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kreuzer_10_2013

Was machten die Sachsen? Sie waren die größten Verlierer

028 Titel 1013 Film 038 Spiel 044 Musik 046 Theater 058 Literatur 068 Kunst 072 Termine 084 »WAS MACHTEN DIE SACHSEN?« Daran erinnert kein Denkmal: Die Sachsen wechselten kurz vor dem Ende der Kämpfe die Seiten. Trotzdem waren sie die größten Verlierer der Völkerschlacht Österreicher, Russen und Preußen schlugen Napoleon bei Leipzig, und was machten die Sachsen?«, fragt sich Carl Friedrich Fürchte- gott Linden in Erich Loests Roman »Völker- schlachtdenkmal«. Ja, was machten eigentlich die Sachsen? Um es gleich zu sagen: keine gute Figur. Fairerweise sollte man erwähnen, dass ihr Handlungsspielraum überschaubar war. 1806 hatten die Franzosen bei Jena die Preußen und die mit ihnen (wohl oder übel) verbünde- ten Sachsen vernichtend geschlagen. Aber der clevere Napoleon behandelte die Verlierer nicht als Feinde, vielmehr machte er sie zu seinen Verbündeten, und Kurfürst Friedrich August beförderte er zum König. Selbstredend musste Sachsen dennoch immense Zahlungen an Frankreich leisten, und natürlich war der frisch- gebackene König auch weniger Verbündeter als Vasall. Als im Oktober 1813 Russen, Österreicher, Preußen und Schweden auf Leipzig zumarschier- ten, stand Sachsen noch immer auf Seiten der Franzosen. Aber ein Seitenwechsel, wie ihn Friedrich Augusts Schwager, König Maximilian I. Joseph von Bayern, vollzogen hatte, kam nicht in Frage. Schließlich standen die Franzosen im Lande, und der König selbst hielt sich in Leipzig auf. Davon abgesehen zeigte sich der sonst eher wankelmütige Friedrich August entschlos- sen, Napoleon die Treue zu halten. So nahmen die Dinge ihren Lauf. Am Morgen des 18. Oktober schlossen russische Truppen beim Vorwerk »Heiterer Blick« ein sächsisches Reiterbataillon ein, das angesichts der Über- macht die Seiten wechselte. Das Bataillon war nur klein, aber die Nachricht des Seitenwech- sels setzte eine Kettenreaktion in Gang: Kurz darauf ging eine württembergische Reiterbri- gade, die Taucha verteidigen sollte, zum Feind über. Danach gab es kein Halten mehr, ein säch- sisches Regiment nach dem anderen schloss sich den Alliierten an. Bei Paunsdorf liefen auf einen Schlag 3.000 sächsische Soldaten über. Damit war die französische Verteidigungslinie längs der Parthe zusammengebrochen, Preu- ßen, Russen und Schweden konnten ungehindert auf Leipzig vorrücken. Der Seitenwechsel der Sachsen ist sehr unterschiedlich bewertet worden. Während die deutsche (das heißt: die preußische) Geschichtsschreibung das Ereignis kaum einer Erwähnung wert hielt, haben die Franzosen ihm stets eine große Bedeutung für den Ausgang der Schlacht beigemessen: Verdankte sich ihre Niederlage nicht dem Verrat der Sachsen? Der französische Marschall Jacques Macdonald wollte sogar beobachtet haben, wie sich vorrü- ckende sächsische Truppen plötzlich umgedreht und die ihnen folgenden Franzosen angegriffen hätten: »Kalten Bluts, in himmelschreiender Weise, schossen sie die Ahnungslosen nieder, mit denen sie bisher in treuer Waffenbrüder- schaft gefochten. Nirgends weist die Geschichte einen ähnlich schändlichen Verrat auf.« Aber auch wenn sich der Seitenwechsel nicht so abgespielt hat, wie Macdonald es glauben machen will: Ein Verrat war es allemal, und für die Franzosen ein harter Schlag, auch mora- lisch. Auf jeden Fall standen die Sachsen nach der Schlacht als doppelte Verräter da: Erst hatten sie mit dem Usurpator Bonaparte gegen die alten Monarchien gemeinsame Sache gemacht, jetzt auch noch Napoleon selbst verraten. Aber was heißt denn »die Sachsen«? Der König hatte zu Napoleon gehalten, einige seiner Offiziere waren ebenfalls loyal geblieben, andere zu den Alliierten übergegangen. Die einfachen Soldaten wurden bei alledem nicht gefragt; sie haben wahrscheinlich nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Befehl ihrer Offiziere die Seiten gewechselt. Und die sächsische Bevölkerung? War hauptsächlich daran interessiert, dass dieser Krieg zu Ende ging. Solche feinen Unterscheidungen spielten auf dem Wiener Kongress natürlich keine Rolle. Sachsen wurde die Rechnung präsentiert. Sie fiel hoch aus – wenn auch nicht ganz so hoch, wie es sich die Preußen gewünscht hatten; die hätten am liebsten gleich das ganze Königreich einkassiert. Doch eine komplette Annexion Sachsens durch Preußen lag nicht im Interesse der Großmächte Österreich und England. So ging Sachsen nicht unter. Allerdings verlor es nicht weniger als zwei Drittel des alten kur- sächsischen Territoriums und die knappe Hälfte seiner Gesamtbevölkerung an Preußen und sank damit endgültig zu politischer Bedeutungs- losigkeit herab. Immerhin durfte der alte Friedrich August, der seltsamerweise bei den Sachsen sehr beliebt war und den Beinamen »der Gerechte« trug, seinen Königstitel behalten. »Nirgends weist die Geschichte einen ähnlich schändlichen Verrat auf« Von Olaf Schmidt

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