Blüten, die sich in ihren Interessen und Wirkungen unterscheiden. »Erinnerung ist gewünscht, Erklärung viel weniger«, kritisierte Historiker Jürgen Kocka vor 25 Jahren die offizi- elle deutsche Gedenkpolitik. Das ist bis heute gültig: »Nicht das – zum Kern von Aufklärung gehörende – Bedürfnis nach rationaler Kritik speist gegenwärtig die Hinwendung zur Geschichte, sondern das Verlangen nach Identi- tät.« Analogien zum Lichtfest tun sich auf, wenn die Stadt Leipzig zur Gedenkwoche freudig »hochrangige europäische Gäste erwartet«. Erinnerungskultur gedeiht so zum Faktor im Stadtmarketing. Das entsprechende Programm namens »Ima- gine Europe« immerhin fällt differenzierter aus. Unter Federführung der naTo haben sich von Tanz- und Chorwerkstätten bis hin zum selbst gestalteten GPS-Rundgang acht soziokul- turelle Projekte mit dem Thema Europa aus- einandergesetzt und präsentieren ihre Ergeb- nisse. Als Highlight der vorgestellten Europage- meinschaft wird das Theater Titanick die Besu- cher in die Fantasiewelt eines Hieronymus Bosch hineinsaugen. (Alb-)Traumhafte lebende Bilder von Paradies und Inferno entstehen im Wilhelm-Külz-Park und sollen sich mit inhalt- licher Relevanz zur 200-Jahre-Schlacht anfül- len. Ob hierdurch das Denkmal dauerhaft in »neuem Licht erscheinen wird«, muss der Kraft des Theaters vor Ort überlassen bleiben. Mehr Spektakel denn Aufklärung lässt sich als Gewichtung aus der »Historischen Gefechts- darstellung« in Markkleeberg herauslesen, die als »Ereignis von bisher unerreichter Dimen- sion in der europäischen Reenactment-Szene« angepriesen wird. Rund 6.000 Akteure stellen die Kämpfe in detailgetreuen Uniformen nach. Man muss das nicht als kriegswütigen Militaria- Fetisch ansehen, um Zweifel am erinnerungs- kulturellen Gehalt zu haben. »Die Völker, die sich 1813 feindlich gegenüberstanden«, heißt es, als ob es die Festung EU und ihre Asylpraxis nicht gäbe, »können sich im Herzen Europas friedlich treffen, verständigen und kulturell austauschen.« Wege der Aufklärung gehen die Unibibliothek und das Stadtgeschichtliche Museum. Erstere zeigt die Entstehung des Völkerschlachtdenk- mals anhand zeitgenössischer Dokumente, die Lob wie Kritik am Bau eines solchen Natio- naltempels enthüllen – als Denkmal allgemei- ner Freiheit oder europäischer Einheit war es nicht konzipiert. Die ambitionierte Schau »Helden nach Maß« im Alten Rathaus erhellt, wie Heldenstorys die Geschichtsbilder beein- flussen. Neben Mythen finden damals aufkom- mende Symbole wie das bis heute von der Bundeswehr verwendete Eiserne Kreuz Betrach- tung. Auch die Farben Schwarz-Rot-Gold ent- stammen der Völkerschlacht, so ist zu erfahren. Das erinnerungspolitische Wirken in der Gegenwart beschäftigt die Vereine Engagierte Wissenschaft und Leipziger Kreis. Was haben Schlacht und Monument eigentlich mit der heutigen Gesellschaft zu tun, was machen sie mit uns? Künstler und Wissenschaftler werden sich entlang dieser Fragestellung versammeln und sich verschiedentlich öffentlich positionie- ren. Kontroversen werden nicht nur in Kauf genommen. Am invasivsten und drastischsten fällt der Marsch der International Shattered Liberation Force auf. Als Gegenstück zum prunk- vollen Reenactment verleihen diese »aufge- riebenen Befreiungskräfte« den Elenden des Krieges ein Bild. Als Bataillon sichtlich geschla- gener und verwundeter, verängstigter und ver- krüppelter Soldaten ziehen die Teilnehmer vier Tage lang auf historischen Routen durch die Stadt. »Wir gehen durch Dörfer und Orte, die Schauplätze des damaligen Kriegs- und heutigen Spektakelgeschehens waren und sind. Unverhofft trifft die Schar bei Veranstal- tungen und in den Ortschaften ein, verspeist, was sie bekommen kann, campiert in Scheunen, auf Dorfplätzen oder auf offenem Feld. Die Versorgung des Haufens ist dabei abhängig von der Zuwendung und der Kooperation der Bevöl- kerung.« Dabei soll es nicht um Konfrontation zu anderen Gedenkformen gehen, sondern um das Beleuchten historischer Blindstellen: Über den Oktober 1813 hinaus war der Leipziger Raum eine Elendslandschaft. Jede Sternstunde des Zeitstrahls hat Schattenseiten – auch diese zu kennen, ist Teil historischer Bildung. TOBIAS PRÜWER »1813_1913_2013: Erinnerung, Kunst, Kon- troversen«: Verein Engagierte Wissen- schaft und Leipziger Kreis, Programm: www.engagiertewissenschaft.de/pro- jekt2013 »Kanonenknall und Hausidyll. Kunst- handwerk zur Zeit der Völkerschlacht«: bis 20.10., Di–So 10–18 Uhr, Grassi »Die Völkerschlacht wird zum Denkmal. Zeugnisse von 1913«: Kabinettausstel- lung, bis 10.11., tägl. 10–18 Uhr, Biblio- theca Albertina »Völkerschlachten«: 18./19.10., 20 Uhr, Schaubühne Lindenfels »Helden nach Maß – 200 Jahre Völker- schlacht«: bis 5.1.2014, Di–So 10–18 Uhr, Stadtgeschichtliches Museum, Neubau Imagine Europe: 12.–19.10., Programm: www.imagine-europe.de Historische Gefechtsdarstellung, 20.10., 12 Uhr, Weinteichsenke Markkleeberg »Leipzig 1813. In den Wirren der Völker- schlacht«: Di–So 10–19 Uhr, Asisi Pano- meter GESCHICHTE WIRD GEDACHT Erinnerungskultur als Faktor des Stadtmar- ketings? Abfeiern oder Aufklären? Nach- stellen oder Kommentieren? Die zahlreichen Veranstaltungen zur Völkerschlacht werfen verschiedene Lichter auf Kampf, Stadt und Denkmal Infokasten: Von Tobias Prüwer

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